29. Oktober 2017

Debatte über Leistungsmessung

Die Primarlehrer im Schulhaus Gotthelf in Basel-Stadt probten kürzlich den Aufstand. Sie entschieden, für Erstklässler keine Lernberichte mehr auszustellen. Es sei unnötig, bereits in der ersten Klasse durch solche Bewertungen Druck aufzubauen. Doch die Lehrer verstiessen gegen das kantonale Gesetz, das sie zur schriftlichen Beurteilung der Schüler verpflichtet. Das Erziehungsdepartement wies deshalb die aufmüpfigen Pädagogen in die Schranken.
Vermessung der Kindergärtner, NZZaS, 29.10. von Anja Burri


Die Episode ist der vorläufige Höhepunkt einer hitzigen Debatte über die Leistungsmessung für die Kleinsten. In Basel-Stadt und verschiedenen anderen Kantonen füllen schon Kindergärtnerinnen und Primarlehrer standardisierte Lernberichte und Beobachtungsbogen aus. In St.Gallen zum Beispiel muss die Kindergärtnerin 76 Fragen mit Kreuzchen beantworten. Dabei geht es um grobmotorische Abläufe, Körperkontrolle, Mengenvergleiche oder den Wissensdrang. Schweizer Kindergärtner erhalten zwar keine Zeugnisse, aber die Kinder werden für die Elterngespräche zunehmend systematisch ein­geschätzt. In Untereggen (SG) ist die Leistungsförderung fortgeschritten: Dort halten bereits Kindergärtner kleine Vorträge, wie die «Ostschweiz am Sonntag» berichtete.

In Basel-Stadt kritisieren viele Lehrer die Beurteilungsregeln für Kindergärtner und Erstklässler. Bereits im ersten Kindergartenjahr werden die Basler Kinder mithilfe eines siebenseitigen Lernberichts eingeschätzt (siehe Kasten). In einer Umfrage der kantonalen Schulkonferenz gaben 86 Prozent der Lehrer an, sie glaubten nicht, dass das Bewertungssystem die Lern­prozesse der Kinder fördere. «Kinder brauchen Zeit, um in der Schule anzukommen», sagt Jean-Michel Héritier, Präsident der Freiwilligen Schulsynode Basel-Stadt. Manche Kinder würden durch die Leistungsbeurteilung überfordert: «Sie verstehen nicht, warum sie eine schlechte Bewertung kriegen, obwohl sie sich Mühe geben.» Die Lehrer der Erstklässler stelle das umfassende Beurteilungssystem vor fast unlösbare Aufgaben: Sie müssten schon in den ersten Monaten viele Arbeiten der Erstklässler bewerten, damit die Lernberichte möglichen Einsprachen der Eltern standhalten könnten. Der Protest der Basler Lehrer hat etwas bewirkt: Das Erziehungsdepartement hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Verbesserungen erarbeiten soll.

Ruth Fritschi ist zuständig für Kindergarten und Eingangsstufe beim Schweizer Lehrerverband LCH. «Beurteilungsbogen für Kindergärtner sind als Hilfsmittel für die Lehrpersonen gedacht und dienen als Grundlage für dieElterngespräche», sagt sie. Beobachten und Einschätzen gehöre nun mal zum Lehrerberuf dazu. Früher habe sich eine Kindergartenlehrperson eigene Notizen zum Entwicklungsstand eines Kindes gemacht. Heute fülle sie einen Bogen aus. Heikel sei allerdings der Umgang damit: Würden den Eltern diese Papiere umfassend und ohne Erklärungen vorgelegt, sei dies schwierig. «Auf viele Eltern wirken die Bogen wie ein Raster, in das ihr Kind eingeteilt wird», sagt Fritschi.


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