Eigentlich erwartet man von
Lehrkräften, dass sie ihr Fach beherrschen. Doch die Realität sieht oft anders
aus. Patrick Voßkamp und Ulrike Behrens lehren an der UDE im Bereich der
Linguistik und der Sprachdidaktik. In ihren Seminaren vermitteln sie ihren
Studierenden den Gegenstand der Sprache unter Aspekten der Lehr- und
Lernbarkeit, um sie auf die baldige Schulpraxis vorzubereiten. Die Texte, diesie von Studierenden zu Gesicht bekommen, lösen bei ihnen zum Teil Erschreckenaus, sagen sie. Voßkamp hat das Thema erst neulich in einer seiner Lehrveranstaltungen
zur Sprache gebracht. In einigen Texten hätte es von Zeichensetzungsfehlern,
lexikalischen und grammatikalischen Fehlern sowie erheblichen Defiziten in der
Kasusbildung und Flexion gewimmelt. Grundlegende Sprachregeln würden nicht
beherrscht. „Im Prinzip werden hier Standards nicht erfüllt, die am Ende der
Sekundarstufe I – und eigentlich schon nach der 6. oder 7. Klasse – erfüllt
sein müssen“, sagt er und fügt hinzu: „Und das im Lehramtsstudium im Master im
Fach Deutsch.“ Dabei handele es sich nicht um Einzelfälle. Allein in seinem
Seminar seien ihm in drei Texten erhebliche Sprachdefizite aufgefallen. „Es ist
ein gravierenderes Problem, als man anfänglich denkt“, so Voßkamp.
Rechtschreibung als gravierendes Problem. Bild: FAZ
Wie sollen Lehrkräfte vermitteln, was sie selbst nicht können. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.1. von Philipp Frohn
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Seine Kollegin Ulrike Behrens verlangt
inzwischen von ihren Studierenden zu Beginn jedes Semesters Schreibaufgaben.
„Das habe ich früher nicht gemacht. Dann fliegen solche Defizite erst bei den
Hausarbeiten auf“, sagt sie. Mittlerweile hat man sich im Fach darauf geeinigt,
dass die Korrektur von Arbeiten nach mehr als 15 Fehlern auf den ersten drei
Seiten abgebrochen und die Leistung mit „mangelhaft“ bewertet wird. Auf wie
viele Arbeiten das zutrifft, können die Dozierenden nicht sagen, da keine
Statistik hierzu vorliegt. Wenige seien es jedoch nicht. „Wenn es nur ganz punktuell
im Semester vorkommen würde, hätten wir uns ja nicht im Fach in einer
Qualitätskonferenz Gedanken machen müssen. Das ist ein ganz schön
erschreckendes Signal,“ fügt Voßkamp hinzu.
„Ein gravierendes Problem”
Ihr Institutskollege Albert
Bremerich-Vos hat gemeinsam mit Dirk Scholten-Akoun vom Zentrum für
Lehrerbildung eine empirische Untersuchung zu schriftsprachlichen Fähigkeiten
von Lehramtsstudierenden zu Beginn ihres Studiums durchgeführt. „Da zeigt sich,
dass die Situation auch – aber nicht nur in Essen – nicht so bleiben kann, wie
sie ist“, fasst Behrens die Ergebnisse zusammen. „Man muss dazu sagen, dass die
schriftsprachlichen Leistungen von Lehramtsstudierenden in der
Studieneingangsphase in den einzelnen Studiengängen unterschiedlich ausfallen“,
ergänzt Voßkamp. Am besten haben angehende Grundschullehrer*innen abgeschnitten
– das könnte mit dem relativ hohen Numerus Clausus zusammenhängen, vermutet er.
Im Mittelfeld liegen Studierende, die an Gymnasien und Gesamtschulen sowie an
Berufskollegs unterrichten wollen. „Wir haben also noch mal ein gravierenderes
Problem in der Studierendenschaft, die ‚nur‘ für die Sekundarstufe I studiert“,
so Voßkamp weiter über angehende Lehrer*innen, die an Haupt-, Real- und die
Unterstufe von Gesamtschulen unterrichten wollen. Es gebe insgesamt eine große
Streuung innerhalb der Studierendenschaft und sogar innerhalb eines
Studiengangs. „Dort gibt es auch Studierende, die einfach brillant sind.“
Für Behrens und Voßkamp ist es
unverständlich, wie Schüler*innen und Studierende mit solch defizitären
schriftsprachlichen Leistungen die Schullaufbahn durchqueren, durchs Abitur
kommen und eine Bachelorarbeit bestehen konnten. „Erschreckend finde ich, dass
bei manchen kein Problembewusstsein vorhanden ist“, so Voßkamp. Für die Zukunft
der Betroffenen sehe er schwarz. „In maximal zwei Jahren stehen diese
Studierenden nicht nur vor einer Klasse, sondern auch vor Fachleitern,
Schulleitern und Mentoren“, erklärt er. Während des anderthalbjährigen Vorbereitungsdienstes
müssen Referendar*innen einen Spagat hinlegen: Einerseits geben sie
eigenständigen Unterricht, andererseits befinden sie sich selbst noch im
praktischen Teil ihrer Ausbildung. Sollten auch im Referendariat noch derart
große Defizite in der Schriftsprache bestehen, könnten gravierende Konsequenzen
auf die Betroffenen zukommen. „Wenn ein Fachseminarleiter im Worst Case den
Referendar nicht zur unterrichtspraktischen Prüfung zulässt, verlängert sich
die Nummer noch mal um sechs Monate bei gekürzten Bezügen“, warnt Voßkamp. Bei
solch schlechten Rechtschreibleistungen – ob im Unterrichtsentwurf, in
Aufgabenblättern oder an der Tafel und beim Korrigieren – sei das ein durchaus
realistisches Szenario.
Dozenten sind keine Lektoren
Das alles betreffe nicht ausschließlich
Deutschlehrer*innen. Vielmehr müsse die gesamte Lehrer*innenschaft einen
korrekten (schrift)sprachlichen Umgang vorweisen. Denn auch beispielsweise
Mathematiklehrkräfte müssen sich darüber im Klaren sein, dass es
Missverständnisquellen gibt, die rein sprachlicher Natur sind – in Textaufgaben
beispielsweise. „Lehrer müssen Behördenschreiben und Elternbriefe verfassen
können, Sprachvorbild und Sprachreflexionsvorbild sein. Und zwar in allen
Fächern“, so Ulrike Behrens.
Der Kernlehrplan für das Fach
Deutsch an Gymnasien schreibt vor, dass Schüler*innen am Ende
der Sekundarstufe I „Grundregeln der Rechtschreibung und Zeichensetzung sicher
beherrschen und häufig vorkommende Wörter, Fachbegriffe und Fremdwörter richtig
schreiben“ müssen. Eigentlich sollten basale sprachformale Regeln also
vorausgesetzt werden können, damit im Universitätsstudium inhaltliche Aspekte
und Debatten des Fachs behandelt werden können. „Wenn man bis in den Master
hinein Stoff aus der Sekundarstufe wiederholt, dann heißt es im Umkehrschluss
auch was für die fachliche Ausbildung – und das ist ein Problem“, so Behrens.
Daher verzichten einige Dozierende darauf, die Sachlage zu thematisieren und
schieben die Schuld auf die Schule. Behrens und Voßkamp jedoch wollen das
Problem angehen und lösen. Man mache es sich zu einfach, wenn man die
Verantwortung zurückweise.
„Wir
arbeiten in der Sprachdidaktik und bilden angehende Lehrer*innen aus, die dann
wiederum Schüler*innen das beibringen sollen, was sie selbst nicht können. Ich
finde, es ist verdammt nochmal unsere Aufgabe, dass wir uns darum bemühen“, so
Voßkamp. In ihren Seminaren räumen sie und ihre Institutskolleg*innen
regelmäßig Zeit für Auffrischungsübungen ein. Zu Beginn jeder Lehrveranstaltung
wiederholen sie mit den Studierenden unter anderem Regeln der Groß- und
Kleinschreibung oder der Zeichensetzung. Zirka zehn Minuten der Sitzung
verwenden sie dafür. Das sei Zeit, die für eine Auseinandersetzung mit
Seminarinhalten fehle, fügt Behrens hinzu. Von den Studierenden erhalten sie
jedoch dankbare Rückmeldung. Auch über die Seminarsitzungen hinaus bieten sie
Hilfestellung an. Studierende können Teile ihrer Hausarbeit vor der Deadline
einreichen und ein Feedback erbitten. Ungefähr ein Viertel der Studierenden
nutzt das Angebot von Behrens. „Dabei lese ich faktisch jede Arbeit zweimal“,
beschreibt sie den Mehraufwand. Beim ersten Auftreten eines Fehlers notiert sie
die jeweilige Regel an den Seitenrand. Von den Studierenden erwartet sie, dass
sie anhand dieser Notizen selbständig die Arbeit korrigieren. „Ich bin ja nicht
das Lektorat“, sagt sie und verweist darauf, dass eine bloße Korrektur den
Lernfortschritt nicht positiv beeinflussen würde.
Die Angebote sind da
Voßkamp erwartet von den betroffenen
Studierenden ein ausgeprägteres Problembewusstsein und mehr Ehrlichkeit zu sich
selbst. Oftmals bekomme er zu hören, dass es sich um Flüchtigkeitsfehler handle
oder dass der Text unter Zeitdruck entstanden sei. Doch in der Regel sei dies
nur ein Vorwand. Auf einer Seite erkenne man sehr gut, ob es sich tatsächlich
um Flüchtigkeitsfehler oder ein größeres Defizit handle. Voßkamp versteht
diesen Schutzmechanismus – schließlich möchte niemand zugeben, Probleme in der
Rechtschreibung zu haben.
Neben Bemühungen von Dozierenden
scheint auch die Universität die Dringlichkeit des Themas zum Anlass zu nehmen,
verschiedene darauf zugeschnittene Angebote zu schaffen. Schon bei der
Einschreibung müssen Studieninteressierte am Projekt Sprachkompetenz angehender
Lehramtsstudierender (SkaLa)
verpflichtend teilnehmen. Anschließend bekommen sie ein Feedback über mögliche
Defizite. Das könne bis Januar des jeweiligen Folgejahres dauern, so Behrens,
sei aber immer noch früh genug, um diese aufzuarbeiten. Auch das Projekt Studiport vom Landesministerium für Kultur und Wissenschaft bietet
verschiedene Tests – zum Beispiel zu Rechtschreibung und Grammatik, aber auch
zur Gestaltung wissenschaftlicher Texte –, um Studierende und
Studieninteressierte über persönliche Fehlerfelder zu informieren.
Mit neuen Projekten sollen an der UDE
die Sprachkompetenzen von Lehramtsstudierenden verbessert werden, etwa durch
Professionalisierung für Vielfalt (ProViel). Im
Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung von Bund und Ländern soll dadurch
der Ausbau des Umgangs mit Heterogenität in der Schule gefördert werden. Ein
Teilprojekt ist das fördernde Beurteilen schriftlicher Studienleistungen
(FöBesS), mit dem über Fächergrenzen hinweg dieselben Beurteilungsraster
etabliert werden sollen. „Wir glauben, dass es sinnvoll ist, dass Studierende
während des Studiums immer wieder mit denselben Anforderungen konfrontiert
sind“, so Behrens.
Seit über 20 Jahren ist zudem die
Schreibwerkstatt eine feste Institution an der UDE. Dort können Studierende
Hilfe beim Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten, aber auch bei Fragen
hinsichtlich der Formulierung von Texten finden. Jedoch nehmen dieses Angebot
eher Studierende wahr, die keine großen schriftsprachlichen Probleme haben,
schildert Voßkamp seinen Eindruck. Es sei ähnlich wie bei Nachbesprechungen von
Hausarbeiten: „Da kommt eher die Person mit einer 1,3 und fragt, was sie für
eine 1,0 hätte machen müssen.“ Doch gerade von Studierenden mit Defiziten
wünscht sich Voßkamp, dass sie die Probleme reflektieren und ihnen
entgegenwirken – zu ihrem eigenen Wohl und dem der künftigen Schüler*innen.
„Man kann da nur appellieren: Macht was. Die Angebote sind da. Ob online, in
den Seminaren oder in zusätzlichen Institutionen innerhalb der Uni“, so der
Dozent.
Dieser Text erschien zuerst in der
Studentischen Zeitung für Duisburg, Essen und das Ruhrgebiet ak[due]ll
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