Der Basler
Erziehungsdirektor Conradin Cramer ist seit knapp einem Jahr im Amt. Bisher ist
er nicht gross in Erscheinung getreten – machte allerdings auch kaum Fehler. Im
Büro zu Hause: der Basler Erziehungsdirektor Conradin Cramer an der
Leimenstrasse.
Der Regierungsrat, der unter dem Radar fliegt, Schweiz am Wochenende, 6.1. von Leif Simonsen
Ein
Jahr ist die neue Basler Regierung nun fast alt. Zeit, den Fokus auf den Mann
zu richten, der bisher unter dem medialen Radar geblieben ist. Sei es, weil es
in seinem Departement nach Jahren der Reformen kaum Baustellen gibt. Oder, weil
mit der hölzernen Regierungspräsidentin Elisabeth Ackermann ein anderer Neuling
für weit mehr Gesprächsstoff gesorgt hat. Sprechen wir für einmal von und mit
Erziehungsdirektor Conradin Cramer. Der LDPler hat in sein schlichtes Büro an
der Leimenstrasse eingeladen. An der Wand hängen zwei Bilder der Basler
Künstlerin Irène Zurkinden, die er schon lange ersetzen will. Aber Conradin
Cramer hat andere Prioritäten als die Inneneinrichtung seines Büros.
Erst
wenn Cramer dossierfest ist, wird er sich darum kümmern. Das wird, wenn es nach
ihm geht, noch eine Weile dauern. Das erste Jahr in der Exekutive war
schwierig, das räumt er ein. «Ich wusste, dass es ein Kampf wird. Aber ich habe
unterschätzt, wie komplex es sein würde. Man muss in diesem Amt so oft
innerhalb einer kurzen Zeit eine Meinung haben.» Er selbst gibt sich als
Regierungsrat noch keine Bestnoten, tut sich aber bei einer Selbsteinschätzung
sichtlich schwer. «Ich bin sicher besser als vor einem Jahr. Aber das
Regierungsamt ist eines, in das ich noch reinwachsen muss. Ich denke, bis man
in diesem Amt auf Topniveau ist, geht es eine Wahlperiode.» Auch andere zögern,
wenn sie auf den Leistungsausweis des neuen Erziehungsdirektors angesprochen
werden. Die Lehrergewerkschaft bittet um etwas mehr Vorlaufzeit für ein
Zwischenfazit. «Ich muss zugeben. Ich spüre nicht so richtig, wo er hin will.
Ich kann deswegen noch nicht viel Schlechtes, aber auch nicht so viel Gutes
über ihn sagen», sagt Gaby Hintermann, Präsidentin der Basler Schulkonferenz.
Andere hingegen haben für den erst 38-jährigen Magistraten lobende Worte übrig.
Bildungskommissionspräsident Oswald Inglin (CVP) hebt Cramers Dossierfestigkeit
und Kommunikationsgabe hervor. Ihm sei es mit dem neuen Uni-Leistungsauftrag
gelungen, die Wogen zwischen der Stadt und Land zu glätten, die vom Vorgänger
Christoph Eymann verursacht worden waren.
Brüche in der Karriere
Cramer,
das lässt sich bereits jetzt sagen, bringt das vielleicht unterschätzteste
Talent eines Basler Erziehungsdirektors mit: Er kann den Ball flach halten.
Potenziell lauern viele Feinde auf eine Fehlleistung. Die Medien. Das
Parlament. Die Baselbieter. Und natürlich die Lehrer, wobei Cramer mittlerweile
von «Lehrpersonen» spricht («nach einem Jahr ist es nun schon so weit mit
meiner Political Correctness»). Auf sein Verhältnis mit dem Berufsstand
angesprochen, sagt er: «Da führen Sie mich aber auf dünnstes Eis.» Cramer
weiss, dass er jetzt nichts Falsches sagen darf. Deswegen sagt er:«Ich habe
grundsätzlich ein positives Bild der Lehrpersonen. Mit ihnen kann man sehr gut
diskutieren.» Selbst wollte er aber kein Lehrer werden. Deshalb entschied er
sich gegen ein Geschichts- und Deutschstudium und für die Jurisprudenz.
Doch
war es nicht auch der äussere Druck, der ihn ins Jusstudium trieb? Es ist eine
in Basel weitverbreitete Annahme, dass der Sohn einer geborenen Vischer zur
Karriere verdammt war. Bisher hat sich Conradin Cramer ja auch ans Drehbuch
gehalten. Bereits mit 20 politisierte er im Riehener Einwohnerrat, mit 2013
stieg er zum Basler Grossratspräsidenten auf. Und zeitgleich etablierte er sich
als Wirtschaftsanwalt. Selbstredend in der Kanzlei Vischer. Cramer selbst sieht
sich dennoch nicht als Karrieristen. Er sagt, dazu habe er zu viele Brüche
vorzuweisen. Die langfristigen Lohnperspektiven seien beispielsweise in seiner
früheren Anwaltskanzlei besser gewesen als in seinem jetzigen Amt. Dies, obwohl
er im jetzigen Amt über 300000 Franken jährlich verdient. Leicht könnte ein
Mensch die Bodenhaftung verlieren, der bei einem Monatseinkommen von 25000
Franken von Lohneinbussen spricht. Aber Conradin Cramer, das attestieren ihm
alle, ist nicht entrückt. Er fährt einen Occasion-BMW mit Baujahr 2001, kauft
fast nie etwas Materielles und gibt das Geld höchstens für schöne Reisen aus.
Zuletzt war er im Herbst zwei Wochen in Japan. Gelegentlich geht er mit seiner
Ehefrau auswärts essen. Das ist es aber auch schon mit dem Luxus.
«Ich habe immer Hunger»
Conradin
Cramer ist höflich und einnehmend. Freunde sagen, es könne echt lustig sein mit
ihm – besonders im Ausgang. Weder ist er so verbohrt wie sein Jugendfreund und
FDP-Regierungsrat Baschi Dürr noch so jovial wie SP-Kollege Hans-Peter Wessels.
Und obwohl Cramer nach dem frühen Tod seines Vaters als Einzelkind bei einer
alleinerziehenden Mutter aufgewachsen ist, ist er nicht zum Egoisten geworden.
Nur am Esstisch machen sich antrainierte Verhaltensmuster bemerkbar. Meist
bedient er sich selbst grosszügig. «Aber ich hab auch immer Hunger», sagt er entschuldigend.
Doch selbst seine deutsche Ehefrau, die er auf einer Kreuzfahrt kennen gelernt
hat, erkenne in ihm kein typisches Einzelkind. Cramer spricht von einer
glücklichen Kindheit. Der frühe Tod seines Vaters habe ihn nicht sonderlich
geprägt. Höchstens, dass er schon früh wusste, dass das Leben fragil und
endlich ist. Ansonsten habe er eine unbeschwerte Zeit gehabt. Die Hobbys waren
Legospielen, Briefmarkensammeln und Tennisspielen. In der Schulzeit debattierte
er gerne mit den Lehrern, und alles nahm seinen Lauf.
Schonfrist ist abgelaufen
Man
fragt sich: Wohin wird dieses scheinbar perfekte Gemisch aus Strebertum,
Umgänglichkeit und Ehrgeiz Cramer noch tragen? Die Wahl in den Bundesrat ist
nahezu ausgeschlossen. Dazu ist er im Gegensatz zu Baschi Dürr, dem
diesbezüglich Ambitionen nachgesagt werden, «in der falschen Partei», wie
Cramer selbst sagt. Statt der fernen Zukunft will er den Blick auf die
unmittelbaren Probleme richten. Bald wird seine Schonfrist ablaufen. Erste
wichtige Entscheide stehen vor der Tür. Ein Grossteil der Basler Lehrer will
die Leistungschecks auf der Primarstufe abschaffen. Aus Politikerkreisen werden
verstärkt Rufe laut, aus dem sogenannten Passepartout-Konkordat und dem
eigenwilligen Fremdsprachenmodell auszusteigen. Und letztlich wird von Cramer
auch erwartet, dass er bei der integrativen Schulung auf die Bremse tritt.
Besonders die verhaltensauffälligen Schüler seien kaum integrierbar, ächzen die
Lehrer.
Nach
einem Jahr im Erziehungsdepartement will Conradin Cramer nun die nächste Phase
einläuten: die Vertiefung. Das Schöne an der Politik stehe ihm erst bevor,
glaubt er. Es sei die Lust, zu gestalten. Dafür muss man dossierfest sein, so
seine Überzeugung. Und auch ein Streber, der am Samstagmorgen im Büro
aufkreuzt, um liegengebliebene Akten zu wälzen. Mit seinem Image als perfekter
Schwiegersohn lässt sich ein solches Arbeitspensum vereinen. Aber was, wenn er
dereinst Vater wird? Er selbst sagt, er könne sich Nachwuchs gut vorstellen.
Aber nicht alles lässt sich so gut planen wie die Berufskarriere.
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