Die Primarlehrer im Schulhaus Gotthelf in Basel-Stadt probten kürzlich
den Aufstand. Sie entschieden, für Erstklässler keine Lernberichte mehr
auszustellen. Es sei unnötig, bereits in der ersten Klasse durch solche
Bewertungen Druck aufzubauen. Doch die Lehrer verstiessen gegen das kantonale
Gesetz, das sie zur schriftlichen Beurteilung der Schüler verpflichtet. Das
Erziehungsdepartement wies deshalb die aufmüpfigen Pädagogen in die Schranken.
Vermessung der Kindergärtner, NZZaS, 29.10. von Anja Burri
Die Episode ist der vorläufige Höhepunkt einer hitzigen Debatte über die
Leistungsmessung für die Kleinsten. In Basel-Stadt und verschiedenen anderen
Kantonen füllen schon Kindergärtnerinnen und Primarlehrer standardisierte
Lernberichte und Beobachtungsbogen aus. In St.Gallen zum Beispiel muss die
Kindergärtnerin 76 Fragen mit Kreuzchen beantworten. Dabei geht es um
grobmotorische Abläufe, Körperkontrolle, Mengenvergleiche oder den
Wissensdrang. Schweizer Kindergärtner erhalten zwar keine Zeugnisse, aber die
Kinder werden für die Elterngespräche zunehmend systematisch eingeschätzt. In
Untereggen (SG) ist die Leistungsförderung fortgeschritten: Dort halten bereits
Kindergärtner kleine Vorträge, wie die «Ostschweiz am Sonntag» berichtete.
In Basel-Stadt kritisieren viele Lehrer die Beurteilungsregeln für
Kindergärtner und Erstklässler. Bereits im ersten Kindergartenjahr werden die
Basler Kinder mithilfe eines siebenseitigen Lernberichts eingeschätzt (siehe
Kasten). In einer Umfrage der kantonalen Schulkonferenz gaben 86 Prozent der
Lehrer an, sie glaubten nicht, dass das Bewertungssystem die Lernprozesse der
Kinder fördere. «Kinder brauchen Zeit, um in der Schule anzukommen», sagt
Jean-Michel Héritier, Präsident der Freiwilligen Schulsynode Basel-Stadt.
Manche Kinder würden durch die Leistungsbeurteilung überfordert: «Sie verstehen
nicht, warum sie eine schlechte Bewertung kriegen, obwohl sie sich Mühe geben.»
Die Lehrer der Erstklässler stelle das umfassende Beurteilungssystem vor fast
unlösbare Aufgaben: Sie müssten schon in den ersten Monaten viele Arbeiten der
Erstklässler bewerten, damit die Lernberichte möglichen Einsprachen der Eltern
standhalten könnten. Der Protest der Basler Lehrer hat etwas bewirkt: Das
Erziehungsdepartement hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Verbesserungen
erarbeiten soll.
Ruth Fritschi ist zuständig für Kindergarten und Eingangsstufe beim
Schweizer Lehrerverband LCH. «Beurteilungsbogen für Kindergärtner sind als
Hilfsmittel für die Lehrpersonen gedacht und dienen als Grundlage für
dieElterngespräche», sagt sie. Beobachten und Einschätzen gehöre nun mal zum
Lehrerberuf dazu. Früher habe sich eine Kindergartenlehrperson eigene Notizen
zum Entwicklungsstand eines Kindes gemacht. Heute fülle sie einen Bogen aus.
Heikel sei allerdings der Umgang damit: Würden den Eltern diese Papiere
umfassend und ohne Erklärungen vorgelegt, sei dies schwierig. «Auf viele Eltern
wirken die Bogen wie ein Raster, in das ihr Kind eingeteilt wird», sagt
Fritschi.
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