1. Dezember 2017

Schweiz passt nicht ins OECD-Schema

Im politischen Diskurs um die Berufsbildung fällt eines auf: Es sind vor allem Akademiker, die zur Berufsbildung vermeintlich gute Ratschläge erteilen. Widerspruch ist angebracht, wenn man die Berufslehre retten will.

Die Macht des Mittelmasses, NZZ, 30.11. von Claudia Wirz



In der OECD liebt man den Standard, böse Zungen könnten auch sagen: das Mittelmass. Gut ist, was ins Schema passt. Alles andere muss reformiert werden. Harmonisierung und Standardisierung sind das Leitmotiv dieser permanent tagenden Konferenz, an der 35 Mitgliedstaaten mitmachen und 3200 Sekretariatsmitarbeiter mit einem Jahresbudget von 363 Mio. Fr. rund 250 Berichte und Publikationen verfassen und Ratschläge erteilen. Der Reformdruck, den die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung etwa auf die Bildungssysteme der Länder ausübt, ist massiv.

Den OECD-Experten verdanken wir zum Beispiel das Konzept der Kompetenzorientierung in der Volksschule im Rahmen des Lehrplans 21. Dieses wiederum ist eng verknüpft mit dem Pisa-Test, dem Medienstar unter den OECD-Inputs. In regelmässigen Abständen misst dieser Test weltweit standardisierte Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern. Regelmässig wird der Test mit grossem Medienecho und pflichtschuldigem Aktivismus belohnt, obschon er bei vielen Wissenschaftern höchst umstritten ist, ja gar als schädlich betrachtet wird.

Pisa messe vor allem die Fähigkeit, den Pisa-Test zu lösen, betonen die Kritiker. Die Bildungsfrage werde darauf reduziert, was bei einem fragwürdigen Test rauskomme. «Teaching to the test», nennt man das im Jargon der Kritiker. Gemeint ist damit, dass solchermassen unterwiesene Schüler keinen echten und schon gar keinen bleibenden Bezug zum Gelernten herstellen können.

Die Kritik ist durchaus angebracht. Ausgerechnet bei jenen Ländern, die die OECD-Reformempfehlungen im Bildungsbereich am besten umgesetzt haben, zeigen sich ökonomische Schwächen. In Finnland, ehedem das schillernde Pisa-Wunderland, das allen anderen Vorbild sein sollte, liegt die Jugendarbeitslosigkeit mit über 20% deutlich über dem Durchschnitt der OECD-Länder, ganz im Gegensatz zur Schweiz.

Doch von solchen Dingen lässt man sich bei der OECD nicht beeindrucken, im Gegenteil. Schon folgt der nächste Streich. In ihrem jüngsten wirtschaftlichen Länderbericht zur Schweiz verlautbart die Organisation, die gemäss eigenen Angaben «nachhaltiges Wirtschaftswachstum» fördert, die Berufsbildung in der Schweiz sei verbesserungswürdig. Zwar wird konstatiert, dass das Bildungssystem in der Schweiz erfolgreich sei und die Jugendarbeitslosigkeit gering. Gleichwohl brauche es Reformen. Diese Reformvorschläge laufen alle in eine Richtung: Die Berufslehre brauche mehr akademische Inhalte, und überhaupt sei eine höhere Akademikerpopulation anzustreben.

Dieser Befund sagt vor allem zwei Dinge aus: Die Schweiz mit ihrem dualen Berufsbildungssystem und der vergleichsweise niedrigen gymnasialen Maturitätsquote passt nicht ins OECD-Standardschema. Jedenfalls zeigt diese Forderung, dass die Experten der OECD die Schweizer Berufslehre nicht verstanden haben. Es sind nicht die Gedankenspiele von Fachleuten aus hochfliegenden Institutionen, die den Erfolg des Berufsbildungssystems ausmachen. Dieser Erfolg ist vielmehr Expertise und Engagement «von unten» zu verdanken, namentlich Unternehmen, die auf dem Markt arbeiten und ihn aus eigener Erfahrung kennen. Zu hoffen ist nur, dass die jüngsten OECD-Ratschläge zur Schweizer Berufslehre nicht in einem monströsen Regulierungswahn enden, so wie es ohne Not beim Lehrplan 21 mit seinen 4000 Kompetenzen geschehen ist.

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