8. November 2017

Gegen psychometrische Vermessungen an der öffentlichen Schule

Die in Basel heiss diskutierten Vergleichsteste messen nicht den einzelnen Schüler. Sie messen die Schulsysteme und deren Output. Dies ist der Sinn von internationalen Schulleistungsuntersuchungen wie Pisa, Timss und Co.
Es geht um Transparenz, Qualitätssicherung, Controlling und Benchmarking. Allesamt Begriffe, wie wir sie aus der Wirtschaft kennen. Vergessen wir einmal die Frage, ob das, was die Wirtschaftsorganisation OECD – sie ist die Auftraggeberin der Pisa-Testreihe – da so alles gemessen hat, überhaupt dasjenige ist, von dem wir wollen, dass unsere Schüler und Schülerinnen das in der Schule lernen.
Wo die wahren Probleme liegen, Basler Zeitung, 8.11. vo Katja Christ


Die Schule einer solchen Wirtschaftsphilosophie zu unterwerfen ist fragwürdig, denn Unterricht funktioniert nicht wie die Produktion von Kühlhauben in einer Fabrik. Trotzdem sollten wir die Teste nicht grundsätzlich verteufeln. Sie können uns interessante Rückmeldungen geben: So hat Pisa uns gezeigt, dass rund ein Fünftel unserer Schüler die Grundkompetenzen beim Lesen nicht erreicht.

Asien auf dem Vormarsch
Um dies festzustellen, reichen Stichproben, wie sie der Kanton Bern durchführen will, längstens. Flächendeckende Teste kosten viel und haben wenig Aussagekraft. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, dass wir in einem globalen Wettbewerb stehen, dem sich die Schule nicht ohne Weiteres entziehen kann. Gerade in Basel könnten wir es, wenn wir es überhaupt genau wissen wollten, hautnah miterleben. Etwa 93 Prozent des Kaders der Novartis sind Expats. Die Geschäftssprache ist Englisch. Wer in der Novartis Karriere machen will, und sei sie noch so bescheiden, muss perfekt Englisch können.
Die Timss-Sieger Singapur, China, Taiwan, Südkorea und neuerdings auch Vietnam bringen atemberaubende Resultate in der Mathematik hervor. Von 1000 Schülern weisen diese Länder zwischen 300–380 Hochleister auf, das sind Schüler, die die oberste Kompetenzstufe in diesem Fach erreicht haben. Die Schweiz bringt es auf 80, Deutschland auf 50 und Frankreich auf lediglich 20 Spitzenschüler unter 1000.

Die Top-Resultate der Asiaten werden mit Pauken bis zum Umfallen, mit massiver Unterstützung der Eltern plus einer starken Förderung der Hochbegabten erreicht. Und bezahlt wird es mit wirklichem Stress, einer beängstigenden Suizidrate und unglücklichen Schülern. Natürlich will bei uns keiner ein solches Schulsystem einführen, auch ich nicht. Aber das Gegenteil zu propagieren und alles auf den kleinsten Nenner zurückzuführen, mit Inklusionsfantasien, Charakterbeurteilungen, selbstorganisiertem und selbstbestimmtem Lernen, kann auch nicht unser Weg sein und würde unser Land nicht nur bildungsmässig ins Abseits führen.

Leistung muss gemessen werden
Eine Schule, die keine Leistung verlangt, kann genauso inhuman sein wie eine asiatische Paukerschule. Und gelangweilte und unterforderte Kinder sind für ein Schulsystem genauso skandalös wie der angeprangerte Leistungswahn bei den Jüngsten. Es ist eine Illusion, zu meinen, Lernen liesse sich von Leistung und deren Beurteilung entkoppeln, damit der Lernprozess unbelastet vonstatten ginge.

Das Dilemma zwischen Stigmatisierung und Auswahl einerseits und klarer Beurteilung andererseits gilt es auszuhalten. In diesem Sinne ist die Leistungsrückmeldung für den Lernfortschritt unabdingbar. Wann diese zu erfolgen hat, ist jedoch auszuhandeln.
Sicher braucht es sie nicht im Kindergarten, wo sie nur Schaden anrichtet. Aber spätestens ab der dritten Klasse darf man es den Kindern zumuten. Schriftlich festgehaltene psychometrische Vermessungen der Kinder bei den überfachlichen Kompetenzen jedoch haben in einer öffentlichen Schule nichts verloren. Steve Jobs lässt grüssen.

Gut gemeint, aber falsch
Hätten die Lehrkräfte zumindest bei den Jüngsten mehr Gestaltungsfreiraum bezüglich der Leistungsrückmeldung und wären sie nicht gezwungen, zusätzlich Beobachtungsbögen mit charakterlichen Verhaltensnormen auszufüllen, die Diskussion wäre wohl kaum entfacht.
Es war wohl wieder gut gemeint und abermals wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Genauso wie mit dem unsinnigen Frühfranzösisch, dem sündhaft teuren Lehrmittel Passepartout, mit flächendeckenden Vergleichstesten, Luxusschulbauten und dem Ausbau der Bildungsbürokratie. Wir ziehen damit nur Ressourcen ab, die wir dringend woanders benötigen.


Katja Christ ist Basler Grossrätin und Präsidentin der GLP.

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