Wer hat das letzte Wort,
bevor im Kanton Bern ein neuer Lehrplan in Kraft tritt: der Erziehungsdirektor
oder das Stimmvolk? Über diese Frage wird am 4. März abgestimmt.
Hinter der
Initiative «Für demokratische Mitsprache – Lehrpläne vors Volk!» steht die
Interessengemeinschaft Starke Volksschule Bern, eine Gruppe von Eltern mit
teils christlich-konservativem Hintergrund, unterstützt von einigen bekannteren
Persönlichkeiten wie dem Bieler Lehrer Alain Pichard. Sie lanciert mit ihrem
Begehren eine Grundsatzdebatte. Bisher liegt es in der Kompetenz des
Erziehungsdirektors, neue Lehrpläne zu erlassen. Wird die Initiative
angenommen, muss künftig das Parlament neue Lehrpläne und wesentliche
Lehrplanänderungen genehmigen. Wird gegen einen solchen Beschluss das
Referendum ergriffen, hat das Stimmvolk das letzte Wort.
Die Lehrplan-Gegner hoffen auf das Volk, Bund, 8.1. von Adrian M. Moser
Abstimmung frühestens
2020
Auch wenn die
Initiative eine Grundsatzfrage aufwirft: Gerichtet ist sie gegen den Lehrplan
21. Dessen Inkraftsetzung ist längst beschlossen, ab Sommer 2018 wird er
stufenweise eingeführt. Wird die Initiative angenommen, müssten das Parlament
und eventuell das Volk ihn nachträglich genehmigen (siehe Text rechts). Die
Volksabstimmung könnte laut Regierungsrat frühestens 2020 erfolgen. Sollte das
Volk dann den Lehrplan 21 ablehnen, würde er mehrere Jahre nach seiner
Einführung wieder ausser Kraft gesetzt.
Die
Initianten sehen den Lehrplan 21 als Teil einer grundlegend falschen
Entwicklung im Bildungswesen. Besonders stört sie, dass der Stoff darin in Form
von Kompetenzen definiert ist («Die Schülerinnen und Schüler können . . .»).
Die Kritiker befürchten, dass die Schule deswegen künftig zu wenig Wissen
vermitteln könnte. Ausserdem fehle den neuen Lehrmitteln «der rote Faden».
Weiter sagen die Initianten, dass der Lehrplan 21 die Lehrerinnen und Lehrer zu
«Lerncoaches» degradiere und den «individualisierten und selbst gesteuerten»
Unterricht fördere, was einen Grossteil der Schülerinnen und Schüler
überfordere.
«Schule geht
uns alle etwas an», sagt Rahel Gafner von der IG Starke Volksschule Bern. «Wir
sind deshalb der Meinung, dass man das Einführen eines neuen Lehrplans nicht
länger allein den Experten überlassen kann.» Die Einführung des Lehrplans 21
sei ein «richtungweisender Entscheid», zu dem das Volk Ja oder Nein sagen
können solle.
Pulvers «grosses
Anliegen»
Der Grosse
Rat und der Regierungsrat empfehlen die Initiative zur Ablehnung. «Es ist mir
ein grosses Anliegen, dass diese Initiative abgelehnt wird», sagt der bernische
Erziehungsdirektor Bernhard Pulver (Grüne). Das Lehrplan-Projekt beschäftigt
ihn, seit er vor fast zwölf Jahren in den Regierungsrat gewählt wurde. Wenige
Monate vor Pulvers Rücktritt Ende Juni entscheidet sich nun, ob der Lehrplan 21
im Kanton Bern im Sommer definitiv eingeführt wird oder ob es lediglich eine
vorläufige Einführung sein wird.
Pulver
versichert, der Lehrplan 21 sei «äusserst sorgfältig» ausgearbeitet worden. «In
der Lehrerschaft könnte er nicht besser abgestützt sein.» Das Argument, eine
Einführung ohne Volksentscheid sei undemokratisch, lehnt er ab. Das Volk könne
die Grundzüge der Volksschule im Volksschulgesetz festlegen. Vieles – auch
Grundsätzliches zu den Inhalten – sei dort geregelt. Über ein so detailliertes
Fachwerk wie einen Lehrplan abzustimmen, sei hingegen nicht sinnvoll.
Rahel Gafner
hält dagegen: «Wenn Fragen auftauchen, muss man sie besprechen. So ist das in einer
Demokratie.» Sie teilt Pulvers Befürchtung nicht, dass sich das Parlament über
Details streiten oder nur mit Schlagworten diskutieren könnte. Gafner sagt: «Es
würde über grundsätzliche Fragen diskutiert wie: Was bedeutet
Kompetenzorientierung? Der Grosse Rat hat keine Zeit, sich in Details zu
verlieren.»
Nun steht der
Abstimmungskampf bevor. Und Gafner gibt sich zuversichtlich: In den
Abstimmungen in anderen Kantonen, die kürzlich stattgefunden hätten, seien
höhere Ja-Anteile erzielt worden als in jenen, die weiter zurücklägen. «Das
zeigt, dass das Thema die Leute bewegt.» Bis es irgendwo ein Ja gebe, sei es
nur noch eine Frage der Zeit.
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