Kinder von Zuwanderern haben mehr
Mühe mit weiterführenden Schulen oder der Lehre als Schweizer Kinder. Schuld
daran sind häufig ihre Eltern.
Bildung: Migration ist ein Stolperstein, Sonntagszeitung, 17.12. von Nadja Pastega
Wenn die Noten nicht genügen, es in der Lehre nicht läuft, ist der
Streit mit den Eltern programmiert. «Mach doch ein Zwischenjahr», heisst es
dann oft. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass das Kind später fit ist für
die Mittelschule oder eine anspruchsvolle Lehre.
Das Problem gilt für Schweizer wie Ausländer – wobei für Letztere
offenbar deutlich mehr, wie erstmals eine Studie der Universität Bern zeigt.
Forscher untersuchten, wie viele Kinder aus Schweizer und Ausländerfamilien den
Anschluss in die Sekundarstufe II nicht schaffen. Zu dieser Ausbildungsstufe
gehören die Berufslehre, Gymnasien und Fachmittelschulen.
Die Bildungsforscher haben die Laufbahn von 13'000 Schulabgängern
untersucht. Ergebnis: Kinder von Zuwanderern bleiben auf der Sekundarstufe II
häufiger sitzen, fliegen aus der Lehre oder dem Gymnasium, brechen selber ab
oder machen ein Zwischenjahr, statt die weiterführende Ausbildung sofort zu
beginnen.
15-Jährige Migrantenkinder liegen ein Jahr zurück
46 Prozent der Migranten-Jugendlichen gehören zu diesen Sitzenbleibern
und Abbrechern oder absolvieren ein zehntes Schuljahr, hat die Studie
ermittelt. Bei den Schweizern sind es 31 Prozent. «Diese Differenz von 15
Prozentpunkten ist massiv», sagt Stefan Wolter, Professor für Bildungsökonomie
an der Universität Bern und Co-Autor der Studie. «Sie bedeutet, dass bei den
Ausländern im Vergleich zu den Schweizern jährlich 3000 bis 4000 Schulabgänger
mehr den Direkteinstieg in die Sekundarstufe II nicht schaffen. Sie geraten
bereits ein Jahr nach der Volksschule in Rückstand.»
Dass Kinder aus Zuwandererfamilien öfter straucheln als einheimische,
lasse sich vor allem mit «Kompetenzunterschieden» erklären, schreiben die Studienautoren.
Wie gross diese sind, hat der Pisa-Schülertest bei den Neuntklässlern gezeigt.
Demnach liegen 15-Jährige mit Migrationshintergrund im Schnitt mit ihren
Leistungen ein Schuljahr hinter den einheimischen Schülern.
Balkan-Jugendliche wählen realistischere Wege
Hinzu kommen «überzogene Bildungsaspirationen» von ausländischen Eltern,
sagt Bildungsforscher Wolter. «Sie schicken ihre Kinder öfter als Schweizer
Eltern ins Gymnasium oder wählen eine anspruchsvolle Lehre, auch wenn ihre
Kinder dafür nicht genügend qualifiziert sind.»
Doch es gibt Unterschiede zwischen den Einwanderungsnationen. So fanden
die Forscher bei der Misserfolgsquote der Balkan-Jugendlichen kaum Unterschiede
zu den Schweizern. Sie wählen offenbar realistische Bildungswege.
Anders die Portugiesen und die «neuen» Zuwanderer aus Deutschland,
Frankreich und Österreich. «Sie sitzen deutlich öfter ein Zwischenjahr ab»,
sagt Wolter. «Ein Schweizer Kind, das durchschnittliche Noten hat, geht in die
Lehre. Bei einem deutschen Kind, das durchschnittliche Schulleistungen hat,
sagen die Eltern: Mach ein Zwischenjahr. In der Hoffnung, dass es dann mit dem
Gymnasium oder der Informatiklehre klappt.»
45 Millionen Franken direkte Bildungskosten mehr
Neben den überrissenen Erwartungen führt auch Uninformiertheit dazu,
dass Ausländer für ihre Kinder die falsche Laufbahn wählen. Sie kennen das
Schweizer Bildungssystem oft zu wenig und unterschätzen die Berufslehre. «Es
braucht eine bessere Beratung der Eltern, um sie davon abzubringen, zu viel für
ihr Kind zu wollen», sagt Stefan Wolter. «Mit Information kann man ihnen
helfen, sich mit realistischen Zielen für ihren Nachwuchs abzufinden.»
Das lohnt sich auch für den Staat. Ein Jahr Beschulung kostet in der
Schweiz rund 15'000 Franken pro Schüler. «Bei 3000 bis 4000 Schülern aus
Ausländerfamilien, die ein Jahr länger in der Ausbildung sind als nötig, ergibt
das für den Staat jährlich 45 Millionen Franken an direkten Bildungskosten»,
sagt Wolter. «Hinzu kommen Steuerausfälle, weil diese Jugendlichen ein Jahr
weniger im Arbeitsleben stehen.»
Umgerechnet entgehen dem Fiskus rund 36 Millionen Franken, sagt Wolter.
«Insgesamt ergibt das potenziell vermeidbare staatliche Kosten von rund 80
Millionen Franken – pro Jahr.»
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