8. Januar 2018

Neue Fremdsprachendidaktik kostet viel und bringt nichts

Eine neue Studie belegt: Kinder, die früher Französisch lernen müssen, beherrschen die Sprache schlechter als Schüler, die später damit beginnen. Damit beweist Susanne Zbinden von der Universität Fribourg in ihrer mit «summa cum laude» ausgezeichneten Masterarbeit, was Lehrer schon lange vermuten: Die neue Fremdsprachendidaktik kostet viel und bringt nichts. «Es ist ein aufgeblasenes Konzept, aber Kritiker wurden jahrelang in die Ecke der Ewiggestrigen gestellt», sagt Philipp Loretz, Geschäftsleitungsmitglied des Lehrervereins Baselland.
Frühsprachen-Konzept zeigt seine Schwächen, Basler Zeitung, 8.1. von Franziska Laur


Schon die Sprachwissenschaftlerin Simone Pfenninger hatte vor Jahren Ähnliches herausgefunden. Christoph Eymann, damals Basler Erziehungsdirektor und Präsident der Eidgenössischen Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), tat diese Erkenntnisse als qualitativ ungenügend ab.

Susanne Zbinden hat die wissenschaftliche Studie mit rund 500 Schülern aus dem Kanton Bern durchgeführt. Sie hat zwei Gruppen verglichen. Die einen waren bei Unterrichtsbeginn jünger und arbeiteten mit dem neuen Lehrmittel «Clin d’œil», die anderen waren ein Jahr älter und arbeiteten mit dem alten Lehrmittel «Bonne Chance». Beide Vergleichsgruppen wurden nach 588 Lektionen getestet.

Obwohl diejenigen Schüler, die mit dem neuen Lehrmittel unterrichtet wurden, ein Jahr länger Französisch gehabt hatten, waren vor allem die Leistungen im Bereich Leseverständnis signifikant schlechter als bei denen, die mit dem alten Lehrmittel unterrichtet wurden. «Susanne Zbinden zeigt auf, dass Schüler, die nach bewährten international anerkannten Methoden Französisch gelernt haben, über ein besseres Textverständnis verfügen als ihre Kolleginnen und Kollegen, die nach der sogenannten Mehrsprachendidaktik unterrichtet worden sind», sagt Loretz.

Absteigen, wenn das Pferd tot ist
Diese Resultate würden ihn gar nicht überraschen, sagt Lehrer Loretz. «Es ist das eingetroffen, was eintreffen musste.» Die Leitung des Projekts Passepartout (siehe Box) habe sämtliche Bedenken von Anfang an konsequent in den Wind geschlagen. «Wenn du merkst, dass dein Pferd tot ist, dann steige ab», sagt Loretz. Doch Reto Furter, Gesamtprojektleiter von Passepartout, scheine immer noch nicht gemerkt zu haben, dass sein Pferd von Anfang an todkrank war.

Das sieht der Basler LDP-Erziehungsdirektor Conradin Cramer anders. Man nehme die Erkenntnisse ernst. Die Verfasserin der Berner Studie und die Projektgruppe Passepartout würden bereits im Austausch stehen. Schon in den vergangenen Jahren seien immer wieder Anpassungen vorgenommen worden und auch diese Erkenntnisse würden der Projektgruppe nützen, die Lehrmittel zu verbessern. Cramer bedauert allerdings, dass in der wissenschaftlichen Arbeit achte Klassen mit neunten Klassen verglichen worden sind. «Viele der ‹Wissenslücken›, die man bei den Passepartout-Schülern festgestellt hat, wären ein Jahr später wohl behoben gewesen.»

Dann wäre der Test aber unlogisch gewesen, da es ja darum ging, festzustellen, ob das Frühfranzösisch Sinn macht. Das Ergebnis ist denn auch für die Basler GLP-Grossrätin Katja Christ keine Überraschung: «Grundsätzlich wäre ja die Idee hinter den neuen Lehrmitteln für Fremdsprachen, dass die Kinder in ein Sprachbad eintauchen. Das würde bedeuten, dass mindestens 50 Prozent des gesamten Wochenunterrichts – also auch Sport, Mathematik oder Handarbeit – in dieser Sprache abgehalten werden müssten, was in der Realität jedoch nicht umsetzbar ist.»

Loretz bestätigt: «Das propagierte Sprachbad existiert nicht. Das geben mittlerweile auch die Verantwortlichen des Projekts Passepartout zu.» Trotzdem würden sie in den obligatorischen Fortbildungskursen weiterhin eine Didaktik propagieren, die auf dem inexistenten Sprachbad beruhe und die sich auf zwei Theorien stütze, für die es keinerlei Wirkungsnachweis gebe. Loretz prophezeit, dass sich der «sträflich vernachlässigte Aufbau der wichtigsten sprachlichen Strukturen rächt». In zahlreichen Gesprächen mit Schülern, Eltern und Berufskollegen habe er festgestellt: «Bei den Schülern herrscht ein regelrechtes Durcheinander. Fehlerhafte Formen sind zementiert.» So sei dem Kanton Bern bei den Aufnahmeprüfungen fürs Gymnasium nichts anderes übrig geblieben, als den Grammatikteil zu streichen. Dies sei also eine Kapitulation vor dem Versagen einer flächendeckend eingeführten Schulreform.

Kinder bleiben auf der Strecke
Für Katja Christ ist klar, dass nicht nur das Sprachbad, sondern das Frühfranzösisch generell nicht gewinnbringend sind: «In den Klassen sitzen viele Kinder, die kaum Deutsch sprechen. Da macht es keinen Sinn, schon in der dritten Klasse mit Französisch zu beginnen.» Ihrer Meinung nach müsse man sich vielmehr auf die deutsche Sprache und ihre Grundlagen konzentrieren und später mit Fremdsprachen beginnen, dafür jedoch mehr Gewicht auf einen systematischen Aufbau mit Grammatik und Wortschatz legen.
Für dieses Argument hat Cramer kein Gehör: «Der Zusammenhang Deutsch–Französisch erschliesst sich mir nicht.» Es gebe Schüler, die im Deutsch gute Noten schrieben, im Französisch aber Mühe hätten – und umgekehrt. Zudem könne für jemanden mit romanischer Muttersprache Französisch gar einfacher erlernbar sein.

Eine Passepartout-Befragung wird soeben ausgewertet. Gaby Hintermann, Präsidentin der Kantonalen Schulkonferenz Basel-Stadt: «Die Daten sind noch unvollständig. Klar ist aber, dass wir die Mehrsprachigkeitsdidaktik unterstützen.» Es werde jedoch infrage gestellt, ob sie in der aktuell gültigen Stundentafel gewinnbringend sei.

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