Es war ein stürmisches Jahrzehnt für die Volksschule: Schulleitungen
wurden eingesetzt, Horte und Mittagstische eröffnet, Kleinklassen geschlossen,
der Kindergarten in die Schule integriert, und letztes Jahr kam es zum zweiten
Mal zu einem erbitterten Kampf um den Fremdsprachenunterricht. Nun werden die
Zürcher Stimmberechtigten am 4. März erneut an die Urnen gerufen.
Diese Initiative ist schädlich und unnötig, Tages Anzeiger, 19.2. von Daniel Schneebeli
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Eine überparteilich zusammengesetzte Gruppe von Lehrpersonen und
konservativen Schulinteressierten verlangt mit einer Volksinitiative, dass
Lehrpläne im Kanton Zürich in Zukunft vom Kantonsrat und vom Volk festgelegt
werden. Heute erledigt diese Aufgabe, wie in den anderen Kantonen, ein Gremium
von Fachleuten. In Zürich ist dies der Bildungsrat.
Die Initianten bezeichnen die heutige Erarbeitung der Lehrpläne als
undemokratisch. Für sie sind die neun Bildungsräte «Bürokraten» und
«praxisferne Theoretiker» – oder zumindest sind sie von solchen gesteuert.
Darum wollen die Initianten die Kompetenz zum Erlass von Lehrplänen dem
Parlament und dem Volk übertragen. Für sie würde dies die Legitimation des
Lehrplans erhöhen.
Gegen den Ausbau von demokratischen Rechten ist eigentlich nichts
einzuwenden, in diesem Fall ist er hingegen unnötig und schädlich. Unnötig,
weil sich die heutige Regelung seit Jahrzehnten in der ganzen Schweiz bewährt,
und schädlich, weil die Volksschule nicht zum Sprachrohr der politischen
Mehrheit werden darf. Die Volksschule sollte den Kindern die Welt erklären, und
zwar so ungefärbt wie möglich. Vor allem aber sollte sie den Schülerinnen und
Schülern beibringen, wie sie später ihr Leben selbstständig meistern können.
Mehrheit schlägt Minderheit
Dass es am 4. März überhaupt zur Volksabstimmung kommt, liegt am neuen
Lehrplan 21, der im Sommer eingeführt wird. Die Initianten wehren sich gegen
diesen Lehrplan, weil daran fremde Kantone mitgearbeitet haben. Das sei
verfassungswidrig, die Hoheit über die Volksschule liege gemäss
Bundesverfassung allein beim Kanton Zürich. Das stimmt zwar, doch die
Initianten blenden aus, dass die Kantone im gleichen Artikel 62 der
Bundesverfassung zur Harmonisierung der Lehrpläne verpflichtet werden. Mit dem
Lehrplan 21 hat der Zürcher Bildungsrat nichts anderes getan, als den vom Volk
gewünschten Verfassungsauftrag umgesetzt.
Zudem ist die Behauptung falsch, dass der Lehrplan 21 undemokratisch
verfügt wurde. Der Bildungsrat ist nicht nur demokratisch vom Kantonsrat
gewählt, er hat auch sämtliche Betroffenen und speziell die Lehrerschaft in die
Erarbeitung des Lehrplans einbezogen. Dabei konnten diese mehrfach Einwände
anbringen, die teilweise auch berücksichtigt wurden. Die Einwände der
Initianten sind nicht in den Lehrplan eingeflossen, weil sie unter Lehrern,
Behörden, Eltern und Wissenschaftlern nicht mehrheitsfähig waren.
Undemokratisch ist das Verfahren deswegen nicht, im Gegenteil. Es gehört zum
Wesen der Demokratie, dass sich am Ende die Minderheit der Mehrheit beugen
muss.
Mit dieser Volksinitiative können die Stimmberechtigten indirekt auch
ihre Meinung zum Lehrplan 21 abgeben. Darum drängt sich die Frage doch auf: Ist
dieser Lehrplan die richtige Basis für unsere Volksschule? Dazu sollte man
wissen: Alle Lehrerverbände im Kanton Zürich loben das neue Regelwerk und
beurteilen es als praxistauglich. Und hinter diesen Stellungnahmen steckt die
Mehrheit der Verbandsmitglieder, also der Lehrerinnen und Lehrer. Die Kritik
der Initianten ist hingegen pauschal und unpräzis. Sie hätten gerne eine andere
Formulierung der Lernziele, sprechen von Überregulierung. Hinter ihrem
Widerstand steht eine grundsätzliche Ablehnung der laufenden Schulentwicklung.
Sie wehren sich gegen moderne Unterrichtsformen, gegen Bildungsprogramme,
Sprachlastigkeit und Individualisierung. Kurz: Sie wünschen sich eine Schule,
wie sie einmal war. Dies zeigen auch die Namen im Initiativkomitee. Viele von
ihnen haben vor 15 Jahren schon gegen das neue Volksschulgesetz gekämpft und
kürzlich gegen die zweite Fremdsprache an der Primarschule – erfolglos. Mit
ihrem Einsatz gegen den Lehrplan 21 setzen sie dieses Engagement fort.
Grosse Verunsicherung
Die laufende Entwicklung und Modernisierung der Volksschule geniesst
mittlerweile nicht nur im Volk grosse Akzeptanz, sondern auch in der
Lehrerschaft. Darum könnte ein Ja zu dieser Initiative zu grosser
Verunsicherung führen und die Schule gar aus der Bahn werfen. Man sollte auf
der Autobahn bei Tempo 120 km/h nicht den Rückwärtsgang einlegen.
In den Kantonen Aargau, Thurgau, Schaffhausen, Solothurn und Baselland
haben die Stimmberechtigten auf dieses Manöver verzichtet und ähnliche
Initiativen abgelehnt. Zürcherinnen und Zürcher sollten das Gleiche tun, damit
die Volksschule langsam wieder zur Ruhe kommt.
Alle Lehrerverbände im Kanton loben das neue Regelwerk und beurteilen es
als praxistauglich.
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