Es
kommt nicht oft vor, dass im Ausland an den Grundzügen der Schweizer
Bildungspolitik geschraubt wird. Das passiert nur, wenn der Handlungsdruck
gross ist – so wie kürzlich in Hamburg. Dort versammelten sich die Lehrerverbände
der Schweiz, Österreich und Deutschland zu einem Spitzentreffen, um ein
länderübergreifendes Manifest zu verfassen: die Hamburger Erklärung. Darin
warnen die Lehrer aller drei Länder vor Sponsoring an Schulen.
Kommerz im Klassenzimmer, Schweiz am Wochenende, 14.10. von Yannick Nock
Lehrer wollen weniger Logos im Klassenzimmer, Basler Zeitung, 14.10.
Lehrer wollen weniger Logos im Klassenzimmer, Basler Zeitung, 14.10.
Schon
länger drängen Firmen und Verbände in die Klassenzimmer. Ein Trend, der
anziehen wird, denn mit den zuletzt verkündeten Sparmassnahmen geraten die
Schulen unter Druck. Bund und Kantone investieren künftig weniger in die
Bildung. Gleichzeitig steigen die Schülerzahlen erstmals seit Jahren wieder an.
In der angespannten Lage klingen Angebote von Firmen verlockend, Lehrmaterial,
Apps oder Tablets kostengünstig zur Verfügung zu stellen. Doch dem Lockruf
folgen dürften die Schulen nicht. Das sei der falsche Weg, warnen die Lehrer.
Vielmehr müssten Bund und Kantone jetzt handeln: «Die Politik darf nicht
sukzessive Sponsoring an Schulen erlauben, um sich selbst aus der Verantwortung
zu stehlen», heisst es in der Hamburger Erklärung.
Beat
Zemp, der oberste Lehrer der Schweiz und Mitverfasser des Manifests, kritisiert
die Zunahme von Logos, Product Placement und anderen Einflüssen in den
Klassenzimmern. «Dagegen müssen wir uns wehren.» Der zentrale Punkt der
Hamburger Erklärung lautet deshalb: «Es braucht einheitliche, verbindliche
Regeln für das Sponsoring an Schulen.» Die Lehrer fordern von den Kantonen
klare Strukturen, ansonsten würden sich die Risiken auf allen Stufen erhöhen.
Nestlé, Würstli und Atomkraft
Die
Auswüchse des Sponsorings in den Klassenzimmern offenbarten sich zuletzt
deutlich: So will Swissnuclear, dass alle Schüler lernen, Atomstrom sei
zweifellos die sicherste und sauberste Energie. Der Nahrungsmittelkonzern
Nestlé erteilt Geschichtslektionen über Schokolade. Der Fleischfachverband
hofft, dass Kindergärtler mit «Würstli-Memory» ihr Gedächtnis trainieren. Und
Victorinox sähe es am liebsten, wenn Mittelschüler im Werkunterricht lernen
würden zu schnitzen – natürlich am liebsten mit Victorinox-Sackmessern. Dass
Firmen ihre Produkte gerne an Schulen verteilen, kommt nicht überraschend. «Das
sind eindeutige Beeinflussungsversuche», sagt Wirtschaftspsychologe Christian
Fichter. Die Unternehmen möchten ihre Marken schon früh in den Köpfen der
Schüler verankern. Die Erfolgschancen dafür stehen gut: «Kinder sind noch nicht
in der Lage, Werbung rational zu verarbeiten und dadurch leichter
beeinflussbar.» Deshalb spricht sich auch Fichter für klare Regeln aus. «Die
sind dringend notwendig.»
Denn
ein Ende des Trends ist nicht in Sicht. Mit der Digitalisierung dürfte das
Sponsoring weiter zunehmen. Tablets werden in den Klassen unumgänglich. Apple
führt seit Jahren einen Werbefeldzug in Schweizer Schulzimmern. Das Unternehmen
stellt iPads und Lernapps zur Verfü- gung. Zudem belohnt es Lehrer, die mit
Apple-Produkten unterrichten mit Rabatten Reisen und Seminaren.
Auch
auf dem Schulweg lässt sich Werbung machen: So hat Interdiscount zu Beginn
diesen Sommer 25 000 Leuchtwesten für Kindergärtler produziert – samt riesigem
Logo auf dem Rücken. «Wir haben einfach unsere Hilfe angeboten, als Elternräte
mit dieser Bitte auf uns zukamen», sagt Marketingchef Martin Koncilja. Bisher
hat Interdiscount die Hälfte der Westen abgegeben, der Rest wird im kommenden
Jahr verteilt. Danach werde entschieden, ob die Aktion wiederholt wird. Die
Kritik kann Koncilja nicht nachvollziehen. Seit Jahren würde der TCS ähnliche
Leuchtwesten verteilen. Man dürfe keinen Unterschied machen, wer die Westen
produziert, sagt er. Der Lehrerverband ist dennoch dagegen: «Wir müssen das
schnell unterbinden, sonst gibt es Nachahmer», hiess es, als die Verteilaktion
startete.
Nur wenige unterschreiben Kodex
Schon
einmal versuchte der Schweizer Lehrerverband, das Sponsoring-Problem anzugehen.
Im vergangenen Winter stellten die Lehrer einen 52-seitigen Leitfaden vor.
Dieser zeigt anhand von Fallbeispielen den richtigen Umgang mit Sponsoring auf.
Im Leitfaden finden sich Themen wie Sachspenden, kostenlose Smartphones,
Werbung oder Eventtage. Kernstück der damaligen Intervention der Lehrer war ein
Verhaltenskodex, nach dem sich Unternehmen zu richten haben. Zu den
Erstunterzeichnern zählten neben der Post und Swisscom auch Samsung und
Microsoft. Mittlerweile sind weitere hinzugekommen.
Weil
der Kodex allerdings freiwillig ist und bis heute nur wenige Kantone – darunter
St. Gallen und Basel-Stadt – offizielle Richtlinien erlassen haben, doppeln die
Verbände nun mit dem neuen Manifest nach. «Wenn Lehrer aus den
deutschsprachigen Ländern gemeinsam eine Erklärung verfassen hat das grosses
Gewicht», sagt Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung
Deutschland. Sponsoring an Schulen mache nicht an den Landesgrenzen halt,
deshalb sei es wichtig, geeint aufzutreten, um den Trend einzudämmen. Mit der
Hamburger Erklärung sei nun der Anfang gemacht.
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