29. Oktober 2017

Relativer Alterseffekt

Schulklassen bestehen im Regelfall aus Kindern zweier Jahrgänge; der Stichtag entscheidet, ab welchem Datum ein Kind standardmässig eingeschult wird. Für den untersuchten Zeitraum war dies jeweils der 1. Mai. Wer exakt an diesem Tag geboren ist, ist 364 Tage älter als jemand, der am 30. April des darauffolgenden Jahres geboren wurde. Dieser Unterschied bedeutet, im statistischen Durchschnitt, für die jeweils älteren Kinder einen Entwicklungsvorsprung. Der Effekt, dass dieser Entwicklungsvorsprung Einfluss auf spätere Selektionen hat, sei es im Sport oder im akademischen Bereich, wird in der Forschung als relativer Alterseffekt bezeichnet. Erste wissenschaftliche Publikationen dazu wurden bereits in den 1970er Jahren veröffentlicht. 
Relativer Alterseffekt, Schweiz am Wochenende Ausgabe Basel, 28.10.


Die bz hat den relativen Alterseffekt beim Nachwuchs des FC Basel seit 2015 mehrmals beleuchtet. Seither haben die Verantwortlichen Anpassungen vorgenommen, um den unerwünscht hohen Anteil früh im Jahr geborener Nachwuchsspieler zu verringern. So hat der Fussballverband eine Quote für Spieler eingeführt, die im zweiten Halbjahr geboren sind. Dies aus dem Grund, dass Talente verloren gehen, wenn Kinder gefördert werden, die ihren Mitspielern nur wegen ihres Altersvorsprungs überlegen sind. Denn dieser Vorsprung verpufft im Erwachsenenalter. In der akademischen Welt ist der Effekt ebenfalls mehrfach nachgewiesen. Eine Untersuchung der Universität Oxford mit 28 921 Studenten zeigte, dass die kurz nach dem Stichtag geborenen Studenten mit 14 Prozent übervertreten waren. Die relativ jüngsten Studenten eines Jahrgangs waren an der Universität mit 16 Prozent untervertreten. Die Untersuchung der «Schweiz am Wochenende» zeigt nun, dass dieser Effekt auch im Basler Schulsystem nachweisbar ist: Von 2005 bis 2016 sind 271 Schüler mehr mit Geburtstag im ersten Halbjahr ab Stichdatum in Basler Gymnasien eingetreten als solche mit Geburtstag im zweiten Halbjahr. Das entspricht 10,3 Prozent. Die Geburtenraten hingegen sind jeweils ziemlich regelmässig über die Jahreshälften verteilt: In Basel-Stadt wurden von 1991 bis 2000 gemäss Statistischem Amt jährlich 928 Kinder von November bis April geboren und 943 von Mai bis Oktober. In wissenschaftlichen Arbeiten wird die Verteilung der Geburtenzahlen jeweils herausgerechnet , die «Schweiz am Wochenende» hat diesen Effekt nicht berücksichtigt. 

Das Basler Schulsystem bestand für Schüler im Untersuchungszeitraum aus vier Jahren Primar- und drei Jahren Orientierungsschule. Die erste Selektion – der Eintritt ins Gymnasium oder die Weiterbildungsschulen – fand demnach nach sieben Schuljahren statt. Mit dem neuen Schulsystem, in dem nach sechs Primarschuljahren eine erste Selektion in die verschiedenen Sekundarschul-Niveaus durchgeführt wird, dürfte sich der relative Alterseffekt gemäss Theorie verstärken. Auch, dass der Stichtag seit 2012 jährlich um einen halben Monat nach hinten verschoben wurde und ab 2017 am 1. August ist, dürfte den Effekt verstärken, da die Kinder bei Schuleintritt jünger sind.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen