Das hat es anderswo in der Schweiz noch nie
gegeben: Die Stimmberechtigten im Baselbiet werden voraussichtlich an der Urne
über die Abschaffung von Frühenglisch in den Primarschulen entscheiden. Die
kantonale Abstimmung über die Volksinitiative «Stopp der Überforderung von
Schüler/-innen: Eine Fremdsprache auf der Primarstufe genügt» dürfte am 10.
Juni stattfinden. Morgen ist die Initiative im Landrat traktandiert.
Die obligatorischen Passepartout-Lehrmittel werden heftig kritisiert, Bild: Stefan Leimer
Frühenglisch steht zur Debatte, Basler Zeitung, 24.1. von Thomas Dähler
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Frühenglisch
ist umstritten: Eine Studie der Sprachwissenschaftler Simone Pfenninger und
David Singleton hat ergeben, dass Frühlernende in Zürich nicht bessere
Englischkenntnisse erworben haben als Spätlernende: Je früher, desto besser
gilt nicht. Englisch wird in den Baselbieter Primarschulen ab der 5. Klasse
unterrichtet. Die Bildungs-, Kultur- und Sportkommission des Landrats beantragt
dem Parlament mit acht zu zwei Stimmen, dem Volk ein Nein zur Initiative zu
empfehlen.
Die
von der Starken Schule Baselland lancierte Initiative wurde am 15. Oktober 2015
mit 1969 gültigen Unterschriften eingereicht. Im Initiativkomitee sind sechs
amtierende Landräte vertreten: Paul Hofer (FDP), Caroline Mall (SVP), Regula
Steinemann (GLP), Pascale Uccella (SVP), Paul Wenger (SVP) und Jürg Wiedemann
(GU). Ihr Begehren verlangt, dass auf der Primarstufe nur Französisch als
Fremdsprache unterrichtet wird. Die zweite Fremdsprache wird auf der
Sekundarstufe I eingeführt. Anderslautende interkantonale Verträge und
Konkordate müssen gekündigt werden.
Überforderte
Schüler
Das
Initiativkomitee begründet sein Begehren mit der «flächendeckenden Kritik» am
2014 eingeführten neuen Sprachenkonzept, wonach die Schülerinnen und Schüler
gleichzeitig zwei Fremdsprachen in der Primarschule erlernen müssen. Dies
überfordere die Kinder und führe dazu, dass sie zunehmend frustriert seien. Es
gebe keine Studie, die belege, dass das frühe Erlernen von mehreren
Fremdsprachen nachhaltig wirksam sei. «Es ist uns wichtig, dass an den
Volksschulen keine Experimente mit unseren Kindern durchgeführt werden», sagte
Saskia Olsson, Geschäftsleiterin der Starken Schule, bei der Lancierung des
Volksbegehrens.
Auffallend
ist, dass in den ablehnenden Begründungen der Regierung und der
Landratskommission kein inhaltliches Argument gegen die Initiative aufgeführt ist.
Es gäbe bekanntlich gute Gründe, weshalb Englisch auch für Schweizerinnen und
Schweizer wichtig ist. Doch diese fehlen in den Unterlagen der Regierung und
der Kommission. Diese beschränken sich auf legalistische, finanzielle und
formale Gründe, weshalb das Begehren abzulehnen sei.
Behauptet
wird gar ein mögliches «Eingreifen des Bundes infolge der Abweichung vom
Harmos-Konkordat», was juristisch falsch ist. Der Bund hat einst lediglich in
Aussicht gestellt, zugunsten der Landessprache Französisch zu intervenieren,
diese Möglichkeit aber längst wieder fallen gelassen. Auf Bundesebene
existieren – anders als zu den Landessprachen – keinerlei Bestimmungen zur
Fremdsprache Englisch.
Im
Kommissionsbericht wird auf die Studie von Pfenninger hingewiesen: Diese werde
gemäss der Verwaltung «bezüglich ihrer Methodik in Fachkreisen kritisiert». Die
Regierung begründet ihr Nein mit den Verpflichtungen des Harmos-Konkordats, dem
Baselland beigetreten ist, mit den ihrer Ansicht nach anfallenden Mehrkosten
sowie mit den bereits geleisteten Anstrengungen für den Unterricht auf der
Primarschulstufe, die ungenutzt verpuffen würden. Argumentiert wird zudem mit
den technischen Problemen bei der Gestaltung der Stundentafel.
Ausstieg
aus «Passepartout»
Zudem
befürchtet die Regierung, dass die Chancengleichheit der Baselbieter
Schülerinnen und Schüler «im gesamtschweizerischen Kontext» beeinträchtigt sei.
Die Unterlagen zeigen auch auf, dass in sämtlichen Kantonen Englisch in der
Primarschule unterrichtet wird, in weiten Teilen der Deutschschweiz sogar als
erste Fremdsprache. Das Baselbieter Modell mit Englisch als zweiter
Fremdsprache ab der 5. Klasse basiert auf dem Passepartout-Konzept der Kantone
Bern, Freiburg, Wallis, Solothurn, Basel-Stadt und Baselland.
Gleichzeitig
wird der Landrat morgen auch die Initiative für den «Ausstieg aus dem
gescheiterten Passepartout-Fremdsprachenprojekt» behandeln. Diese Initiative
wurde ebenfalls von der Starken Schule lanciert und dürfte gleichzeitig dem
Volk vorgelegt werden.
Regierung
und Landratskommission lehnen auch diese Initiative ab. Regierungsrätin Monica
Gschwind empfiehlt ein Nein, weil die Sprachkenntnisse des ersten
Passepartout-Jahrgangs erst erhoben werden, wenn dieser die Volksschule
verlässt.
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