Man
nennt sie Digital Natives, digitale Ureinwohner. Gemeint sind die Kinder und
Jugendlichen von heute, die – anders als ihre Eltern – mit den neuen Medien und
ihren allumfassenden Möglichkeiten aufwachsen. Doch während das Smartphone die
junge Generation ständig im Alltag begleitet, ist ihr Unterricht noch
weitgehend computerfrei.
Das
mag daran liegen, dass noch keine Technologie in der Vergangenheit eine so
rasante Entwicklung hingelegt hat wie die Informatik, die Mühlen der
Schulbehörden jedoch langsam mahlen. Da müssen Kommissionen tagen, Konzepte
entwickelt und Lehrpläne geschrieben werden, die dann wiederum von Eltern-,
Schüler-, Lehrervertretern und Hochschulen geprüft und umgeändert werden.
Doch
zum einen widerspricht die Vogel-Strauss-Strategie dem Auftrag der Schule, die
Kinder auf das Leben und die Arbeitswelt vorzubereiten. Und dass die sich
digitalisiert, ist unbestritten. Zum anderen sind die Eltern froh, wenn ihnen
Pädagogen einen Teil der erzieherischen Aufgabe abnehmen und den Kindern den
vernünftigen Umgang mit Computer und Internet zeigen.
Wie
also soll die Schule die Kinder fit für die digitale Zukunft machen? Beat
Döbeli ist Professor für Medien-und Informatikdidaktik an der Pädagogischen
Hochschule Schwyz und damit ein Experte für diese Frage. «Der Computer
verändert die Gesellschaft und die Arbeitswelt tief greifend», sagt er, «und
die Schule muss sich diesen Veränderungen anpassen.»
Beat
Döbeli sammelt als wissenschaftlicher Leiter der Projektschule Goldau auch
praktische Erfahrungen im Einsatz mit digitalen Medien in der Primarschule für
Lehr-und Lernzwecke. Doch wer von dem studierten Informatiker nun ein
vehementes Plädoyer für das digitale Schulzimmer erwartet, wird überrascht. «Es
ist weder entscheidend, dass alle Kinder sofort Tablets bekommen, noch ist es
das Ziel, dass sie nur noch vor dem Bildschirm lernen», sagt Döbeli, den man
sich mit seiner ruhigen und klaren Art gut als Pädagoge vorstellen kann.
«Vielmehr gilt es, zu überlegen, wie Allgemeinbildung in einer Zeit aussieht,
in der jeder alles Wissen und alle Informationen in der Hosentasche trägt.»
Keine
Science-Fiction
Ähnlich
äussert sich ein Kollege Döbelis. Auch von ihm würde man etwas anderes
erwarten, wenn man die gängigen Klischees des technikbegeisterten
Informatikspezialisten im Kopf hat. Juraj Hromkovic ist Professor für
Informationstechnologie und bildet Informatiklehrer für die Schule aus. «Wenn man
sich die Schule der Zukunft so vorstellt, dass jedes Kind ein Tablet bekommt,
liegt man falsch», sagt Juraj Hromkovic, der wie Döbeli an der Konzeption des
Lehrplans 21 beteiligt war, «denn das führt nur zu Konzentrationsschwächen und
ist ziemlich gefährlich.» Viel wichtiger sei es, die Kreativität und die
Selbständigkeit der Schüler zu fördern.
Döbeli
wie Hromkovic wissen: Welche Tasten man drücken muss, um bestimmte
Computerprogramme bedienen zu können, das lernen Kinder heute ganz nebenbei.
Dafür braucht es die Schule nicht. Ebenso wenig steuern wir laut den beiden
Wissenschaftlern auf Science-Fiction wie virtuelle Klassenzimmer zu, in denen
sich die Schüler treffen und am Bildschirm Lernprogramme abarbeiten, ohne je
einen Lehrer zu Gesicht zu bekommen.
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Die
Möglichkeiten der Informations-und Kommunikationstechnologie in der Schule
besser nutzen, das fordert auch der Lehrplan 21. Doch wenn es darum geht, die
Kinder und Jugendlichen fit für die Zukunft zu machen, ist dort zuerst von den
grundlegenden menschlichen Fähigkeiten die Rede, die ein Computer weder fördern
noch ersetzen kann.
So
ist etwa die Sozialkompetenz ein wichtiger Punkt im Lehrplan. Wenn Kinder mehr
in sozialen Netzen und weniger mit echten Freunden unterwegs seien, sollte sie
die Schule zwar über die Gefahren von Facebook und Co. aufklären. Sie müsste
jedoch vor allem für den direkten Austausch und Kontakt in Diskussionen,
Teamarbeiten oder gemeinsamen Unternehmungen in der Klasse sorgen, damit die
Kinder lernen, die Meinungen anderer zu respektieren und sachlich zu
argumentieren. «Wenn ich gelernt habe, mich im echten Leben sozial zu
verhalten, verhalte ich mich auch sozial im Internet», sagt Juraj Hromkovic.
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Fruchtbares
Zusammenspiel
Auf
diese Art und Weise verzahnen sich analoge und digitale Welt, und die Schüler
lernen, sich in der Welt der neuen Medien zurechtzufinden. Wer Sachwissen hat,
weiss, wonach er im Internet suchen muss, und kann bei den Suchergebnissen
zwischen wahr und falsch, zwischen nützlich und unnötig unterscheiden.
Im
Biologieunterricht zum Beispiel können die Schüler das Pflanzenwachstum in
freier Natur beobachten und die Erkenntnisse der Klasse in einem Vortrag
präsentieren. Bauen sie in die Präsentation dann mit dem Smartphone
aufgenommene Fotos ein, lernen sie noch etwas über Bildbearbeitung. «Nicht die
Medien stehen an erster Stelle», sagt deshalb auch Elsbeth Stern, Professorin
für Lehr-und Lernforschung am Institut für Verhaltenswissenschaften der ETH
Zürich, «aber in jedem Fach muss man überlegen, wie die Medien helfen können,
das Wissen besser zu organisieren und zu verstehen.» Das, so die Intelligenzforscherin,
die an der ETH Zürich verantwortlich ist für die Ausbildung von
Gymnasiallehrern, führe zu Medienkompetenz.
Medienkompetenz
allein, also nur das Wissen um den richtigen Einsatz und Umgang mit der
Informations-und Kommunikationstechnologie, genüge jedoch nicht, sind sich die
Experten einig. Es brauche auch den Unterricht in Informatik, damit die Kinder
verstehen, wie Computer arbeiten. Zentrales Thema dabei: das Programmieren, das
im Lehrplan 21 bereits auf der Primarstufe eingeführt wird.
Noch fehlen ausgebildetes Lehrpersonal und gute
Lernmaterialien.
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So
weit sind sich die Experten einig. Beim Stellenwert der Informatik in der
Schule sind sie jedoch unterschiedlicher Meinung. Während Beat Döbeli das Fach
«Medien und Informatik» als gelungene Kombination verschiedener Aspekte der
Digitalisierung sieht, plädiert Juraj Hromkovic für ein eigenständiges Fach
Informatik ohne Medienbildung und Anwendungskompetenzen.
Doch
der Informatikprofessor, der in der Deutschschweiz Programmierkurse für
Primarschüler anbietet, sieht es gelassen: «Ich bin nicht unglücklich, wenn wir
erst einmal in kleinen Schritten anfangen.» Das hat auch praktische Gründe,
denn noch fehlen für den Informatikunterricht ausgebildetes Lehrpersonal und
gute Lernmaterialien.
Informatik
in der Schule: Wer befürchtet hat, dass dabei in Zukunft nur noch
Computerspezialisten für die Wirtschaft gezüchtet werden, kann beruhigt sein.
Natürlich müssen die Kinder verstärkt mit Computern im Unterricht arbeiten, um
auf die Arbeitswelt vorbereitet zu sein. Vor allem aber sollen sie zu mündigen
Benutzern erzogen werden, die entscheiden können, wie sie die Maschinen
sinnvoll und verantwortungsbewusst einsetzen. Die Schule will die Kinder
selbständiges Denken und Handeln lehren. Dabei ist sie auf einem guten Weg.
Der Artikel suggeriert, als sei der Computer eben erst in der Schule angekommen. Informatikunterricht gehört schon seit 20 Jahren zum Lehrplan und wird überall unterrichtet. Auch die geforderte Anwendung in den anderen Fächern ist doch schon längst umgesetzt. Deshalb erstaunen mich Sätze wie "noch fehlen für den Informatikunterricht ausgebildetes Lehrpersonal und gute Lernmaterialien" schon ziemlich. Wir stehen doch nicht am Anfang der Digitalisierung, sondern mittendrin.
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