Staat,
Kantone und Bildungsverantwortliche treiben die Digitalisierung voran. Dahinter
steht die Angst, im Wettbewerb den Anschluss zu verpassen. Die Gefahr von
massiven Entwicklungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen wird ausgeblendet.
Ein Zwischenruf.
Mit Digitalisierung aufs zwischenmenschliche Abstellgleis? EDU
Standpunkt Januar 2018 von Lisa Leisi
Fataler Fortschrittswahn
Noch
wird Kritikern und Warnern wie (Medien-) Pädagogen, Neurobiologen und
Kinderärzten kaum Gehör geschenkt. Die Neurobiologin Gertraud Teuchert-Noodt
ist überzeugt: «Erstmals in der Menschheitsgeschichte wird uns durch die
Digitalisierung die für Denkprozesse absolut notwendige neuronale Grundlage
streitig gemacht.» Der USamerikanische Psychologieprofessor Larry Rosen fasst
die zahlreichen Nebenwirkungen übermässigen Medienkonsums - auch im
Erwachsenenalter - unter dem Begriff «iDisorder» wie folgt zusammen: Zwangshandlungen,
wie das ständige Starren aufs Smartphone, Angstzustände bei Abwesenheit
digitaler Geräte, Enthemmung in der virtuellen Kommunikation, ausgeprägter
Narzissmus in der Selbstdarstellung, Aufmerksamkeitsstörungen, beeinträchtigtes
Durchhaltevermögen, Empathieverlust und Einsamkeit. Wollen wir diese Art
«Fortschritt» wirklich?
Folgenschwere Beeinträchtigungen
Zwei
brandaktuelle Studien (BMBF 2017, BLIKK-Studie 2017) zeigen auf, dass bei etwa
der Hälfte der Grundschulkinder schulische Entwicklungsstörungen wie Lesen-,
Rechtschreib- oder Rechenstörungen diagnostiziert werden. Miteinher gehen als
Folge der frühen Nutzung digitaler Medien Sprachentwicklungs- und
Konzentrationsstörungen, körperliche Hyperaktivität, innere Unruhe bis hin zu
aggressivem Verhalten. Schon Säuglinge leiden unter Essens- und
Einschlafstörungen, wenn sich die Eltern während der Betreuung des Kindes mit
digitalen Medien beschäftigen (ZDF Text, 29.5.2017). Aktuelle Studien von AOK,
DAK und Barmer sehen bei Kindern und Jugendlichen massive Anstiege von Burnout,
Kopfschmerzen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen im Zusammenhang mit der
exzessiven Nutzung digitaler Medien.
Das Gehirn verkümmert
Die
bereits erwähnte Neurobiologin Gertraud Teuchert-Ncodt weiss aus der
Hirnforschung, dass vielfältige Bewegungsaktivitäten in den Kinderjahren für
die Reifung mentaler Funktionen unverzichtbar sind. Es müssen vielfältige reale
Erfahrungen in Raum und Zeit im Gehirn verankert werden können. Ohne diese
Stimulanzien können sich Verschaltungen in den motorischen und den
nachgeschalteten Hirnregionen nicht normal ausbilden. Eine 20 Jahre dauernde
Reifung und zunehmende Differenzierung der Nervennetze kann nicht verkürzt
werden und findet auch insbesondere durch Schreiben, Rechnen und Lesen lernen statt.
Bestimmen Computer und Tablets das Lernen, kommt es durch neuronale
Überaktivierung zu einer Notreifung im Gehirn, die zeitlebens auch
weitsichtiges Denken, Planen und Handeln beeinträchtigt.
Nur
durch aktive und wiederholte Kopfarbeit aufgenommene Lerninhalte schulen
Wachheit, Neugierde, kreatives Denken und Bewusstsein. Und nur Wissen schafft
Bewusstsein, und mehr Wissen erweitert das Bewusstsein. Erst ab der Adoleszenz
kann eine Person zudem eine Sucht bewusst verhindern und sinnbezogen mit Medien
umgehen.
Was ist zu tun?
Aufklärung
der Politiker, Bildungsverantwortlichen und Eltern ist dringend! Einer
IT-Bildungsoffensive an den Grundschulen muss mit Vehemenz entgegengetreten
werden. Kinder brauchen die volle Aufmerksamkeit und Zuwendung der Eltern für
ein gesundes Aufwachsen. Damit verbunden sind Vorlesen, gemeinsame Spiele, der
Austausch von Gedanken und Empfindungen sowie vielfältige Aktivitäten und
Erfahrungen draussen in der Natur. Genauso braucht es an den Schulen eine
Rückbesinnung auf Bewährtes, wenn Newsletter «Lehrplan vors Volk» vom 7. 1.
2018 Seite 9 Kinder weiterhin zu selbstbestimmten Persönlichkeiten mit
kritischer Urteilsfähigkeit heranwachsen sollen, die gesellschaftliche
Entwicklungen verantwortlich mitgestalten können.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen