Der
Befund stimmt nicht nur für die deutsche Bildungslandschaft. Was Jürgen Kaube,
ein waschechter, konservativer Journalist und Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beklagt,
trifft auch auf Basel zu: «Seit den Siebzigerjahren wird das Schulsystem in
beispielloser Weise von politischen Reformwellen heimgesucht. Sie überspülen
und unterspülen mit so hoher Frequenz die Schule, dass inzwischen nur noch
Verwaltungsspezialisten und Bildungshistoriker wissen, welche Regeländerungen
gerade in Kraft getreten sind, welche sich, kaum, dass man sich an sie gewöhnt
hat, schon wieder auf dem Rückzug befinden und welche nach kurzer Abwesenheit
unter anderem Etikett neuerlich Druck auf Unterricht und die Schulorganisation
ausüben.» (FAZ, 4.9.2014)
Sex and the ED, Basler Zeitung, 8.3. von Roland Stark
Nichts
verstört Bildungsbürokraten tiefer als die schaurige Vorstellung, die
Lehrerinnen und Lehrer würden sich ein paar Jahre lang in ihrem Kerngeschäft im
Klassenzimmer widmen können, ohne vom Veränderungs- und Kontrollwahn
übereifriger Konzeptproduzenten attackiert zu werden. Der ehemalige Baselbieter
Erziehungsdirektor Urs Wüthrich hat die Unruhestifter auf den Teppichetagen
einmal mit dem schiefen Bild entschuldigt, jede erfolgreiche Schreinerei hätte
in den letzten Jahren wesentlich mehr Reformen hinter sich gebracht als unsere
Schulen. Er meint wohl: Was früher der Tischler in Handarbeit gemacht hat,
erledigen heute computergesteuerte Maschinen. Was für ein folgenschweres
Missverständnis: Das Hauptproblem in der Schule ist doch nicht der Übergang von
der Schiefertafel zum Power-Point-Beamer.
Jahrzehntelang
verharrte die bildungspolitische Debatte im Tiefschlaf. Weitgehend unbehelligt
vom öffentlichen Interesse wurde Reform um Reform durchgezwängt. Lehrpläne und
Lernmethoden kamen und gingen. Während die Diesel-Schadstofftests der
Automobilindustrie an Affen und Menschen laute Proteste auslösen, wurden die
Erziehungsversuche an Kindern stillschweigend hingenommen und sogar mit
Steuergeldern gefördert.
Frontal,
im Kreis, monologisch, dialogisch oder überhaupt logisch, mit Drannehmen oder
ohne, Fehler berichtigend oder auf Selbstkorrektur durch die Klasse wartend, zu
ihr auffordernd oder liebevoll schonungsvoll, in Richtung Wissen oder Können oder
Kompetenz, Selbstkompetenz, Sozialkompetenz, Präsentationskompetenz,
Teamkompetenz, Unterstreichkompetenz. Auswendig lernen oder nicht,
fachorientiert, interdisziplinär, projektorientiert, problemorientiert. Jürgen
Kaubes Aufzählung liesse sich als Fortsetzungsroman monatelang weiterführen.
In
der Politik stösst die Vorstellung, Entscheidungsbefugnisse in wichtigen
Bereichen an «fremde Richter» zu delegieren, auf harten Widerstand. An den
Schulen hingegen lässt man es sich gefallen, dass radikale Richtungswechsel –
Paradebeispiel Integration – mit der dünnen Begründung exekutiert werden, in
der Unesco-Erklärung von Salamanca seien die Reformen 1994 verbindlich
beschlossen worden.
Nun
aber bläst ein zartes Lüftchen des Wandels durch die Flure des Erziehungsdepartements.
Mitten in der Schaltzentrale des ED hat sich ein innovativer Mitarbeiter ein
Liebesnest für seine Schäferstündchen eingerichtet. Französisches Bett
inklusive. Endlich zeigt der 68er-Groove auch in der Verwaltung Wirkung. «Make
love, not war!» Auf gut Deutsch: Mehr Sex, weniger Papierkrieg.
Und
die Lehrerinnen und Lehrer schöpfen wieder Hoffnung.
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