Die Aussicht auf den
heutigen Tag behelligt Tims Nerven seit langem. Heute ist die Gymiprüfung. «Das
hängt in Zürich natürlich vom Quartier ab. Aber die meisten
in Tims Klasse nahmen privaten Nachhilfeunterricht», sagt Tims Mutter, von
Beruf Ärztin. Sein Vater, Historiker, nickt: «Da entsteht ein wahnsinniger
Druck. Tim wollte dann auch, klar.»
Ein frappanter Wunsch, den
ihm seine Eltern aber nicht abschlagen mochten. Dabei ist Tim (12) in einer
komfortablen Lage: Als Sohn von Akademikern passiert er das Öhr fürs Gymnasium
viel eher als ein Arbeiterkind. Nur sechs Prozent der Studierenden stammen aus
bildungsfernen Elternhäusern, ein Positionswechsel vom Tellerwäscherkind zum
Millionär ist in der Schweiz so wahrscheinlich wie das Blühen eines
Bohnenstängels in der Wüste Gobi. Doktortitel vererben sich, wie Armut sich
vererbt.
Warum unten unten bleibt, Blick , 14.3. von Ursula von Arx
Schulen
verfestigen das Bestehende
Für die schlecht
verteilten Chancen gibt es viele Gründe. Eltern, die selbst nicht lange zur
Schule gingen, können ihre Kinder fachlich wenig unterstützen, für Nachhilfe
fehlt das Geld. Sie neigen dazu, das Potenzial ihrer Kinder zu unterschätzen.
Auch die Lehrer tun das, sowie die Kinder selbst – als wäre ihr Kopf nicht
befugt für höhere Bildungssphären.
Schulen sind kaum Orte der
Verheissung, die ihre selbstzweifelnden Besucher dazu animieren würden, über
ihr Umfeld hinauszuwachsen. Eher verfestigen sie bestehende Nachteile und
Privilegien.
Aber viele Eltern, die
jetzt über Gymiprüfungsstress klagen, befördern ihn bewusst oder unbewusst. Der
Umstand, dass Akademikerkinder in Scharen zur Nachhilfe rennen, hat Methode: Er
schützt den bessergestellten Nachwuchs vor der Konkurrenz von unten. Oben
bleibt oben.
Zukunft ist
für alle da
Chancengleichheit jedoch
ist sozialer Kitt. Wo er fehlt, wachsen Hoffnungslosigkeit,
Elitenfeindlichkeit, Populismus und die Sozialausgaben.
Trotzdem stellt die
jämmerlich geringe soziale Mobilität hierzulande keine Versuchung dar für
akuten Tatendrang. Wo sind die wirbelschlagenden Politiker, Lehrer, Eltern, die
Bildungschancen nicht weiter der Geburtslotterie überlassen wollen? Dazu
notwendig wären ein liberal geschärfter Sachverstand sowie der Wunsch, die
Zukunft gründlich zu verbessern – indem man allen eine gibt. Alles würde gut.
Ursula
von Arx (50) ging mit Joannis ins Gymi. Er war Arbeiterkind, Grieche,
Klassenbester – und der beste Kamerad, den man haben konnte. Von Arxschreibt
jeden zweiten Monat im BLICK.
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