Appell an den «gesunden
Menschenverstand»
An der öffentlichen Urteilsverhandlung
argumentierten die fünf Bundesrichter, die Kindergärtnerinnen hätten nicht
genügend glaubhaft gemacht, dass eine Lohndiskriminierung nach dem
Gleichstellungsgesetz vorliege. Dieses Gesetz aus dem Jahr 1995 räumt in
solchen Fällen eine erleichterte Beweislast ein, das heisst, dass eine solche
Diskriminierung glaubhaft gemacht und nicht bewiesen werden muss. Die Mehrheit
des Richtergremiums, zwei Richterinnen und der Vorsitzende Marcel Maillard, war
nun aber der Ansicht, dass die Kindergärtnerinnen nicht ausreichend glaubhaft
aufgezeigt hätten, dass im alten Besoldungssystem eine geschlechtsbedingte
Lohndiskriminierung bestanden habe und eine solche in das neue Besoldungssystem
mitgenommen worden sei.
Dazu hätten sie aufzeigen müssen, im
Vergleich zu welcher Berufsgruppe mit einem gleichwertigen Tätigkeitsfeld sie
lohnmässig diskriminiert worden sind. Dies entspricht der bisherigen
bundesgerichtlichen Rechtsprechung.
Ebenfalls problematisch an dem Fall
sei, so das Gericht, dass nicht alle Kindergärtnerinnen wegen
Geschlechterdiskriminierung geklagt hätten, sondern nur jene berufserfahrenere
Gruppe von 24 Frauen. Und diese hätten ja im neuen Lohnsystem 400 Franken pro
Monat mehr verdient als vorher. «Es widerspricht dem gesunden Menschenverstand,
dass eine Geschlechterdiskriminierung stattfand, obwohl der Lohn
erwiesenermassen angehoben wurde», sagte Bundesrichterin Alexia Heine.
Die Minderheit von zwei Richtern war hingegen
der gleichen Auffassung wie das Schaffhauser Obergericht: Die Diskriminierung
sei glaubhaft genug gemacht worden. Als Indiz zogen sie nochmals die Aussage
von alt Regierungsrat Albicker aus dem Kantonsrat im November 2007 heran, der
im Kantonsrat gesagt hatte, dass es sich beim Beruf der Kindergärtnerinnen um einen
«typischen Frauenberuf» handle, und dass «bei uns die Kindergärtnerinnen seit
Jahren zu wenig verdient» hätten. Nach der Neuzuteilung ab 2005 hätten sich
zwar viele Kindergärtnerinnen innerhalb des Lohnbands in der Lohnbandposition c
befunden. Bei typischen Männerberufen lägen die meisten Arbeitnehmer mit mehr
als 20 Dienstjahren hingegen in den Lohnbandpositionen d und e. Weiter mahnten
die beiden Richter, Sinn der Beweislasterleichterung im Gleichstellungsgesetz
sei, dass man den Beschwerdeführerinnen in Diskriminierungsverfahren nicht
allzu strenge Anforderungen auferlege.
Just diesen Punkt genauer zu
untersuchen und einen konkreten Vergleich zu anderen Berufsgruppen anzustellen,
haben die Beschwerdeführerinnen aber unterlassen. Das Obergericht hatte zwar
zwei Gutachten anfertigen lassen, die aber aus Sicht des Bundesgerichts eine
allfällige Diskriminierung nicht auswiesen und auch kein Licht in die Frage
einer allfälligen rechtsungleichen Besoldung innerhalb der gleichen
Berufsgruppe der Kindergärtnerinnen brachte.
Das Obergericht hatte sich mit dieser
letzten Frage dann auch nicht mehr befasst. Nun müsse es dies nachholen, sagte
Maillard: «Der Lohndiskriminierung aufgrund des Geschlechts hingegen sehen wir
das Fundament entzogen.»
Empörung über das Urteil
Das Schaffhauser Obergericht kann
daher jetzt höchstens noch die rechtsungleiche Behandlung der
Beschwerdeführerinnen gegenüber den jüngeren Berufskolleginnen neu beurteilen.
Empört zeigte sich vor Ort der
Rechtsberater der 24 Beschwerdeführerinnen, Jürg Tanner. «Es ist absurd; als
hätte man sich in die Champions League vorgekämpft, und dann sind die
Schiedsrichter parteiisch», so Tanner. Zwei SP-Richter seien gestern zwei
SVP-Richterinnen und einem CVP-Gerichtspräsidenten gegenübergestanden. «Die
offensichtlich unter sich heftig zerstrittene Kammer des Bundesgerichts hat
sich mit einem formalen Argument davor gedrückt, die Sachlage genau
anzuschauen.»
Enttäuschung bei den
Kindergärtnerinnen, Erleichterung bei der Kantonsregierung
Als Enttäuschung bezeichnet die Präsidentin
des Lehrervereins (LVS), Cordula Schneckenburger, den Entscheid des
Bundesgerichts. «Ich habe mir für die Kindergärtnerinnen sehr gewünscht, dass
sie endlich einmal einen Strich darunter ziehen können», sagt sie. Sie habe mit
ihnen das weitere Vorgehen noch nicht besprochen. Aber die Enttäuschung unter
den Frauen sei sicher gross.
Etwas
Hoffnung bleibe aber: Das Bundesgericht habe die Beschwerde des Regierungsrats
nur teilweise gutgeheissen. «Die Bundesrichter haben entschieden, dass eine
geschlechtsdiskriminierende Entlöhnung nicht gegeben ist, aber es muss noch
geprüft werden, ob es nicht zu einer Diskriminierung der älteren
Kindergartenlehrkräfte innerhalb der Berufsgruppe kam.» Weshalb die Sache auch
wieder zurück zum Obergericht verwiesen wurde. Allerdings befürchtet
Schneckenburger, dass der Regierungsrat wieder vors Bundesgericht ziehen würde,
sollte das Obergericht den Kindergärtnerinnen in dieser Sache recht geben. «Das
wird noch eine längere Geschichte», sagt sie.
«Der
Hauptpunkt ist geklärt»
Als Vertreter der Kantonsregierung in
dieser Sache war Stefan Bilger in Luzern vor Ort. Als befriedigend für die
Regierung bezeichnet der Staatsschreiber das Urteil des Bundesgerichts. «Im
Hauptpunkt, was die geschlechterdiskriminierende Entlohnung angeht, ist die
Sache nun abgeschlossen», sagt er. Natürlich, formal gesehen habe das
Bundesgericht die Beschwerde des Regierungsrates nur teilweise gutgeheissen.
Was
die arbeitsrechtliche Lohnungleichheit angehe, stehe noch eine Frage offen,
die das Obergericht bisher nicht geklärt habe. «Ob das Fleisch und Knochen hat,
wird das Urteil zeigen», sagt Bilger. In dieser Angelegenheit gelte nun nicht
mehr die erleichterte Beweislast wie bei der vermuteten Benachteiligung
aufgrund des Geschlechts. Unter diesen Voraussetzungen sei es nun an den
Kindergärtnerinnen, Beweise anzuführen. Bilger meint: «Das wird schwierig sein.»
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