9. November 2017

Sehr späte Einsicht

Es kommt nicht mehr allzu häufig vor, dass mich die morgendliche Lektüre von Zeitungsartikeln auf die Palme treibt. Letzte Woche allerdings geschah das Unwahrscheinliche gleich zweimal. Dicht hintereinander. Den Anfang machte Kerstin Wenk, VPOD-Sekretärin und SP-Grossrätin, mit einem Rundumschlag gegendie Bildungspolitik des Basler Erziehungsdepartements unter dem liberalenVorsteher Christoph Eymann. (BaZ, 2.11.2017) Die harten Vorwürfe hätten natürlich markant an Glaubwürdigkeit gewonnen, wenn sie nicht erst nach der 16-jährigen Amtszeit des Erziehungsdirektors geäussert worden wären. «Nachtreten» ist keine besonders mutige Tat; im Fussball gäbe es für das Foul umgehend die rote Karte.
Rote Karten für Nachtreten, Basler Zeitung, 9.11. von Roland Stark

Tatsächlich wurde die Schulpolitik Christoph Eymanns über all die Jahre von der SP mit grösster Sympathie begleitet. Weder in der langen Liste parlamentarischer Vorstösse noch in den zahllosen Presseerklärungen findet sich ein Indiz, dass die Partei dem Vermessungswahn, den Lernberichten in Kindergärten und Primarschulen, der teilautonomen Schule, der zunehmenden Verbürokratisierung, dem Lehrergedränge in den Klassenzimmern oder gar der Abschaffung der Kleinklassen ablehnend oder wenigstens skeptisch gegenübergestanden wäre.

Neidlos muss man anerkennen, dass der bürgerliche Regierungsrat – gut beraten, aber leider öfter auch irregeleitet von linken Einflüsterern – konsequent sozialdemokratische Bildungspolitik betrieben hat. Da die Sozialdemokraten selbst das traditionelle Kerngeschäft Bildung und Erziehung sträflich vernachlässigt haben, ist ihr nur noch die Rolle als fröhlich winkende Fangemeinschaft am Spielfeldrand übrig geblieben.

Nur einen Tag nach der Attacke von links packte auch die Basler Zeitung den mächtigen Vorschlaghammer aus. Ein Werkzeug, das bisher für Hans-Peter Wessels und Urs Wüthrich reserviert schien. Im Fokus der Abrechnung stand aber nicht Christoph Eymann (der die Probleme «verschlafen» habe), sondern sein Nachfolger («Klon») Conradin Cramer. Die Schonfrist für den liberalen Sonnyboy ist bereits nach neun Monaten abgelaufen. Ihm fehle der «revolutionäre Geist» (!), um die«Vogel-Strauss-Politik» aufzugeben und unbequeme Entscheide zu fällen. (BaZ,3.11.2017)

In der Zeit von 2000 bis 2016 genoss der Erziehungsminister in den Medien einen luxuriösen Wellness-Service. Deutliche Kritik an den toxischen Produkten der Bildungsbürokratie wurde an Gastkommentatoren oder Kolumnisten ausgelagert. Mit einem Tritt wird nun das politische Erbe von Christoph Eymann urplötzlich auf den Abfallhaufen der Geschichte befördert.

Beide Abschlusszeugnisse hinterlassen einen schalen Nachgeschmack. Man spürt förmlich das schlechte Gewissen der Autorinnen für das Versäumnis, die Bedenken nicht rechtzeitig und mit der notwendigen Klarheit ausgesprochen zu haben.

Der Medienrummel hat aber auch eine positive Seite. Bildung und Erziehung werden endlich wieder Gegenstand einer kontroversen Debatte. Vielleicht geht das Regime der von oben nach unten durchgezwängten Konzepte dem Ende entgegen. Das Thema wird dem allein selig machenden Einfluss der Experten und Bürokraten entrissen und wieder stärker in die Hände der direkt Betroffenen gelegt.

Hoffentlich zum Wohl der Schülerinnen und Schüler.


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