20. März 2018

Medienkompetenz allein genügt nicht

Man nennt sie Digital Natives, digitale Ureinwohner. Gemeint sind die Kinder und Jugendlichen von heute, die – anders als ihre Eltern – mit den neuen Medien und ihren allumfassenden Möglichkeiten aufwachsen. Doch während das Smartphone die junge Generation ständig im Alltag begleitet, ist ihr Unterricht noch weitgehend computerfrei. 
Das mag daran liegen, dass noch keine Technologie in der Vergangenheit eine so rasante Entwicklung hingelegt hat wie die Informatik, die Mühlen der Schulbehörden jedoch langsam mahlen. Da müssen Kommissionen tagen, Konzepte entwickelt und Lehrpläne geschrieben werden, die dann wiederum von Eltern-, Schüler-, Lehrervertretern und Hochschulen geprüft und umgeändert werden.
Die digitale Welt erreicht die Schule, Schweizer Familie, 19.3.



Bevor die Mühlen zu mahlen beginnen, müssen sich die Verantwortlichen grundsätzlich über den Umgang der Schule mit dem Thema Computer einig werden. Es gibt Stimmen wie die des bekannten deutschen Gehirnforschers Manfred Spitzer, die den Computer komplett aus den Klassenzimmern verbannen wollen, weil sich die Kinder in der Freizeit damit eh schon zu viel beschäftigen.

Doch zum einen widerspricht die Vogel-Strauss-Strategie dem Auftrag der Schule, die Kinder auf das Leben und die Arbeitswelt vorzubereiten. Und dass die sich digitalisiert, ist unbestritten. Zum anderen sind die Eltern froh, wenn ihnen Pädagogen einen Teil der erzieherischen Aufgabe abnehmen und den Kindern den vernünftigen Umgang mit Computer und Internet zeigen.

Wie also soll die Schule die Kinder fit für die digitale Zukunft machen? Beat Döbeli ist Professor für Medien-und Informatikdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Schwyz und damit ein Experte für diese Frage. «Der Computer verändert die Gesellschaft und die Arbeitswelt tief greifend», sagt er, «und die Schule muss sich diesen Veränderungen anpassen.» 

Beat Döbeli sammelt als wissenschaftlicher Leiter der Projektschule Goldau auch praktische Erfahrungen im Einsatz mit digitalen Medien in der Primarschule für Lehr-und Lernzwecke. Doch wer von dem studierten Informatiker nun ein vehementes Plädoyer für das digitale Schulzimmer erwartet, wird überrascht. «Es ist weder entscheidend, dass alle Kinder sofort Tablets bekommen, noch ist es das Ziel, dass sie nur noch vor dem Bildschirm lernen», sagt Döbeli, den man sich mit seiner ruhigen und klaren Art gut als Pädagoge vorstellen kann. «Vielmehr gilt es, zu überlegen, wie Allgemeinbildung in einer Zeit aussieht, in der jeder alles Wissen und alle Informationen in der Hosentasche trägt.»

Keine Science-Fiction

Ähnlich äussert sich ein Kollege Döbelis. Auch von ihm würde man etwas anderes erwarten, wenn man die gängigen Klischees des technikbegeisterten Informatikspezialisten im Kopf hat. Juraj Hromkovic ist Professor für Informationstechnologie und bildet Informatiklehrer für die Schule aus. «Wenn man sich die Schule der Zukunft so vorstellt, dass jedes Kind ein Tablet bekommt, liegt man falsch», sagt Juraj Hromkovic, der wie Döbeli an der Konzeption des Lehrplans 21 beteiligt war, «denn das führt nur zu Konzentrationsschwächen und ist ziemlich gefährlich.» Viel wichtiger sei es, die Kreativität und die Selbständigkeit der Schüler zu fördern.

Döbeli wie Hromkovic wissen: Welche Tasten man drücken muss, um bestimmte Computerprogramme bedienen zu können, das lernen Kinder heute ganz nebenbei. Dafür braucht es die Schule nicht. Ebenso wenig steuern wir laut den beiden Wissenschaftlern auf Science-Fiction wie virtuelle Klassenzimmer zu, in denen sich die Schüler treffen und am Bildschirm Lernprogramme abarbeiten, ohne je einen Lehrer zu Gesicht zu bekommen.


Wie aber sollen denn nun die neuen Medien in der Schule eingesetzt werden? Selbstverständlich sollen sie die Lehrer nicht ersetzen, sondern vielmehr die Methodenvielfalt erhöhen, den Unterricht spannender machen und die Lehrpersonen bei den Übungsphasen entlasten. So kann ein Computer zum Beispiel die Matheaufgaben oder Vokabeln wiederholen, bei denen ein Schüler Schwierigkeiten hat, und sich so individuell auf dessen Lernfortschritt einstellen.

Die Möglichkeiten der Informations-und Kommunikationstechnologie in der Schule besser nutzen, das fordert auch der Lehrplan 21. Doch wenn es darum geht, die Kinder und Jugendlichen fit für die Zukunft zu machen, ist dort zuerst von den grundlegenden menschlichen Fähigkeiten die Rede, die ein Computer weder fördern noch ersetzen kann. 
So ist etwa die Sozialkompetenz ein wichtiger Punkt im Lehrplan. Wenn Kinder mehr in sozialen Netzen und weniger mit echten Freunden unterwegs seien, sollte sie die Schule zwar über die Gefahren von Facebook und Co. aufklären. Sie müsste jedoch vor allem für den direkten Austausch und Kontakt in Diskussionen, Teamarbeiten oder gemeinsamen Unternehmungen in der Klasse sorgen, damit die Kinder lernen, die Meinungen anderer zu respektieren und sachlich zu argumentieren. «Wenn ich gelernt habe, mich im echten Leben sozial zu verhalten, verhalte ich mich auch sozial im Internet», sagt Juraj Hromkovic.


In der Schule müssen die Kinder vor allem Erfahrungen sammeln können, Entdeckungen machen und lernen, Probleme eigenständig zu lösen. Selbst Faktenwissen, das man mühelos im Internet nachschlagen kann, wird in der Schule der Zukunft nicht überflüssig. Allerdings nicht als stures Auswendiglernen. Die Schüler sollen vielmehr Erkenntnisse, Entdeckungen und Entwicklungen früherer Zeiten kennen, um Zusammenhänge zu begreifen und neue Lösungswege zu finden. Dieses Grundlagenwissen hilft ihnen wiederum, die Informationen im digitalen Netz zu bewerten und auszuwählen.

Fruchtbares Zusammenspiel

Auf diese Art und Weise verzahnen sich analoge und digitale Welt, und die Schüler lernen, sich in der Welt der neuen Medien zurechtzufinden. Wer Sachwissen hat, weiss, wonach er im Internet suchen muss, und kann bei den Suchergebnissen zwischen wahr und falsch, zwischen nützlich und unnötig unterscheiden.

Im Biologieunterricht zum Beispiel können die Schüler das Pflanzenwachstum in freier Natur beobachten und die Erkenntnisse der Klasse in einem Vortrag präsentieren. Bauen sie in die Präsentation dann mit dem Smartphone aufgenommene Fotos ein, lernen sie noch etwas über Bildbearbeitung. «Nicht die Medien stehen an erster Stelle», sagt deshalb auch Elsbeth Stern, Professorin für Lehr-und Lernforschung am Institut für Verhaltenswissenschaften der ETH Zürich, «aber in jedem Fach muss man überlegen, wie die Medien helfen können, das Wissen besser zu organisieren und zu verstehen.» Das, so die Intelligenzforscherin, die an der ETH Zürich verantwortlich ist für die Ausbildung von Gymnasiallehrern, führe zu Medienkompetenz.

Medienkompetenz allein, also nur das Wissen um den richtigen Einsatz und Umgang mit der Informations-und Kommunikationstechnologie, genüge jedoch nicht, sind sich die Experten einig. Es brauche auch den Unterricht in Informatik, damit die Kinder verstehen, wie Computer arbeiten. Zentrales Thema dabei: das Programmieren, das im Lehrplan 21 bereits auf der Primarstufe eingeführt wird.

Noch fehlen ausgebildetes Lehrpersonal und gute Lernmaterialien.
 «Programmieren zeigt die Denkweise von Computern», sagt Beat Döbeli. Die Kinder würden so erkennen, wo die Stärken, aber auch die Grenzen der Maschinen liegen. Programmieren fördere die Kreativität, weil die Kinder unterschiedliche Lösungswege für ein Problem entwickeln könnten, meint auch Juraj Hromkovic. Sogar auf die Kommunikationsfähigkeit habe das Programmieren positive Auswirkungen. Weil die Kinder beim Programmmieren die Sprache für die Verständigung mit dem Rechner mitgestalten, lernen sie klar formulieren und entdecken, wie sich natürliche Sprachen entwickeln.
So weit sind sich die Experten einig. Beim Stellenwert der Informatik in der Schule sind sie jedoch unterschiedlicher Meinung. Während Beat Döbeli das Fach «Medien und Informatik» als gelungene Kombination verschiedener Aspekte der Digitalisierung sieht, plädiert Juraj Hromkovic für ein eigenständiges Fach Informatik ohne Medienbildung und Anwendungskompetenzen.

Doch der Informatikprofessor, der in der Deutschschweiz Programmierkurse für Primarschüler anbietet, sieht es gelassen: «Ich bin nicht unglücklich, wenn wir erst einmal in kleinen Schritten anfangen.» Das hat auch praktische Gründe, denn noch fehlen für den Informatikunterricht ausgebildetes Lehrpersonal und gute Lernmaterialien.
Informatik in der Schule: Wer befürchtet hat, dass dabei in Zukunft nur noch Computerspezialisten für die Wirtschaft gezüchtet werden, kann beruhigt sein. Natürlich müssen die Kinder verstärkt mit Computern im Unterricht arbeiten, um auf die Arbeitswelt vorbereitet zu sein. Vor allem aber sollen sie zu mündigen Benutzern erzogen werden, die entscheiden können, wie sie die Maschinen sinnvoll und verantwortungsbewusst einsetzen. Die Schule will die Kinder selbständiges Denken und Handeln lehren. Dabei ist sie auf einem guten Weg.

1 Kommentar:

  1. Der Artikel suggeriert, als sei der Computer eben erst in der Schule angekommen. Informatikunterricht gehört schon seit 20 Jahren zum Lehrplan und wird überall unterrichtet. Auch die geforderte Anwendung in den anderen Fächern ist doch schon längst umgesetzt. Deshalb erstaunen mich Sätze wie "noch fehlen für den Informatikunterricht ausgebildetes Lehrpersonal und gute Lernmaterialien" schon ziemlich. Wir stehen doch nicht am Anfang der Digitalisierung, sondern mittendrin.

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