Die Abschaffung des Frühfranzösischen im Thurgau ist vom Tisch. Doch die
jahrelange Debatte wirkt nach: Primarschulen haben Mühe, Französischlehrer zu
finden. An der Pädagogischen Hochschule Thurgau ist die Zahl der Studierenden,
die Französisch unterrichten wollen, auf elf Prozent zurückgegangen. Das könnte
den Lehrermangel künftig verschärfen. Im Kanton St.Gallen hat sich die Frühfranzösisch-Debatte nicht ausgewirkt.
Trotzdem sind Französischlehrer auch hier Mangelware.
Im Thurgau werden zu wenig Französischlehrer ausgebildet, Ostschweiz am Wochenende, 31.12. von Tobias Hänni
Mit einem äusserst knappen Entscheid wurde im
Thurgau die Debatte über das Frühfranzösisch vor einem halben Jahr beendet. Mit
zwei Stimmen Unterschied entschied das Kantonsparlament damals, dass auf
Primarstufe weiterhin Französisch unterrichtet werden soll. Politisch ist das
Thema damit vorerst vom Tisch. Doch für die Schulen wirkt der über Jahre
geführte Sprachenstreit nach. «Es war schon zuvor schwierig, Französischlehrer
zu finden. Doch die Diskussion über das Frühfranzösisch hat die Situation noch
verschärft», sagt Thomas Minder. Für den Präsidenten des Thurgauer
Schulleiterverbands ist klar: Die Debatte hat im Kanton dazu geführt, dass
Primarlehrerinnen und -lehrer in ihrer Ausbildung darauf verzichtet haben,
Französisch als Fremdsprache zu wählen. «Sie wollten es nicht riskieren, ein
Fach zu studieren, das sie möglicherweise gar nie hätten unterrichten können.»
Von einem Drittel
auf ein Zehntel
Tatsächlich ist an der Pädagogischen
Hochschule (PH) Thurgau der Anteil angehender Primarlehrer, die sich im zweiten
Studienjahr für Französisch als Fremdsprache entschieden haben, deutlich
zurückgegangen. «Beim jüngsten Jahrgang beträgt er noch 11 Prozent», sagt
Matthias Begemann, Prorektor Lehre der PH Thurgau. Im Jahr zuvor seien es 20
Prozent gewesen. «Normalerweise entscheiden sich etwa 30 bis 40 Prozent der
angehenden Primarlehrpersonen für Französisch, mit leicht abnehmender Tendenz»,
sagt Begemann. Er führt den markanten Rückgang auf die Frühfranzösisch-Debatte
zurück, sagt aber auch: «Mit deren Ende erwarten wir, dass Französisch in der
Gunst der Studierenden wieder steigt.»
Dass sich der zwischenzeitliche
Rückgang der Französisch-Studierenden bei den Schulen bereits bemerkbar gemacht
hat, bezweifelt Begemann jedoch. «Die beiden betroffenen Jahrgänge schliessen
erst 2018 respektive 2019 ab.» Der Mangel werde sich also frühestens im
kommenden Sommer bemerkbar machen. Um ihn aufzufangen, bietet die PH Thurgau ab
dem Studienjahr 2018 eine separate «Facherweiterung Französisch» an. «Diese
Nachqualifikation war bislang nur als Teil der regulären
Semesterveranstaltungen möglich», sagt Begemann. Die neu konzipierte
Weiterbildung finde dagegen in Abendkursen statt, was sie für Lehrerinnen und
Lehrer attraktiver mache. «Sie können die Lehrbefähigung für den
Französischunterricht damit einfacher berufsbegleitend erwerben.»
Spezifische
Stellenprofile schränken Auswahl ein
Keine Spuren hinterlassen hat der
Sprachenstreit an der PH St.Gallen. «Das Interesse am Französisch als
Fremdsprache ist nach wie vor gross», sagt Christian Thommen,
Studienbereichsleiter Sprachen für die Kindergarten- und Primarstufe. Die Zahl
der Studierenden mit einer Doppelqualifikation für Englisch und Französisch
nehme sogar leicht zu.
Thommen ist noch nie auf einen Mangel
an Lehrpersonen für den Französischunterricht angesprochen worden. «Wir
erhalten von den Schulen keine Klagen, dass es zu wenig Lehrer für das Fach
gibt.» Im Überfluss scheint es sie allerdings auch im Kanton St. Gallen nicht
zu geben.
«Es ist schwierig geworden,
Lehrkräfte für das Fach zu finden», sagt Luca Eberle, Leiter der Oberstufe Rain
in Rapperswil-Jona. Kürzlich habe er eine andere Rapperswiler Schule bei der
Suche nach einem Französischlehrer begleitet. «Die Zahl der Bewerbungen war
extrem klein.» Letztlich hätten gerade einmal zwei Personen dem Stellenprofil
entsprochen, zu dem auch der Deutschunterricht gehört. Auch an Eberles Schule
ging im Sommer ein Französischlehrer in Pension, die Suche nach einem Ersatz
erübrigte sich hier allerdings. «Wir konnten den Weggang mit der Rückkehr einer
Lehrperson kompensieren, die zuvor ein Jahr lang unbezahlten Urlaub hatte.»
Eine Luxuslösung, auf die längst nicht jede Schule zurückgreifen könne. Die
meisten müssen eine neue Lehrperson suchen – für den Französischunterricht eine
Herausforderung. «Französisch gehört zu den Fächern, die am schwersten zu
besetzen sind», sagt auch Thomas Rüegg vom Verband der St. Galler
Volksschulträger. Zumal die Schule bei einem Weggang meistens eine Lehrperson
finden müsse, die nicht nur Französisch, sondern auch andere Fächer
unterrichten könne. «Das führt zu sehr spezifischen Stellenprofilen, was die
Auswahl an passenden Bewerbern einschränkt», erklärt Rüegg.
Vor der Bologna-Reform sei die
Ausbildung von Oberstufenlehrern mit einer sprachlich-historischen (Phil I) und
einer naturwissenschaftlich-mathematischen (Phil II) Ausrichtung standardisiert
gewesen – was auch die Suche nach passenden Lehrkräften vereinfacht habe. «Nach
dem Weggang eines Phil-I-Lehrers konnte dieser durch eine Lehrperson mit
derselben Ausrichtung ersetzt werden», sagt Thomas Rüegg. Heute könnten
angehende Lehrerinnen und Lehrer ihre Ausbildung viel freier zusammenstellen.
«Das hat zur Folge, dass es für eine Stelle weniger passende Bewerberinnen und
Bewerber gibt.»
Sind 30 Prozent der
Lehrer fachfremd?
Dass die Schulen bei der Neubesetzung
einer Stelle keine grosse Auswahl haben, führe zunehmend zu einem «qualitativen
Lehrermangel», kritisierte der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH)
kürzlich im «Beobachter». 20 bis 30 Prozent der Lehrpersonen unterrichteten
derzeit auf der falschen Stufe oder ein Fach, für das sie nicht ausgebildet
seien, wird LCH-Zentralsekretärin Franziska Peterhans zitiert. Ganz so dramatisch
schätzt Thomas Rüegg die Situation für den Kanton St.Gallen nicht ein. Auf der
Oberstufe gebe es zwar «vereinzelt» Lehrpersonen, die Fächer unterrichteten,
für die sie die Lehrbefähigung nicht haben. «Für die Primarstufe finden sich
dank der Allrounder-Ausbildung hingegen immer genügend Lehrpersonen, die auf
das jeweilige Stellenprofil passen.» Auch stufenfremde Lehrer kommen laut Rüegg
im Kanton St. Gallen «eher selten» vor.
Patrick Keller, Präsident des
St.Galler Lehrerinnen- und Lehrerverbands, beurteilt die Lage ähnlich. Er habe
dazu zwar keine Zahlen, «aber ich gehe davon aus, dass die vom nationalen
Dachverband genannten auf St.Gallen nicht zutreffen.» Es komme zwar
unbestritten vor, dass Lehrkräfte ein Fach unterrichteten, für welches sie nicht
ausgebildet seien. «Eine solche Lösung entsteht aus der Not. Sie ist besser,
als gar keine Lehrperson zu haben.» Keller findet es auch nicht in jedem Fall
eine schlechte Lösung. «Fachfremde Lehrer geben sich meistens wahnsinnig Mühe,
den Unterricht gut zu gestalten», sagt der stellvertretende Schulleiter der
Gaiserwalder Oberstufe.
Das Bildungsdepartement des Kantons
St.Gallen bestätigt die Einschätzung der Verbände. Der qualitative Lehrermangel
sei «nicht verbreitet», schreibt Generalsekretär Jürg Raschle auf Anfrage. Auf
Kindergarten-, Primar- und Oberstufe besitzen gemäss Kanton derzeit 95 Prozent
der Lehrpersonen ein stufengerechtes Diplom. Ausnahmen sind die Reallehrer
(rund 92 Prozent) und die Schulische Heilpädagogik (knapp 81 Prozent). Gegen
den Mangel an Heilpädagogen, auf den auch die Verbände hinweisen, werden laut
Raschle «verstärkte Anstrengungen unternommen». So soll die an der PH St.
Gallen bislang mit Unterbrüchen durchgeführte Ausbildung im Jahresrhythmus
angeboten werden.
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