27. Januar 2018

Lehrerstudenten können nicht schreiben

Eigentlich erwartet man von Lehrkräften, dass sie ihr Fach beherrschen. Doch die Realität sieht oft anders aus. Patrick Voßkamp und Ulrike Behrens lehren an der UDE im Bereich der Linguistik und der Sprachdidaktik. In ihren Seminaren vermitteln sie ihren Studierenden den Gegenstand der Sprache unter Aspekten der Lehr- und Lernbarkeit, um sie auf die baldige Schulpraxis vorzubereiten. Die Texte, diesie von Studierenden zu Gesicht bekommen, lösen bei ihnen zum Teil Erschreckenaus, sagen sie. Voßkamp hat das Thema erst neulich in einer seiner Lehrveranstaltungen zur Sprache gebracht. In einigen Texten hätte es von Zeichensetzungsfehlern, lexikalischen und grammatikalischen Fehlern sowie erheblichen Defiziten in der Kasusbildung und Flexion gewimmelt. Grundlegende Sprachregeln würden nicht beherrscht. „Im Prinzip werden hier Standards nicht erfüllt, die am Ende der Sekundarstufe I – und eigentlich schon nach der 6. oder 7. Klasse – erfüllt sein müssen“, sagt er und fügt hinzu: „Und das im Lehramtsstudium im Master im Fach Deutsch.“ Dabei handele es sich nicht um Einzelfälle. Allein in seinem Seminar seien ihm in drei Texten erhebliche Sprachdefizite aufgefallen. „Es ist ein gravierenderes Problem, als man anfänglich denkt“, so Voßkamp.
Rechtschreibung als gravierendes Problem. Bild: FAZ
Wie sollen Lehrkräfte vermitteln, was sie selbst nicht können. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.1. von Philipp Frohn

Seine Kollegin Ulrike Behrens verlangt inzwischen von ihren Studierenden zu Beginn jedes Semesters Schreibaufgaben. „Das habe ich früher nicht gemacht. Dann fliegen solche Defizite erst bei den Hausarbeiten auf“, sagt sie. Mittlerweile hat man sich im Fach darauf geeinigt, dass die Korrektur von Arbeiten nach mehr als 15 Fehlern auf den ersten drei Seiten abgebrochen und die Leistung mit „mangelhaft“ bewertet wird. Auf wie viele Arbeiten das zutrifft, können die Dozierenden nicht sagen, da keine Statistik hierzu vorliegt. Wenige seien es jedoch nicht. „Wenn es nur ganz punktuell im Semester vorkommen würde, hätten wir uns ja nicht im Fach in einer Qualitätskonferenz Gedanken machen müssen. Das ist ein ganz schön erschreckendes Signal,“ fügt Voßkamp hinzu.

„Ein gravierendes Problem”
Ihr Institutskollege Albert Bremerich-Vos hat gemeinsam mit Dirk Scholten-Akoun vom Zentrum für Lehrerbildung eine empirische Untersuchung zu schriftsprachlichen Fähigkeiten von Lehramtsstudierenden zu Beginn ihres Studiums durchgeführt. „Da zeigt sich, dass die Situation auch – aber nicht nur in Essen – nicht so bleiben kann, wie sie ist“, fasst Behrens die Ergebnisse zusammen. „Man muss dazu sagen, dass die schriftsprachlichen Leistungen von Lehramtsstudierenden in der Studieneingangsphase in den einzelnen Studiengängen unterschiedlich ausfallen“, ergänzt Voßkamp. Am besten haben angehende Grundschullehrer*innen abgeschnitten – das könnte mit dem relativ hohen Numerus Clausus zusammenhängen, vermutet er. Im Mittelfeld liegen Studierende, die an Gymnasien und Gesamtschulen sowie an Berufskollegs unterrichten wollen. „Wir haben also noch mal ein gravierenderes Problem in der Studierendenschaft, die ‚nur‘ für die Sekundarstufe I studiert“, so Voßkamp weiter über angehende Lehrer*innen, die an Haupt-, Real- und die Unterstufe von Gesamtschulen unterrichten wollen. Es gebe insgesamt eine große Streuung innerhalb der Studierendenschaft und sogar innerhalb eines Studiengangs. „Dort gibt es auch Studierende, die einfach brillant sind.“

Für Behrens und Voßkamp ist es unverständlich, wie Schüler*innen und Studierende mit solch defizitären schriftsprachlichen Leistungen die Schullaufbahn durchqueren, durchs Abitur kommen und eine Bachelorarbeit bestehen konnten. „Erschreckend finde ich, dass bei manchen kein Problembewusstsein vorhanden ist“, so Voßkamp. Für die Zukunft der Betroffenen sehe er schwarz. „In maximal zwei Jahren stehen diese Studierenden nicht nur vor einer Klasse, sondern auch vor Fachleitern, Schulleitern und Mentoren“, erklärt er. Während des anderthalbjährigen Vorbereitungsdienstes müssen Referendar*innen einen Spagat hinlegen: Einerseits geben sie eigenständigen Unterricht, andererseits befinden sie sich selbst noch im praktischen Teil ihrer Ausbildung. Sollten auch im Referendariat noch derart große Defizite in der Schriftsprache bestehen, könnten gravierende Konsequenzen auf die Betroffenen zukommen. „Wenn ein Fachseminarleiter im Worst Case den Referendar nicht zur unterrichtspraktischen Prüfung zulässt, verlängert sich die Nummer noch mal um sechs Monate bei gekürzten Bezügen“, warnt Voßkamp. Bei solch schlechten Rechtschreibleistungen – ob im Unterrichtsentwurf, in Aufgabenblättern oder an der Tafel und beim Korrigieren – sei das ein durchaus realistisches Szenario.

Dozenten sind keine Lektoren
Das alles betreffe nicht ausschließlich Deutschlehrer*innen. Vielmehr müsse die gesamte Lehrer*innenschaft einen korrekten (schrift)sprachlichen Umgang vorweisen. Denn auch beispielsweise Mathematiklehrkräfte müssen sich darüber im Klaren sein, dass es Missverständnisquellen gibt, die rein sprachlicher Natur sind – in Textaufgaben beispielsweise. „Lehrer müssen Behördenschreiben und Elternbriefe verfassen können, Sprachvorbild und Sprachreflexionsvorbild sein. Und zwar in allen Fächern“, so Ulrike Behrens.

Der Kernlehrplan für das Fach Deutsch an Gymnasien schreibt vor, dass Schüler*innen am Ende der Sekundarstufe I „Grundregeln der Rechtschreibung und Zeichensetzung sicher beherrschen und häufig vorkommende Wörter, Fachbegriffe und Fremdwörter richtig schreiben“ müssen. Eigentlich sollten basale sprachformale Regeln also vorausgesetzt werden können, damit im Universitätsstudium inhaltliche Aspekte und Debatten des Fachs behandelt werden können. „Wenn man bis in den Master hinein Stoff aus der Sekundarstufe wiederholt, dann heißt es im Umkehrschluss auch was für die fachliche Ausbildung – und das ist ein Problem“, so Behrens. Daher verzichten einige Dozierende darauf, die Sachlage zu thematisieren und schieben die Schuld auf die Schule. Behrens und Voßkamp jedoch wollen das Problem angehen und lösen. Man mache es sich zu einfach, wenn man die Verantwortung zurückweise.

 „Wir arbeiten in der Sprachdidaktik und bilden angehende Lehrer*innen aus, die dann wiederum Schüler*innen das beibringen sollen, was sie selbst nicht können. Ich finde, es ist verdammt nochmal unsere Aufgabe, dass wir uns darum bemühen“, so Voßkamp. In ihren Seminaren räumen sie und ihre Institutskolleg*innen regelmäßig Zeit für Auffrischungsübungen ein. Zu Beginn jeder Lehrveranstaltung wiederholen sie mit den Studierenden unter anderem Regeln der Groß- und Kleinschreibung oder der Zeichensetzung. Zirka zehn Minuten der Sitzung verwenden sie dafür. Das sei Zeit, die für eine Auseinandersetzung mit Seminarinhalten fehle, fügt Behrens hinzu. Von den Studierenden erhalten sie jedoch dankbare Rückmeldung. Auch über die Seminarsitzungen hinaus bieten sie Hilfestellung an. Studierende können Teile ihrer Hausarbeit vor der Deadline einreichen und ein Feedback erbitten. Ungefähr ein Viertel der Studierenden nutzt das Angebot von Behrens. „Dabei lese ich faktisch jede Arbeit zweimal“, beschreibt sie den Mehraufwand. Beim ersten Auftreten eines Fehlers notiert sie die jeweilige Regel an den Seitenrand. Von den Studierenden erwartet sie, dass sie anhand dieser Notizen selbständig die Arbeit korrigieren. „Ich bin ja nicht das Lektorat“, sagt sie und verweist darauf, dass eine bloße Korrektur den Lernfortschritt nicht positiv beeinflussen würde.

Die Angebote sind da
Voßkamp erwartet von den betroffenen Studierenden ein ausgeprägteres Problembewusstsein und mehr Ehrlichkeit zu sich selbst. Oftmals bekomme er zu hören, dass es sich um Flüchtigkeitsfehler handle oder dass der Text unter Zeitdruck entstanden sei. Doch in der Regel sei dies nur ein Vorwand. Auf einer Seite erkenne man sehr gut, ob es sich tatsächlich um Flüchtigkeitsfehler oder ein größeres Defizit handle. Voßkamp versteht diesen Schutzmechanismus – schließlich möchte niemand zugeben, Probleme in der Rechtschreibung zu haben.

Neben Bemühungen von Dozierenden scheint auch die Universität die Dringlichkeit des Themas zum Anlass zu nehmen, verschiedene darauf zugeschnittene Angebote zu schaffen. Schon bei der Einschreibung müssen Studieninteressierte am Projekt Sprachkompetenz angehender Lehramtsstudierender (SkaLa) verpflichtend teilnehmen. Anschließend bekommen sie ein Feedback über mögliche Defizite. Das könne bis Januar des jeweiligen Folgejahres dauern, so Behrens, sei aber immer noch früh genug, um diese aufzuarbeiten. Auch das Projekt Studiport vom Landesministerium für Kultur und Wissenschaft bietet verschiedene Tests – zum Beispiel zu Rechtschreibung und Grammatik, aber auch zur Gestaltung wissenschaftlicher Texte –, um Studierende und Studieninteressierte über persönliche Fehlerfelder zu informieren.

Mit neuen Projekten sollen an der UDE die Sprachkompetenzen von Lehramtsstudierenden verbessert werden, etwa durch Professionalisierung für Vielfalt (ProViel). Im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung von Bund und Ländern soll dadurch der Ausbau des Umgangs mit Heterogenität in der Schule gefördert werden. Ein Teilprojekt ist das fördernde Beurteilen schriftlicher Studienleistungen (FöBesS), mit dem über Fächergrenzen hinweg dieselben Beurteilungsraster etabliert werden sollen. „Wir glauben, dass es sinnvoll ist, dass Studierende während des Studiums immer wieder mit denselben Anforderungen konfrontiert sind“, so Behrens.

Seit über 20 Jahren ist zudem die Schreibwerkstatt eine feste Institution an der UDE. Dort können Studierende Hilfe beim Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten, aber auch bei Fragen hinsichtlich der Formulierung von Texten finden. Jedoch nehmen dieses Angebot eher Studierende wahr, die keine großen schriftsprachlichen Probleme haben, schildert Voßkamp seinen Eindruck. Es sei ähnlich wie bei Nachbesprechungen von Hausarbeiten: „Da kommt eher die Person mit einer 1,3 und fragt, was sie für eine 1,0 hätte machen müssen.“ Doch gerade von Studierenden mit Defiziten wünscht sich Voßkamp, dass sie die Probleme reflektieren und ihnen entgegenwirken – zu ihrem eigenen Wohl und dem der künftigen Schüler*innen. „Man kann da nur appellieren: Macht was. Die Angebote sind da. Ob online, in den Seminaren oder in zusätzlichen Institutionen innerhalb der Uni“, so der Dozent.


Dieser Text erschien zuerst in der Studentischen Zeitung für Duisburg, Essen und das Ruhrgebiet ak[due]ll

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