Die Gruppendynamik verschlechtert die Noten vieler Schüler. Eltern sind
oft machtlos, aber Lehrer könnten dem entgegentreten, sagt Jugendpsychologe
Allan Guggenbühl.
Wie Knaben wieder bessere Noten erhalten, Südostschweiz, 5.12. von Yannick Nock
Gute Noten werden von Klassenkameraden oft nicht honoriert. Im
Gegenteil. Schnell gelten begabte Schüler als Streber. Weil Buben aber nicht
als uncool gelten wollen, passen sich einige nach unten an. Jugendpsychologe Allan Guggenbühl weiss um das Verhalten.
Besonders in der Mittel- und Oberstufe gelte das Motto: «Wer zu gut ist, wird
ausgeschlossen.» Das Problem sei nicht einfach zu beheben. «Kinder orientieren
sich viel stärker an der Klasse und ihren Kameraden als an der Lehrperson»,
sagt er. Die Gruppendynamik sei entscheidend, allerdings hätten die Schulen
zunehmend den Blick dafür verloren. «Im individualisierten Unterricht wird der
Klassengeist schnell ignoriert.»
Lehrer in der Pflicht
Für Eltern ist es ebenfalls schwierig einzuschätzen, ob ihr Nachwuchs
schlicht überfordert ist oder nur aufgrund der Klassendynamik die Leistungen
nach unten anpasst. In der Mittel- und Oberstufe würden sich Kinder oft bedeckt
halten, sagt der Jugendpsychologe. «Wenn der als Langweiler angesehene
Klassenkamerad ans Gymnasium will, möchten es viele andere nicht mehr», sagt
Guggenbühl. Dann denken sich die Kinder: «So wie der möchte ich nicht werden.»
Den Eltern würden sie aber nur sagen, dass sie kein Interesse am Gymnasium
hätten.
Guggenbühl nimmt deshalb die Lehrer in die Pflicht. Sie müssten ein
Klima schaffen, in dem gute Leistungen die Norm sind und von den Kindern als
erstrebenswert angesehen werden. «Wenn das gelingt, können alle Schüler ihr
Potenzial ausschöpfen.» Das sei allerdings eine Kunst, räumt Guggenbühl ein.
Manchmal höre er von Lehrpersonen, die unbewusst das Gegenteil verursachen:
«Sie stellen sich vor die Klasse und sagen: ‘Ich bin von allen enttäuscht,
ausser von XY’.» Das Kind werde damit sofort zum Aussenseiter – und alle
anderen möchten selbst nicht so enden.
Der Druck zum Mittelmass
Der zweite Punkt, um der Entwicklung entgegenzuwirken, liegt ebenfalls
bei den Lehrern. Wenn sie den Schulstoff interessant und begeisternd vermitteln
könnten, gelte es nicht als uncool, gute Noten zu schreiben. Einfach sei das
allerdings nicht, sagt Guggenbühl. «Im Gegensatz zu den Mädchen ist das Wort ‘Streber’
bei vielen Knaben negativ besetzt.» Es sei deshalb nicht erstaunlich, dass sich
viele schulisch sehr gute Buben dem Druck zum Mittelmass beugen – und die Noten
sinken.
Seit Mitte der Neunzigerjahre tut sich eine Schere bei der Maturaquote
auf. Mädchen gehen viel häufiger ans Gymnasium als Buben. Zuletzt hat sich der
Trend nochmals verstärkt. Über die Ursachen diskutieren Lehrer, Politiker und
Bildungsforscher seit Jahren. Die Angst, als Streber zu gelten, ging in der
Debatte bisher allerdings unter.
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