Immer mehr Eltern wollen ihre Kinder
nicht zur Schule schicken, sondern zuhause selbst unterrichten. Und nehmen
dafür einiges auf sich.
Homeschooling boomt trotz manchen Vorbehalten, Tageswoche, 20.1. von Jeremias Schulthess
Die Familie S. wohnt in Basel-Stadt
und schickt ihre Kinder nicht zur Schule. Dafür muss sie jedes Jahr 4000
Franken Bussgeld bezahlen – 1000 Franken pro Kind und ebenso viel pro
Elternteil.
Warum tun sich die Eltern das an? Es
sei eine Lebenseinstellung, die dahinterstecke, sagt die Mutter. Ihre Kinder
sollen nicht mit Zwang und nach fixem Programm lernen. «Die Schule bietet nicht
die Möglichkeit, auf jeden Einzelnen einzugehen.»
Für den Präsident des Lehrerverbands
Schweiz, Beat Zemp, ist das, was die Familie S. tut, ein «radikaler Weg».
Homeschooling-Eltern suchten häufig die «totale Kontrolle über ihr Kind». Denn
zuhause könnten die Eltern ihren eigenen Erziehungsstil leben, ohne von der
Aussenwelt belangt zu werden. Zemp schätzt, dass «sich Leute vor allem aus
religiösen oder ideologischen Gründen» für Homeschooling entscheiden. «Es
können ehrbare Motive dahinterstecken, aber auch solche, die man durchaus hinterfragen
kann.»
Der Verzicht auf Schule ist in der
Schweiz ein Randphänomen. Eine Studie zählte in der Schweiz 2012 rund 500
schulpflichtige Kinder, die nicht zur Schule gingen.
Doch
Homeschooling sei etwas, das immer mehr Eltern in Betracht ziehen würden,
erklärt Martina Miedaner, die ihre Kinder ebenfalls nicht zur Schule schickt und
die Eltern berät, die Homeschooling machen möchten. Sie spricht von einem
«Phänomen, das immer mehr Leute beschäftigt».
Elternverbände
bestätigen den Trend
Ähnliches berichten zwei Schweizer
Elternverbände. Pia Amacher von der Elternlobby Schweiz sagt, die Anfragen von
Eltern, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken möchten, «nehmen derzeit
extrem zu».
Willi Villiger vom Verein «Bildung zuhause» bestätigt den Trend.
Sein Verein hilft explizit Eltern, die Homeschooling praktizieren wollen.
Villiger spricht von einem «steten, jedoch keineswegs ungestümen Wachstum». Die
Mitgliederzahl des Vereins habe sich innerhalb der letzten sechs Jahre von 200
auf etwa 600 Eltern verdreifacht.
Das Erziehungsdepartement (ED)
Basel-Stadt kann die Entwicklung nicht bestätigen – wohl auch deshalb, weil der
Kanton das Gesetz für Privatunterricht restriktiv handhabt und Eltern aus dem
Kanton wegziehen, wenn sie ihre Kinder nicht zur Schule schicken wollen. In
Basel-Stadt ist Homeschooling nämlich grundsätzlich verboten. Bewilligt wird
Privatunterricht nur, wenn «besondere Gründe vorliegen, dass ein
Unterrichtsbesuch nicht möglich ist».
In Baselland weniger restriktiv
Privatunterricht kann der Kanton zum
Beispiel bei einem Kind mit chronischer Krankheit bewilligen. Möglich ist der
Privatunterricht aber auch dann nur über ein Jahr hinweg. Eltern, die
länger zu Hause unterrichten wollen, müssen über ein Lehrerdiplom verfügen.
2017 verzeichnete das ED fünf Gesuche
für Privatunterricht, wovon keines bewilligt wurde. Die Zahl der Gesuche sei
«immer etwa gleich hoch», sagt Departementssprecher Simon Thiriet.
Volksschulleiter Dieter Baur erklärt,
warum der Kanton das Homeschooling restriktiv handhabt:
«Homeschooling kann als zeitlich
befristete Lösung in Einzelfällen Sinn machen. Abgesehen davon bin ich aber ein
Verfechter der Schulpflicht. In einer Schule erleben die Kinder einen
wertvollen Austausch mit Gleichaltrigen. Schule besteht nicht nur aus Lernen
und Hausaufgaben, sondern sie ist auch ein soziales Konstrukt. Zuletzt werden
Kinder von ihren Eltern immer mit einer speziellen Optik beurteilt. Das ist
zweifellos richtig und gut so, nur ist für die Entwicklung der Kinder und
Jugendlichen auch der Kontakt zu anderen Bezugspersonen wie beispielsweise
Lehrpersonen extrem wichtig.»
Für einmal liberaler zeigt sich bei
diesem Thema der Nachbarkanton Baselland. Pia Amacher von der Elternlobby
Schweiz kennt dort Familien, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken, ohne
dass sie dafür eine Busse bezahlen müssen.
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