Früher
wurde Eltern mit Bussen oder Haft gedroht, wenn sie ihre Kinder nicht in die
Schule schickten. Heute wird Bildung als wertvolles Gut unserer Gesellschaft
angesehen und ist nicht mehr wegzudenken. Die Geschichte der Volksschule von
ihren Anfängen bis heute.
Bildungsbemühungen zugunsten der jungen Generation sind bereits im
Altertum nachzuweisen. Aber Schulen als institutionalisierte Form dieser
Bemühungen entstanden erst im Mittelalter aus kirchlichen Initiativen, zunächst
als Kloster oder als Dom- und Stiftsschulen mit dem Ziel, die angehenden Mönche
und das Kirchenpersonal auszubilden. Die Klöster waren vorerst die wichtigsten
Bildungsträger, denn sie unterrichteten zum Teil auch andere, nicht für Kloster
und Kirche bestimmte Schüler.
Bildung für alle! NZZ Geschichte, 1.9. von Lucien Criblez
Mit dem Aufblühen der Städte ab dem 13. Jahrhundert entwickelte sich
daneben eine zweite Schulform, die Stadt- oder Ratsschulen, welche
Bildungsangebote für angehende Juristen und Ärzte sowie die regierenden
Familien zur Verfügung stellten. Der Unterricht orientierte sich an den seit
dem Mittelalter etablierten sieben freien Künsten (Artes liberales), bestehend
aus dem Trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik/Logik) und dem weiterführenden
Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie). Weil der Unterricht in
lateinischer Sprache stattfand, wurden diese Schulen auch als Lateinschulen
bezeichnet.
Drei Entwicklungen waren in der frühen Neuzeit für das Entstehen der
Volksschule von zentraler Bedeutung: Nachdem Bildung zunächst den gehobenen
Sozialschichten vorbehalten gewesen war, entdeckten vor allem die Bürger in den
Städten – Kaufleute, Gewerbetreibende und Handwerker – den Wert von Bildung.
Sie setzten sich deshalb für die Gründung von deutschsprachigen Schulen ein.
Kinder von Hintersässen, also Einwohnern ohne Bürgerrechte, waren davon aber
zunächst meist ausgeschlossen. Zweitens stieg mit der Erfindung des Buchdrucks
die Notwendigkeit des Lesens, zumal die Reformierten der individuellen
Bibellektüre einen grossen Stellenwert zuordneten.
Alphabetisierungsbemühungen der reformierten wie später der katholischen
Kirche dienten nicht zuletzt der religiösen Erziehung des Volkes. Mit den Landschulverordnungen
des 17. und 18. Jahrhunderts wurde deshalb in verschiedenen Kantonen erstmals
die Unterrichtspflicht eingeführt. Die Gemeinden wurden zur Einrichtung von
Schulen verpflichtet. Dabei wurden sie von der Kirche und den Pfarrern
unterstützt. Oberstes Ziel war die Bibellektüre, weshalb Lesen wichtiger war
als Rechnen und Schreiben. Die Alphabetisierung war deshalb am Ende des 18.
Jahrhunderts relativ hoch. Allerdings hatte die Obrigkeit, die damals noch eng
mit der Kirche verbunden war, im Ancien Régime ein zwiespältiges Verhältnis zur
Volksbildung. Denn Bildung konnte ihr Machtmonopol infrage stellen.
Trotzdem verbreitete sich im Zuge der Aufklärung und später der
Französischen Revolution die Idee, dass eine nicht nur religiösen Zwecken
dienende Bildung allen nützen und nicht ein Vorrecht von Geburt und Stand sein
sollte. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts verdichtete sich deshalb das
Schulangebot in den Gemeinden.
Mit aufklärerischen Ideen versehen, versuchten Protagonisten der
helvetischen Regierung nach 1798 ein zentralstaatlich gelenktes Schulsystem zu
etablieren, das eine Primarschule für alle, eine Sekundarschule für die
Begabteren und eine tertiäre Ausbildung für die künftige
gesellschaftlich-politische Elite umfassen sollte. Der Erfolg blieb jedoch eher
bescheiden.
Nach 1803 waren die Kantone wieder für die Bildung zuständig, doch erst
nach den revolutionsartigen Umbrüchen der 1830er Jahre übernahmen sie die
weitgehende Verantwortung und emanzipierten die Schulen allmählich von der
Kirche, wenn auch in einem sehr langen Prozess und in sehr unterschiedlichem
Tempo. Die Kantone garantieren seither die Volksschule als Schule, die von
Anfang an alle Kinder, auch die Mädchen, einschloss. Allerdings stiessen sie
auf Widerstand beim Versuch, die Unterrichtspflicht durchzusetzen. Denn Kinder
hatten im Selbstverständnis weiter Kreise ihren Beitrag zum Lebensunterhalt der
Familien zu leisten. Schule fand deshalb in verschiedenen Kantonen zunächst nur
im Winter statt; lange Sommerferien sind noch heute ein Restbestand dieser
Regelung. Die Schulpflicht wurde im 19. Jahrhundert bewusst als Instrument
gegen die Kinderarbeit durchgesetzt. Eltern drohte man Busse oder sogar Haft
an, wenn sie ihre Kinder nicht zur Schule schickten. Das Diktum des
Schriftstellers und Pädagogen Heinrich Zschokke, Volksbildung ist
Volksbefreiung (1837), wurde zwar zum Slogan der liberalen Erneuerer,
doch das befreite Volk musste zur sinnvollen Nutzung seiner Freiheit erzogen
werden. Dass der Schulbesuch eine Investition in die Zukunft der Kinder sei,
setzte sich als Grundüberzeugung erst im 20. Jahrhundert vollends durch.
Bei diesem Text handelt es sich um einen Auszug des
Artikels «Schule für alle», der am 6. Juli 2017 im Magazin «NZZ Geschichte»
erschien.
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