Vier neue
Schulhäuser wurden im Rahmen der Schul-Harmonisierung in Basel-Stadt gebaut,
zahlreiche weitere saniert. Doch das reicht nicht. Die Prognosen zu den
Schülerzahlen haben das Wachstum der Stadt unterschätzt.
Wie kann das sein? Basel baut Schulhäuser und trotzdem fehlt es an Platz, Tageswoche, 23.2. von Catherine Weyer
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Am 1.
April 2017 gab es im Hirzbrunnen-Quartier nichts als strahlende Gesichter:
Schüler, Lehrerinnen und auch zwei Regierungsräte feierten die Eröffnung des
neuen Schoren-Schulhauses.
Zwei
Jahre hatten die Bauarbeiten für das viergeschossige Schulhaus gedauert, das
neben einer Doppel-Turnhalle und einem Kindergarten auch Platz für sechs
Primarklassen bietet – eine Klasse pro Schuljahr. Kosten: 21 Millionen Franken.
Sechs
Klassen, das bedeutet gleich viel Raumkapazität wie im ehemaligen Schulhaus ein
paar Häuserzeilen weiter.
Der Plan:
Im alten Schulhaus wird noch so lange unterrichtet, wie am neuen Ort gebaut
wird, danach wird es nicht mehr benötigt. Deshalb entschied sich die Regierung
auch dagegen, Sanierungsarbeiten wie an fast allen anderen Schulhäusern
der Stadt durchzuführen.
Doch der
Plan war kurze Zeit später schon wieder Makulatur. Das Erziehungsdepartement
hatte sich bei den Schülerzahlen verschätzt, die Räumlichkeiten des alten Schoren-Schulhauses
werden weiter benötigt.
Was ist
passiert?
Der
Verantwortliche für die Schulraumplanung sitzt in seinem Büro an der
Leimenstrasse, vor sich mehrere Stapel mit Dokumentationen der
Schulraum-Offensive. Hier laufen die Fäden der drei involvierten Departemente
zusammen: Das Erziehungsdepartement bestellt, das Baudepartement baut und das
Finanzdepartement zahlt. 790 Millionen Franken. Nicht mehr.
Thomas
Riedtmann ist der Hüter dieser 790 Millionen. «Ich werde gehängt, wenn das Geld
nicht für alle Bauprojekte ausreicht», sagt er mit einem verschmitzten Lächeln.
Das Mammutprojekt ist gut unterwegs, das Geld wird aller Voraussicht nach
reichen.
Der Stadt fehlt Schulraum
Trotzdem
kann sich Riedtmann nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. Denn in der ganzen
Stadt fehlt es an Schulraum. Prominentestes Beispiel: die Voltamatte. Die
beiden bestehenden Schulhäuser Volta und St. Johann sind voll, deshalb braucht
es ein neues Schulhaus auf dem Lysbüchel. Bis das steht, das heisst bis
mindestens 2021, ist die Grünfläche im St. Johann von einem provisorischen
Schulhaus belegt. Verteilt auf 37 Container gibt es hier Raum für zwölf
Primarklassen, zwei Kindergärten und eine Tagesstruktur.
Diese
Container hat die Stadt Basel gemietet, um den Raumengpass zu überbrücken. Und
nicht nur das: 29,5 Millionen Franken liess die Regierung springen, um weitere
solche temporären Schulbauten zu kaufen.
Entstanden
ist der Engpass auch aufgrund des Sanierungsbedarfes, der sich durch die
Schulharmonisierung ergab. Die Primarschulen brauchen mehr Klassenräume,
Orientierungsschulen gibt es nicht mehr, die Gymnasialzeit ist kürzer. Das
macht überall Umbauarbeiten nötig. Derzeit ist ein Grossteil der mobilen Bauten
im Hirzbrunnenquartier im Einsatz, wo das Gymnasium Bäumlihof saniert wird und
die Schulräume ausgelagert werden mussten.
Aber auch
zwei Klassen der Hirzbrunnen-Primarschule sind hier untergebracht. Ihr
eigentliches Schulhaus wurde erst vor Kurzem umfassend saniert, doch bereits
bei der Wiedereröffnung fehlte es an Platz. Derzeit werden 17 Klassen dort
unterrichtet – ausgerichtet ist das Schulhaus auf zwölf.
Das
Problem des fehlenden Schulraums löst das Erziehungsdepartement also, indem es
temporäre Schulbauten aufstellt. Je nachdem für einige Jahre. Das sei legitim,
findet Thomas Riedtmann: «Wir können nicht einfach auf Vorrat Schulraum bauen,
der nicht genutzt wird, das ist viel zu teuer.»
Für ihn
ist die Rechnung eine einfache: Ein Primarschulhaus für zwölf Klassen
kostet über den Daumen gepeilt 35 Millionen Franken. Das Erziehungsdepartement
besitzt temporäre Schulbauten mit insgesamt 132 Unterrichtsräumen, die weniger
kosten. «Mit diesen können wir flexibel auf die Bedürfnisse reagieren», erklärt
Riedtmann.
Wie rechnet das Statistische Amt?
Trotzdem:
Es fehlt an Schulzimmern. Und das, obwohl erst im Jahr 2011 entschieden wurde,
wo es zusätzlichen Raum braucht – damals wurden unter anderem die Neubauten
Erlenmatt, Sandgruben und Schoren beschlossen.
Wer trägt
die Verantwortung für diese Fehlplanung? Schulraumkoordinator Thomas Riedtmann
sagt: «Wir erhalten die Daten vom Statistischen Amt.» Dort sei man davon
ausgegangen, dass die Kindergärtnerzahlen aus dem Jahr 2010 relativ stabil
bleiben würden, bei den Primarklassen prognostizierte man langfristig
Schülerzahlen von rund 6850 Kindern pro Jahr, was insgesamt 360 Klassen
entspricht. Oder besser: entsprechen würde.
Denn bei
den Kindergärten passte diese Annahme gerade einmal für ein Jahr. Ab 2011
stiegen die Zahlen kontinuierlich, 2016 haben sie sich einigermassen
eingependelt bei einem Plus von durchschnittlich 480 Kindern im Vergleich zur
Prognose.
Die
Fehlkalkulation bei den Kindergärtnern wirkt sich automatisch auch auf die
Primarklassen aus. Hier werden die Prognosen seit 2014 übertroffen. Geht man
von 20 Schülern pro Klasse aus, gab es im Jahr 2017 insgesamt 33 Klassen mehr
als 2011 prognostiziert.
Beim
Statistischen Amt reagiert man gelassen auf die Frage, weshalb es sich bei
seinen Berechnungen verschätzt habe. Geduldig erklären Kuno Bucher und Robert
Luginbühl, mit welchen Daten sie arbeiten. Und sie betonen: «Was wir hier
machen, sind Prognosen.» Die Zahlen-Spezialisten nutzen Daten aus der
Vergangenheit, um einen Blick in die Zukunft zu werfen.
Mit dem
Durchschnittswert der vergangenen drei Jahre macht das Statistische Amt die
Berechnungen für die kommenden fünf Jahre. «Die Datenbasis ist schmal. Es
bleibt ein Stück weit Kaffeesatzlesen», gibt Luginbühl unumwunden zu.
Langfristige Prognosen seien nicht möglich.
Kommt
erschwerend hinzu: Mit der Schulharmonisierung sind neue Schulstufen
entstanden, für die keine historischen Daten vorliegen. «Zu Beginn konnten wir
für das neue Schulsystem nur Zweijahresprognosen anbieten», so Luginbühl.
Deshalb ist es für die beiden auch so wichtig zu sagen, dass sie «nackte
Zahlen» liefern, ohne diese zu interpretieren.
Die Bevölkerung wächst schneller, als erwartet
Das
Statistische Amt erstellt auch langfristige Prognosen zur Entwicklung der
Bevölkerung der Stadt Basel. Vertreter aus allen Departementen versuchen sich
an einer Vorhersage für die kommenden Jahrzehnte. Aber auch hier bleibt es beim
Versuch, wie Lukas Mohler betont. «Man denkt in relativ groben Szenarien und
versucht, damit eine gewisse Realität abzubilden.» Diese Szenarien müssten aber
jedes Jahr überarbeitet werden.
Der
grösste Faktor sei in einem Stadtkanton wie Basel der vorhandene Wohnraum. Auch
die Attraktivität der Stadt oder die Geburtenrate entscheiden mit. Letztere hat
sich verändert: Waren es 2001 noch 1,16 Geburten pro Frau in Basel-Stadt, sind
es im Jahr 2016 1,38. Der schweizweite Durchschnitt stieg in dieser Zeit von
1,38 auf 1,55 Kinder pro Frau.
Das hat
zur Folge, dass die Bevölkerung schneller wächst, als erwartet. Die Szenarien,
die das Statistische Amt ausarbeitete, veranschlagten 2011, realistischerweise
würde Basel-Stadt bis zum Jahr 2035 196’400 Einwohner zählen. Eine Rechnung,
die bereits 2016 überholt war, als in Basel 199’947 Leute lebten. Die
Statistiker entwerfen jeweils mehrere Szenarien. 2011 gingen sie im hohen
Szenario von einem Wachstum von gegen 15 Prozent aus: 2035 würden demnach 218’000
Menschen in Basel wohnen.
50 neue Kindergärten in fünf Jahren
Heute
zeigt sich, dass das hohe Szenario von 2011 realistisch sein dürfte. Im jüngsten Bericht von 2016 rechnen die Experten mit
einer Bevölkerungszahl von 212’610 Einwohnern im Jahr 2035 – allerdings gilt
diese Annahme unterdessen nicht mehr als hohes, sondern als mittleres Szenario.
Es war
also ein Fehler, davon auszugehen, dass die Schülerzahlen stabil bleiben
würden. In Basel-Stadt mussten deswegen zwischen 2013 und 2017 insgesamt 50
Kindergärten neu eröffnet werden. Dafür müsse sich der Kanton meist in
bestehende Fremdliegenschaften einmieten und manchmal auch ein Auge zudrücken,
zum Beispiel bei der Raumgrösse, wie Riedtmann erklärt. Bei den Primarschulen
ist das aber nicht möglich.
Deshalb
hat der Kanton bei jenen Projekten, die noch nicht im Bau sind, frühzeitig
reagiert. An drei Schulstandorten entsteht doppelt so viel Schulraum, wie
ursprünglich geplant – so erhält die Stadt 18 zusätzliche Klassen.
·
Lysbüchel:
+ 6 Klassen
·
Rittergasse:
+ 6 Klassen
·
Wasgenring:
+ 6 Klassen
Damit ist
es aber nicht getan: Neben den geplanten neuen Schulbauten erhalten mehrere
Standorte zusätzlichen Schulraum, der in der ursprünglichen Planung nicht
vorgesehen war, wie Riedtmann erklärt.
So enstehen bei den Schulhäusern Gotthelf und Neubad neben den bestehenden Gebäuden zusätzliche temporäre Schulbauten. Ausserdem wird der Schulbetrieb an den Standorten Horburg und Schoren in den alten Schulgebäuden fortgeführt – geplant war, diese aufzugeben.
An der
Volksschule freut man sich über die wachsende Schülerschar: «Wir sind
glücklich», sagt Doris Ilg, stellvertretende Leiterin Volksschulen. «Das
Wachstum bei den Schülerzahlen ist für uns toll.»
Für sie
hängen die steigenden Schülerzahlen nicht nur mit dem Bevölkerungswachstum
zusammen. Sie beobachtet den Trend, dass in den vergangenen Jahren mehr
Schülerinnen und Schüler von privaten an die staatliche Schule wechselten.
Dabei handelt es sich oftmals um Kinder von Expats. «Oft geben die Eltern als
Grund an, dass sie langfristig bleiben und ihre Kinder integrieren möchten.
Oder dass die Firmen das Schulgeld nicht mehr zahlen», so Ilg.
Auch vorübergehende Lösungen können gute Lösungen
sein
Die
Volksschule wendet sich auch aktiv an die Betroffenen: «Wir informieren
breit über unser Angebot, insbesondere bei internationalen Firmen», so Ilg. Die
Erfahrung der vergangenen Jahre habe sie gelehrt, dass dies Vertrauen bei den
Eltern schaffe. Immer öfter würden Eltern ihre Kinder deshalb auch von Anfang
an in die Volksschule schicken.
Dass
Basel über kurz oder lang keinen Platz mehr haben wird für seine Schüler,
glaubt Ilg nicht. «Im Moment haben wir vorgesorgt.» Und innerhalb der
Verwaltung finde man gemeinsam immer eine gute Lösung, ist sie überzeugt. Auch
wenn diese nur übergangsmässig sei.
Egal, wie
sich Basel entwickeln wird, für Schulraumkoordinator Thomas Riedtmann ist klar:
In der Stadt wird es in Zukunft keine neuen Schulhäuser geben: «Entweder werden
wir bestehende Gebäude erweitern oder mit mobilen Anlagen ergänzen müssen»,
sagt er. Für alles andere fehle der Platz.
Vorgaben für Entwicklungsgebiete
Bei den
Standorten Horburg und Schoren müsse man jetzt einige Jahre beobachten, wie
sich die Schülerzahlen entwickeln. Erst dann lohne es sich, über
Sanierungsarbeiten (Schoren) oder einen Neubau (Horburg) nachzudenken – oder
sich erneut mit temporären Schulbauten zu behelfen.
Anders
sieht es natürlich bei Entwicklungsgebieten aus wie dem Lysbüchel-Areal, dem
Dreispitz oder Klybeckplus. Für Letzteres gibt es bereits konkrete Vorgaben der
Stadt: «Rund 30’000 Quadratmeter Grundstückfläche müssen für die Schulnutzung
vorgesehen werden», sagt Riedtmann. Denn wenn der neue Stadtteil wie geplant
gebaut wird, müsste eine Primarschule für 36 Klassen Platz bieten und eine
Sekundarschule für 27.
Das
sollte dann langfristig für alle Kinder reichen – zumindest glauben das die
Zuständigen im Moment.
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