Beat Rüedi war über 30
Jahre als Musiklehrer auf Stufe Gymnasium und Sekundarschule tätig. Als
SN-Leser hat er das Thema «Tablets im Unterricht» – angelehnt an das
bevorstehende Pilotprojekt in Hallau – in der Facebook-Gruppe «Deine Plattform»
vorgeschlagen. In einer offenen Abstimmung wurde das Thema von Leserinnen und
Lesern als Recherche-Auftrag bestimmt. Rüedi kritisiert das Projekt: «Die Klasse
wird mit einer fertigen Technologie konfrontiert, mit der sie sich
ausschliesslich auseinandersetzen soll.» So bringe man die Schüler um die
Möglichkeit, eigene Wege und Prozesse zu entwickeln.
Ihm fehlt zudem die fehlende Transparenz des Projekts und der
dazugehörigen Website. Daraus sei nicht ersichtlich, ob das Projekt
beispielsweise durch die Pädagogische Hochschule Schaffhausen begleitet werde.
«Mir fehlt insbesondere das selbstorganisierte Lernen. Hier wird einfach der
klassische Unterricht digitalisiert und alle Schüler machen das Gleiche zur
gleichen Zeit», urteilt Rüedi.
"Die Zeit der Pilotprojekte ist abgelaufen", Schaffhauser Nachrichten, 2.12. von Janosch Tröhler
Der Computer im Schulzimmer
Rüedi ist ein vehementer Verfechter des Konzepts «Lernen
unterwegs». Hierbei bestimmen wenn immer möglich die Schülerinnen und Schüler
ihre Lernzeiten und –orte selber. Das Gelernte bringen sie dann in die Schule,
wo sie es in der Klasse präsentieren und den Lernprozess reflektieren lassen.
Für Rüedi bedeutet das eine drastische Konsequenz: «Computer haben in der
Primarschule nichts zu suchen.» Lernen könne am Computer nicht stattfinden. Die
Schüler lernten bloss, wie man etwas macht, so dass es die Lehrperson nicht
merkt. Der Computer soll lediglich als Präsentationsmittel im Unterricht
angewendet werden. Diesen Ansatz hat Rüedi selbst während sechs Jahren an der
Sekundarschule angewandt.
Beat Rüedi, pensionierter Lehrer
«Das heisst aber nicht, dass dieses Modell für alle stimmt»,
kontert Philippe Wampfer. Er gilt zudem als Experte, wenn es um Digitalisierung
in der Bildung geht. Wampfler unterrichtet Deutsch an der Kantonsschule Enge
und ist Dozent für Fachdidaktik Deutsch an der Universität Zürich. «Wenn man
davon ausgeht, dass die Schule einen auf die Arbeitswelt vorbereiten soll, ist
es nicht realistisch zu sagen, der Computer habe im Klassenzimmer nichts
verloren», meint Wampfler und sieht auch den «Lernen unterwegs» skeptisch. Die
Idee widerspreche der aufkommenden Kritik an den Hausaufgaben: «Studien zeigen,
dass Schülerinnen und Schüler mit einem guten Umfeld von Hausaufgaben
profitieren. Die anderen haben dafür einen grossen Schaden. Es ist nicht
demokratisch, Hausaufgaben zu erteilen.»
Pilotprojekte sind vorbei
Allerdings kritisiert auch Wampfler das Projekt in Hallau: «Mich
erstaunt, dass der Kanton Schaffhausen so vorgeht. Die Zeit der Pilotprojekte
ist abgelaufen.» Denn solche Initiativen hätten drei Probleme: «Erstens haben
sie mehr Ressourcen als im realen Fall. Zweitens arbeiten sie mit affinen
Lehrpersonen, die mitmachen wollen. Und drittens fallen die
Vermittlungsprobleme bei weniger affinen Personen weg, die man bei einer
flächendeckenden Einführung hätte.» Besser wäre es, gleich überall die Tablets
einzuführen.
Zu oft werde das Was ins Zentrum gestellt und das Wie vergessen.
Wampfler meint: «Auf der Projektseite von Hallau wird genau beschrieben, welche
Geräte und Software man einsetzt. Aber nicht, was und wie man mit diesen
Technologien arbeitet.» Es laufe auf den Grundsatz heraus: «Wenn man einen
schlechten Prozess digitalisiert, bleibt es trotzdem ein schlechter Prozess.»
Man müsse sich erst Gedanken zur Didaktik machen und erst dann digitalisieren.
Er nennt das Beispiel von digitalisierten Lehrmitteln, die kaum mehr als
einfache PDF-Dokumente seinen.
PH-Studenten idealisieren
eigene Erfahrungen
Wie und vor allem wie stark die Digitalisierung in der Schule
Einzug halten soll, ist umstritten. Es ist an den Lehrerinnen und Lehrern, wie
sie den Unterricht gestalten. Doch sie würden kein echtes digitales Lernen
ermöglichen, wenn ihnen das an Pädagogischen Hochschulen (PH) nicht
verpflichtend vermittelt werde, ist Beat Rüedi überzeugt. Es wäre
wünschenswert, wenn an der PH vermehrt Anreize für digitales Lernen mitgegeben
würden, sagt auch Wampfler. Der Lehrplan 21 werde aber Bewegung in dieses Thema
bringen. Weiterbildungen für Lehrer im Bereich Informatik und Medienkompetenz
seien stets ausgebucht.
Philippe Wampfler, Fachdidaktik-Dozent
Dass sich mit den heutigen Studentinnen und Studenten der PH die
Frage der Digitalisierung löse, sei ein Trugschluss. Denn auch wenn die Studierenden
bereits mit digitalen Kommunikationsmitteln aufgewachsen seien, bedeute das
noch lange nicht, dass der Wandel schneller und einfacher vonstatten gehe.
Davon sind Rüedi und Wampfler überzeugt. «Die Studentinnen und Studenten
idealisieren die Schule, die sie selber erlebt haben», sagt Wampfler. «Sie
werden Lehrer, weil sie gerne in die Schule gegangen sind, aber das war keine
digitale Schule.»
Das Ende des Klassenzimmers?
Die Digitalisierung führt zwangsläufig auch zur existenziellen
Frage: Braucht es die Schule als Ort künftig noch? Ja, finden sowohl Rüedi als
auch Wampfler. «Die Schule soll ein Begegnungsort sein, wo soziale Kompetenzen
vermittelt werden», sagt Rüedi. Ausserdem sei Lernen ein interaktiver Prozess,
ein Geben und Nehmen. Wampfler denkt, dass das traditionelle Klassenzimmer wohl
keine Zukunft mehr hat. Die Schule als Ort bräuchte es aber weiter: «Es ist ein
Schonraum. Für Schüler, die zuhause ein schlechtes Umfeld haben, ist die Schule
eine sichere Umgebung, in der sie auch Fehler machen dürfen. Das ist eine
Grundfunktion.» Die Volksschule habe den Anspruch, Menschen aus
unterschiedlichsten sozialen Schichten zusammenzubringen. Diese räumliche
Funktion könne man nicht digitalisieren.
Philippe Wampfler, Kantonsschullehrer
Die fundamentalen Einschnitte, welche die Digitalisierung auch
im Klassenzimmer vollzieht, lassen sich kaum aufhalten. Und die Debatte, wie
man damit umgeht, wird weitergehen. Entscheidend sei, dass man sich genau
überlegt, welche Kompetenzen man für das 21. Jahrhundert vermitteln will.
Sollen Schülerinnen und Schüler etwas von Informatik und Robotik verstehen und
Programmieren können? «Irgendwann muss man die Diskussion führen, worauf man
verzichten soll», sagt Wampfler. Man könne nicht den bisherigen Stoff
unterrichten und noch mehr aufladen. «Tablets im Unterricht einzusetzen, ist
wirklich nicht mehr revolutionär.» Wenn die Lehrer etwas mit digitalen Medien
machen wolle, solle man das auch können, sagt Wampfler. «Das sollte in der
Schweiz längst keine Verhandlungsfrage mehr sein.»
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen