8. März 2018

Hauptproblem liegt nicht beim Übergang von der Schiefertafel zu Powerpoint

Der Befund stimmt nicht nur für die deutsche Bildungslandschaft. Was Jürgen Kaube, ein waschechter, konservativer Journalist und Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beklagt, trifft auch auf Basel zu: «Seit den Siebzigerjahren wird das Schulsystem in beispielloser Weise von politischen Reformwellen heimgesucht. Sie überspülen und unterspülen mit so hoher Frequenz die Schule, dass inzwischen nur noch Verwaltungsspezialisten und Bildungshistoriker wissen, welche Regeländerungen gerade in Kraft getreten sind, welche sich, kaum, dass man sich an sie gewöhnt hat, schon wieder auf dem Rückzug befinden und welche nach kurzer Abwesenheit unter anderem Etikett neuerlich Druck auf Unterricht und die Schulorganisation ausüben.» (FAZ, 4.9.2014)
Sex and the ED, Basler Zeitung, 8.3. von Roland Stark


Nichts verstört Bildungsbürokraten tiefer als die schaurige Vorstellung, die Lehrerinnen und Lehrer würden sich ein paar Jahre lang in ihrem Kerngeschäft im Klassenzimmer widmen können, ohne vom Veränderungs- und Kontrollwahn übereifriger Konzeptproduzenten attackiert zu werden. Der ehemalige Baselbieter Erziehungsdirektor Urs Wüthrich hat die Unruhestifter auf den Teppichetagen einmal mit dem schiefen Bild entschuldigt, jede erfolgreiche Schreinerei hätte in den letzten Jahren wesentlich mehr Reformen hinter sich gebracht als unsere Schulen. Er meint wohl: Was früher der Tischler in Handarbeit gemacht hat, erledigen heute computergesteuerte Maschinen. Was für ein folgenschweres Missverständnis: Das Hauptproblem in der Schule ist doch nicht der Übergang von der Schiefertafel zum Power-Point-Beamer.

Jahrzehntelang verharrte die bildungspolitische Debatte im Tiefschlaf. Weitgehend unbehelligt vom öffentlichen Interesse wurde Reform um Reform durchgezwängt. Lehrpläne und Lernmethoden kamen und gingen. Während die Diesel-Schadstofftests der Automobilindustrie an Affen und Menschen laute Proteste auslösen, wurden die Erziehungsversuche an Kindern stillschweigend hingenommen und sogar mit Steuergeldern gefördert.

Frontal, im Kreis, monologisch, dialogisch oder überhaupt logisch, mit Drannehmen oder ohne, Fehler berichtigend oder auf Selbstkorrektur durch die Klasse wartend, zu ihr auffordernd oder liebevoll schonungsvoll, in Richtung Wissen oder Können oder Kompetenz, Selbstkompetenz, Sozialkompetenz, Präsentationskompetenz, Teamkompetenz, Unterstreichkompetenz. Auswendig lernen oder nicht, fachorientiert, interdisziplinär, projektorientiert, problemorientiert. Jürgen Kaubes Aufzählung liesse sich als Fortsetzungsroman monatelang weiterführen.

In der Politik stösst die Vorstellung, Entscheidungsbefugnisse in wichtigen Bereichen an «fremde Richter» zu delegieren, auf harten Widerstand. An den Schulen hingegen lässt man es sich gefallen, dass radikale Richtungswechsel – Paradebeispiel Integration – mit der dünnen Begründung exekutiert werden, in der Unesco-Erklärung von Salamanca seien die Reformen 1994 verbindlich beschlossen worden.

Nun aber bläst ein zartes Lüftchen des Wandels durch die Flure des Erziehungsdepartements. Mitten in der Schaltzentrale des ED hat sich ein innovativer Mitarbeiter ein Liebesnest für seine Schäferstündchen eingerichtet. Französisches Bett inklusive. Endlich zeigt der 68er-Groove auch in der Verwaltung Wirkung. «Make love, not war!» Auf gut Deutsch: Mehr Sex, weniger Papierkrieg.

Und die Lehrerinnen und Lehrer schöpfen wieder Hoffnung.


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