Für viel Geld hat Solothurn mit fünf anderen Kantonen zwei neue
Französisch-Lehrmittel erarbeiten lassen. Das eine steht schon in der Kritik.
Das andere muss Bildungsdirektor Remo Ankli jetzt auf der Sek-P-Stufe sogar aus
dem Verkehr ziehen.
"Noch nie Lehrmittel gesehen, die so stark in der Kritik stehen", Bild: Nicole Nars-Zimmer
Kritik an "Franz"-Buch: Auch das Sek P-Lehrbuch taugt nichts, Solothurner Zeitung, 14.3. von Lucien Fluri
Nein. So richtig durchgestartet ist das Projekt Passepartout noch nicht,
obwohl Solothurn in den letzten Jahren bereits 6,7 Mio. Franken in das Vorhaben
investiert hat. Das interkantonale Bildungsprojekt will nicht weniger als den
Fremdsprachenunterricht erneuern und vereinheitlichen – und zwar in den sechs
Deutschschweizer Kantonen, die am nächsten am Röstigraben liegen.
Seit rund zehn Jahren arbeiten Solothurn, Freiburg, das Wallis, Bern und
die beiden Basel daran und bringen beispielsweise neue, einheitliche Lehrmittel
heraus. Doch der Weg ist etwas holprig. Zuerst geriet das neue
Primarstufen-Französisch-Lehrbuch «Mille feuilles» in die Kritik und
musste in die Überarbeitung geschickt werden. Dann, diesen Frühling,
hatte die Baselbieter Politik genug. Man beschloss, dem Projekt
gleich ganz «adieu» zu sagen.
Und jetzt also der nächste Stolperstein. In der Kritik seht nun das
Französisch-Lehrmittel «Clin d’œil», das ab diesem Sommer an den Sek-Stufen
obligatorisch zum Einsatz kommen sollte. Zumindest auf der progymnasialen
Sek-P-Stufe wird dies nicht der Fall sein. Bildungsdirektor Remo Ankli hat
quasi in letzter Minute die Notbremse gezogen, wie aus einer Weisung
ersichtlich ist, die der FDP-Mann Anfang März verfügt hat. Das Buch soll,
ebenso wie das Englisch-Pendant «New World» nur auf der Sek E und der Sek B obligatorisch
sein.
Für die Sek P aber taugt das Buch offenbar nicht. Dies haben Testklassen
und eine Auswertung durch die Uni Freiburg gezeigt. «Die Sprachkenntnisse
reichen nicht als Unterbau für den gymnasialen Unterricht aus», schreibt Ankli
in seiner Weisung. Um den Gymi-Anforderungen zu genügen, brauche es
«vertiefenderes Zusatzmaterial». Ein Grund dafür: Das Buch behandelt die
Grammatik im dritten und letzten Jahr stärker als in den ersten beiden, wo es
vor allem auf die Kommunikation setzt. Die Sek P aber dauert im Gegensatz zur
dreijährigen Sek E/B nur zwei Jahre. Danach wechseln die Schüler ins Gymi.
Bereits einmal daneben gelangt
Es ist nicht die erste Panne der Erziehungsdirektoren mit Passepartout.
Bereits das für die Primarstufe erarbeitete Französischlehrbuch «Mille
feuilles» wurde heftig kritisiert und muss überarbeitet werden.
«Ich habe noch nie Lehrmittel gesehen, die so fest in der Kritik
stehen», sagt Adrian van der Floe, Präsident des Solothurner
Schulleiterverbandes. «Clin d’œil» sei anspruchsvoll zu unterrichten. Das
Problem: Schüler sollen die Sprache möglichst übers Hören lernen und nicht in
erster Linie Wörter und Grammatik büffeln. «Mit drei Lektionen Französisch pro
Woche funktioniert das sogenannte Sprachbad nicht», so van der Floe.
Im Bildungsdepartement will man nicht von einer Kritik auf breiter Basis
sprechen. «Rückmeldungen aus der Weiterbildung, aus den Projekt-Hearings und
aus der kantonalen Begleitgruppe enthalten sowohl kritische als auch
zustimmende Haltungen», sagt Departementssekretär Adriano Vella. «Ein neues
Lehrmittel bringt neben Veränderungen auch Unsicherheit. Viel Neues muss
erarbeitet und verarbeitet werden.»
Allerdings sieht man nach diversen Rückmeldungen auch im
Bildungsdepartement Handlungsbedarf. «Die Verhandlungen für die Überarbeitung
des Lehrmittels zwischen den Passepartout-Kantonen und dem Verlag schritten
anfänglich zögerlich voran», sagt Adriano Vella. «Inzwischen ist die
Notwendigkeit von Anpassungen des Lehrmittels vom Verlag erkannt worden.
Vielfältige Zusatzmaterialien wurden bereits für die Primar- und Sekundarstufe
entwickelt.»
«Katastrophe» für Durchlässigkeit
Hannes Lehmann ist nicht glücklich mit dem Entscheid von
Bildungsdirektor Remo Ankli. Der Fraktionspräsident der Sekundarlehrpersonen im
Solothurner Lehrerverband LSO kann nicht nachvollziehen, dass das Lehrmittel
nur auf der Sek-P-Stufe abgeschafft wird. «In der Sek B rumort es. Das Buch ist
zu textlastig. Und auch auf der Sek E stossen die Schüler und Schülerinnen zu
oft an ihre Grenzen», sagt Lehmann. «Es ist absolut unverständlich, dass der
Kanton das Obligatorium nicht für alle Stufen abgeschafft hat.»
Gravierend ist der Entscheid für Lehmann in Sachen Durchlässigkeit
zwischen der Sek E (früher Bez) und der progymnasialen Sek P. Erst vor gut zwei
Jahren wurde diese Durchlässigkeit verbessert. «Die Weisung des Kantons
bedeutet diesbezüglich wieder einen deutlichen Rückschritt: Ein Übertritt von
der Sek E ins Gymnasium ist künftig mit einer anderen Philosophie des
Französischlernens verbunden und erschwert damit den Wechsel wieder erheblich.
Das ist absolut nicht begrüssenswert», so Lehmann. Auch Adrian van der Floe
sieht aufgrund der unterschiedlichen Lehrmittel Probleme für Schüler, die etwa
von der Sek P in die Sek E wechseln. «Sie sind nun die Gestraften.»
Weniger dramatisch sieht man dies im Bildungsdepartement. Wer nach drei
Jahren Sek E ins Gymnasium wechsle, könne die Differenzen auffangen, sagt
Vella. «Bezogen auf die Lehrplaninhalte, haben diese Schüler eher einen
Vorsprung auf jene Schüler, die von der zweiten Sek P ins Gymnasium kommen.»
Unabhängig von Lehrmitteln kämen die Schüler so oder so mit unterschiedlichen
Voraussetzungen ins Gymnasium.
Schon länger bekannt
Die Erkenntnis aus dem Solothurner Bildungsdepartement, dass «Clin d’œil»
fürs Gymnasium wenig taugt, hatte man anderswo schon früher. Bereits Anfang
2017 hatte das «Bieler Tagblatt» berichtet, dass die Aufnahmeprüfungen für das
Gymnasium Biel-Seeland nur mündlich und nicht schriftlich stattfanden. Der
Grammatik-Teil musste gestrichen werden, weil Schüler «keine Verben konjugieren
können». Und bereits 2016 hatten sich die Solothurner Sek-Lehrer im
«Schulblatt» kritisch geäussert. Von «mehrheitlich eher skeptischen,
zweifelnden, oft sogar verzweifelten Stimmen» war dort zu lesen. «Es muss zu
denken geben, dass es sich viele Lehrpersonen im Moment so nicht vorstellen
können, ihre Schülerinnen und Schüler adäquat auf die abnehmenden Schulen und
Lehren vorbereiten zu können.»
Jetzt muss die Sek-P-Konferenz mit den Fachschaften Französisch und
Englisch der beiden Kantonsschulen bis im Sommer neue Lehrmittel vorschlagen.
Im Bildungsdepartement will man zuerst «die breit angelegten
Evaluationsergebnisse im Schuljahr 2020/2021» abwarten, bevor allfällige
Entscheide zu den kritisierten Lehrmitteln getroffen werden.
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