12. Januar 2018

Der ganz normale Wahnsinn des Lehrerzimmers

Spätestens seit die völlig entnervte Lehrerin Ingrid Leimbach-Knorr im Film «Fack ju Göhte» aus dem Fenster springt, ist der Allgemeinheit klar: Lehrersein ist kein Zuckerschlecken. Die Zeiten, als eine Lehrperson ganz selbstverständlich auch eine Autoritätsperson war, sind längst vorbei. Doch der tägliche Krieg tobt nicht nur im Klassen-, sondern auch im Lehrerzimmer. Dies führt uns die neue Hausproduktion des Vorstadttheaters Basel vor Augen.
Lehrkörper unter Druck. Bild: Xenia Zezzi
Das Lehrerzimmer wird zum Zwinger, Basler Zeitung, 12.1. von Raphael Suter
«Das Lehrerzimmer – Eine Passion» ist eine skurrile, witzige, aber auch ernüchternde und tragische Bestandsaufnahme des heutigen Bildungssystems, unter dem nicht nur die Schülerschaft, sondern auch der Lehrkörper leidet. Von einer Passion kann da überhaupt keine Rede mehr sein, es ist ein Martyrium. Und jeder Schultag wird zur Tortur.
Bereits das Läuten der Schulglocke löst bei der Biologielehrerin (Denise Wintsch) einen hysterischen Anfall aus. Der tägliche Rhythmus wird zum Zwang und das Lehrerzimmer zum Lehrerzwinger, in dem sich die Beteiligten eingesperrt fühlen. Da sind die Fische im Aquarium, dem einzigen farbigen Schmuck im Raum, noch freier.

Der geheimnisvolle Raum
Das rund 90-minütige Stück, das unter der Regie von Matthias Grupp mit den sieben Darstellern und ihren eigenen Erfahrungen erarbeitet worden ist, fokussiert sich ganz auf das Geschehen im Lehrerzimmer. Jener für die Schüler so geheimnisvolle Ort, wo über ihr Schicksal entschieden wird. Dass dies mitunter im Eiltempo vor sich geht, zeigt die Notenkonferenz, die keine Zeit für eine subtile Bewertung lässt.

Druck wird nicht nur auf die Schülerschaft ausgeübt, auch die Lehrer selber stehen in einem stetigen Überlebenskampf. Der Rektor, ein Spät-68er mit langen Haaren und Perupullover (Michael Wolf), versteckt sich am liebsten vor allen. Zuweilen lobt er seine Lehrerschaft überschwänglich, spricht salbungsvoll vom Brückenbau zwischen Lehrern und Schülern und tobt dann plötzlich, wenn er eine Unterrichtsstunde übernehmen soll. Den Telefonaten aus dem Departement weicht er aus und überlässt den Tagesbetrieb seiner Co-Rektorin (Gina Durler), die selber am Rand des Wahnsinns ist, zumal sie sich gerade von ihrem Mann trennt, der als Werklehrer (Michael Schwager) ebenfalls an der Schule tätig ist.

Kampf unter Pädagogen
Die Englisch- und Sportlehrerin (Sarah Speiser) zeigt eine krampfhafte Beflissenheit, um endlich eine Festanstellung zu bekommen. Doch da bekommt sie plötzlich Konkurrenz vom neuen Musiklehrer (Aaron Hitz), der sich mit schlechten Witzen und sülzigen Liedern im Kollegium einschmeichelt. Eine kurze Romanze zwischen den beiden kann nicht über den schwelenden Existenzkampf hinwegtäuschen, der zuletzt gar in eine Prügelei ausartet.
Nur die Deutschlehrein (Katja Langnäse) macht penetrant auf Harmonie und versucht in jedem noch so banalen Schülergedicht tiefschürfende Poesie zu entdecken. Aber selbst sie resigniert zum Schluss.

Natürlich sind diese Figuren überzeichnet. Doch jeder Zuschauer entdeckt in der einen oder anderen Person Züge einer Lehrerin oder eines Lehrers von früher. Das macht dieses Stück bei aller Überspitzung authentisch. Und Matthias Grupp sorgt als Regisseur dafür, dass die Sache nicht völlig aus dem Ruder läuft.

Grossartig ist das Bühnenbild von Andreas Bächli. Eine Wand mit vielen Kästen, die nicht nur als Aufbewahrungsort für die Lehrerschaft dienen, sondern zum Fluchtort für den Rektor werden. Die Sportlehrerin turnt sich durch diese Wand, die gar die Aufsicht auf die speditiv durchgezogene Notenkonferenz ermöglicht. Manchmal etwas gar aufdringlich ist der teilweise recht monotone Musikteppich von Florian Grupp, unter dem die Texte stellenweise untergehen.

Alles endet zum Schluss im Tumult, nur die reinen Kehlen eines Kinderchors sorgen für einen kurzen Augenblick der Harmonie. Doch der brutale Schulalltag beginnt bereits am nächsten Tag von Neuem.

Nächste Vorstellungen: 12., 13., 20., 26. und 27. 1., je 20 Uhr. 28. 1., 11 Uhr. 2. und 10. 2., je 20 Uhr. 11. 2., 11 Uhr.Vorstadttheater, Basel. www.vorstadttheaterbasel.ch


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