Die in Basel heiss diskutierten
Vergleichsteste messen nicht den einzelnen Schüler. Sie messen die Schulsysteme
und deren Output. Dies ist der Sinn von internationalen
Schulleistungsuntersuchungen wie Pisa, Timss und Co.
Es
geht um Transparenz, Qualitätssicherung, Controlling und Benchmarking. Allesamt
Begriffe, wie wir sie aus der Wirtschaft kennen. Vergessen wir einmal die
Frage, ob das, was die Wirtschaftsorganisation OECD – sie ist die
Auftraggeberin der Pisa-Testreihe – da so alles gemessen hat, überhaupt
dasjenige ist, von dem wir wollen, dass unsere Schüler und Schülerinnen das in
der Schule lernen.
Wo die wahren Probleme liegen, Basler Zeitung, 8.11. vo Katja Christ
Die
Schule einer solchen Wirtschaftsphilosophie zu unterwerfen ist fragwürdig, denn
Unterricht funktioniert nicht wie die Produktion von Kühlhauben in einer
Fabrik. Trotzdem sollten wir die Teste nicht grundsätzlich verteufeln. Sie
können uns interessante Rückmeldungen geben: So hat Pisa uns gezeigt, dass rund
ein Fünftel unserer Schüler die Grundkompetenzen beim Lesen nicht erreicht.
Asien
auf dem Vormarsch
Um
dies festzustellen, reichen Stichproben, wie sie der Kanton Bern durchführen
will, längstens. Flächendeckende Teste kosten viel und haben wenig
Aussagekraft. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, dass wir in einem
globalen Wettbewerb stehen, dem sich die Schule nicht ohne Weiteres entziehen
kann. Gerade in Basel könnten wir es, wenn wir es überhaupt genau wissen
wollten, hautnah miterleben. Etwa 93 Prozent des Kaders der Novartis sind
Expats. Die Geschäftssprache ist Englisch. Wer in der Novartis Karriere machen
will, und sei sie noch so bescheiden, muss perfekt Englisch können.
Die
Timss-Sieger Singapur, China, Taiwan, Südkorea und neuerdings auch Vietnam
bringen atemberaubende Resultate in der Mathematik hervor. Von 1000 Schülern
weisen diese Länder zwischen 300–380 Hochleister auf, das sind Schüler, die die
oberste Kompetenzstufe in diesem Fach erreicht haben. Die Schweiz bringt es auf
80, Deutschland auf 50 und Frankreich auf lediglich 20 Spitzenschüler unter
1000.
Die
Top-Resultate der Asiaten werden mit Pauken bis zum Umfallen, mit massiver
Unterstützung der Eltern plus einer starken Förderung der Hochbegabten
erreicht. Und bezahlt wird es mit wirklichem Stress, einer beängstigenden
Suizidrate und unglücklichen Schülern. Natürlich will bei uns keiner ein
solches Schulsystem einführen, auch ich nicht. Aber das Gegenteil zu
propagieren und alles auf den kleinsten Nenner zurückzuführen, mit
Inklusionsfantasien, Charakterbeurteilungen, selbstorganisiertem und
selbstbestimmtem Lernen, kann auch nicht unser Weg sein und würde unser Land
nicht nur bildungsmässig ins Abseits führen.
Leistung
muss gemessen werden
Eine
Schule, die keine Leistung verlangt, kann genauso inhuman sein wie eine
asiatische Paukerschule. Und gelangweilte und unterforderte Kinder sind für ein
Schulsystem genauso skandalös wie der angeprangerte Leistungswahn bei den
Jüngsten. Es ist eine Illusion, zu meinen, Lernen liesse sich von Leistung und
deren Beurteilung entkoppeln, damit der Lernprozess unbelastet vonstatten
ginge.
Das
Dilemma zwischen Stigmatisierung und Auswahl einerseits und klarer Beurteilung
andererseits gilt es auszuhalten. In diesem Sinne ist die Leistungsrückmeldung
für den Lernfortschritt unabdingbar. Wann diese zu erfolgen hat, ist jedoch
auszuhandeln.
Sicher
braucht es sie nicht im Kindergarten, wo sie nur Schaden anrichtet. Aber
spätestens ab der dritten Klasse darf man es den Kindern zumuten. Schriftlich
festgehaltene psychometrische Vermessungen der Kinder bei den überfachlichen
Kompetenzen jedoch haben in einer öffentlichen Schule nichts verloren. Steve
Jobs lässt grüssen.
Gut
gemeint, aber falsch
Hätten
die Lehrkräfte zumindest bei den Jüngsten mehr Gestaltungsfreiraum bezüglich
der Leistungsrückmeldung und wären sie nicht gezwungen, zusätzlich Beobachtungsbögen
mit charakterlichen Verhaltensnormen auszufüllen, die Diskussion wäre wohl kaum
entfacht.
Es
war wohl wieder gut gemeint und abermals wird das Kind mit dem Bade
ausgeschüttet. Genauso wie mit dem unsinnigen Frühfranzösisch, dem sündhaft
teuren Lehrmittel Passepartout, mit flächendeckenden Vergleichstesten,
Luxusschulbauten und dem Ausbau der Bildungsbürokratie. Wir ziehen damit nur
Ressourcen ab, die wir dringend woanders benötigen.
Katja
Christ ist Basler Grossrätin und Präsidentin der GLP.
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