Bis vor rund 10 Jahren
gingen Experten davon aus, dass es ADHS im Erwachsenenalter gar nicht gibt.
Wird die Störung heute dafür zu oft diagnostiziert? Zwei Solothurner
Psychologen über die Erkrankung und deren Vorurteile.
ADHS –
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Was ist das?
Sabine Tschudin: ADHS ist wahrscheinlich eine
Stoffwechselstörung des Gehirns. Betroffene können sich weniger gut selbst
steuern.
Raphael Ditzler: Sie schaffen es nicht, ihre
Steuererklärung auszufüllen, oder im Büro still zu sitzen. Die drei
HauptSymptome sind: Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität, Impulsivität. Wobei die
Hyperaktivität - das H in ADHS - bei Erwachsenen oft weniger wird.
Das gibt dann ADS.
Tschudin: Das kann man so nicht sagen. Die
Hyperaktivität kann im Verlaufe des Lebens weniger werden. ADS kann aber wie
eine ADHS schon seit der Kindheit bestehen, wenn die Hyperaktivität gar nie
ausgeprägt war. Das sind dann die Mädchen, die ganz verträumt und schüchtern
sind – nicht die Kinder vom Typ «Rowdy», die oft Ärger mit dem Lehrer haben und
Lärm machen.
ADHS ist also nicht nur
eine Kinderkrankheit.
Ditzler: Nein. Etwa die Hälfte der Kinder, die
betroffen sind, hat auch im Erwachsenenalter eine ADHS.
Tschudin: Man darf aber nicht vergessen, dass die
Statistik nur die Leute berücksichtigt, die auch abgeklärt sind. Viele
Erwachsene sind das nicht. Oft bemerken sie erst, dass sie eine ADHS haben,
wenn sie ihre Kinder abklären lassen.
Woran liegt das?
Tschudin: Man ging lange davon aus, dass es ADHS im
Erwachsenenalter gar nicht gibt. In den 90ern war das kein Thema.
Ditzler: Es gibt sicher auch Erwachsene, die das
ADHS gut kompensieren können. Wenn sich Betroffene für etwas interessieren,
können sie sich sehr gut darauf konzentrieren und durchaus Karriere machen.
Spannend sind die Fälle, in denen 50-Jährige nach einem Unfall den Job wechseln
müssen und sich fragen, warum sie ihr Leben nicht mehr auf die Reihe kriegen.
Dann wächst ADHS nicht
raus – Betroffene gewöhnen sich daran?
Tschudin: Ich glaube, ein Teil der Störung bleibt
immer. Und seien dies nur die Folgen der Erfahrungen, die man in seiner
Kindheit gemacht hat. Viele werden gehänselt, manche geraten später auf die
schiefe Bahn. Versuchen, sich mit Drogen abzulenken. Sie merken, dass sie
einfach nicht auf einen grünen Zweig kommen und das zermürbt sie.
Wo ist die Grenze
zwischen etwas hyperaktiv sein und einer ernsthaften Störung?
Ditzler: Eine klare Grenze gibt es nicht. Es kommt
auf den Leidensdruck an. Nur weil es mich langweilt, die Steuererklärung
auszufüllen, habe ich noch keine ADHS. Aber es ist etwas anderes, wenn ich mich
hinsetze, sie ausfüllen will, und einfach nicht kann.
Es gibt auch Leute die
sagen, ADHS sei eine Ausrede für alles. Wieso gibt es heute mehr ADHSler als
früher?
Tschudin: Früher hiess es «Reiss dich zusammen»,
wenn jemand in der Schule auffällig war. Heute werden solche Kinder beim
schulpsychologischen Dienst angemeldet. Verhaltensauffällige haben in der
heutigen Gesellschaft weniger Platz. Zappelphilippe von damals, die als Kind
nicht abgeklärt wurden, sind jetzt erwachsen, und erhalten teilweise eine
Diagnose.
Manchmal auch zu
voreilig?
Ditzler: Natürlich muss man aufpassen, dass man nur
die diagnostiziert, die wirklich betroffen sind. Dafür haben wir heute den
Vorteil, dass wir bei Kinder mit Schwierigkeiten erklären können, dass sie eine
ADHS haben, und nicht einfach faul oder schlecht erzogen sind.
So wird ADHS bei
Erwachsenen therapiert
Für ADHS gibt es verschiedene
Therapiemöglichkeiten. Von Coaching bis zu Gesprächstherapie. Die
Behandlungsmöglichkeit gibt es nicht, dafür viele Formen, die umstritten sind.
So wie das Neurofeedback. Paul Rüfenacht bietet die Therapiemöglichkeit in
Solothurn an. Seine Patienten werden mit einem Computer verkabelt, der deren Hirnströme
misst. Mit Computerspielen und Filmchen sollen die ADHSler so das Gefühl von
Konzentration lernen, und trainieren.
Auch mit der Ergotherapie sollen Erwachsene mit
ADHS trainieren - aber nicht Konzentration, sondern Struktur. Mit kleinen
Übungen in Therapiesitzungen lernen sie, sich an Vorgaben und Arbeitspläne zu
halten, und werden mit ihrer Unsrukturiertheit konfrontiert. Die Ergotherapeutin
Joanna Murawski bietet die Therapiemöglichkeit in Olten an.
Auch in der Gesprächstherapie soll ADHSlern
geholfen werden. Thomas Barth betreibt in Bern personenzentrierte
Psychotherapie. In dieser Form der Gesprächstherapie geht der Therapeut auf
Erlebnisse und Erfahrungen des Patienten ein, um so an dessen Selbstwertgefühl
und Persönlichkeitsentwicklung zu arbeiten. Denn: Von ADHS Betroffene werden im
Leben oft mit Misserfolgen konfrontiert.
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