1. September 2017

Schule als Investition in die Zukunft

Früher wurde Eltern mit Bussen oder Haft gedroht, wenn sie ihre Kinder nicht in die Schule schickten. Heute wird Bildung als wertvolles Gut unserer Gesellschaft angesehen und ist nicht mehr wegzudenken. Die Geschichte der Volksschule von ihren Anfängen bis heute.
Bildungsbemühungen zugunsten der jungen Generation sind bereits im Altertum nachzuweisen. Aber Schulen als institutionalisierte Form dieser Bemühungen entstanden erst im Mittelalter aus kirchlichen Initiativen, zunächst als Kloster oder als Dom- und Stiftsschulen mit dem Ziel, die angehenden Mönche und das Kirchenpersonal auszubilden. Die Klöster waren vorerst die wichtigsten Bildungsträger, denn sie unterrichteten zum Teil auch andere, nicht für Kloster und Kirche bestimmte Schüler.
Bildung für alle! NZZ Geschichte, 1.9. von Lucien Criblez


Mit dem Aufblühen der Städte ab dem 13. Jahrhundert entwickelte sich daneben eine zweite Schulform, die Stadt- oder Ratsschulen, welche Bildungsangebote für angehende Juristen und Ärzte sowie die regierenden Familien zur Verfügung stellten. Der Unterricht orientierte sich an den seit dem Mittelalter etablierten sieben freien Künsten (Artes liberales), bestehend aus dem Trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik/Logik) und dem weiterführenden Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie). Weil der Unterricht in lateinischer Sprache stattfand, wurden diese Schulen auch als Lateinschulen bezeichnet.
Drei Entwicklungen waren in der frühen Neuzeit für das Entstehen der Volksschule von zentraler Bedeutung: Nachdem Bildung zunächst den gehobenen Sozialschichten vorbehalten gewesen war, entdeckten vor allem die Bürger in den Städten – Kaufleute, Gewerbetreibende und Handwerker – den Wert von Bildung. Sie setzten sich deshalb für die Gründung von deutschsprachigen Schulen ein. Kinder von Hintersässen, also Einwohnern ohne Bürgerrechte, waren davon aber zunächst meist ausgeschlossen. Zweitens stieg mit der Erfindung des Buchdrucks die Notwendigkeit des Lesens, zumal die Reformierten der individuellen Bibellektüre einen grossen Stellenwert zuordneten.
Alphabetisierungsbemühungen der reformierten wie später der katholischen Kirche dienten nicht zuletzt der religiösen Erziehung des Volkes. Mit den Landschulverordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts wurde deshalb in verschiedenen Kantonen erstmals die Unterrichtspflicht eingeführt. Die Gemeinden wurden zur Einrichtung von Schulen verpflichtet. Dabei wurden sie von der Kirche und den Pfarrern unterstützt. Oberstes Ziel war die Bibellektüre, weshalb Lesen wichtiger war als Rechnen und Schreiben. Die Alphabetisierung war deshalb am Ende des 18. Jahrhunderts relativ hoch. Allerdings hatte die Obrigkeit, die damals noch eng mit der Kirche verbunden war, im Ancien Régime ein zwiespältiges Verhältnis zur Volksbildung. Denn Bildung konnte ihr Machtmonopol infrage stellen.

Trotzdem verbreitete sich im Zuge der Aufklärung und später der Französischen Revolution die Idee, dass eine nicht nur religiösen Zwecken dienende Bildung allen nützen und nicht ein Vorrecht von Geburt und Stand sein sollte. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts verdichtete sich deshalb das Schulangebot in den Gemeinden.

Mit aufklärerischen Ideen versehen, versuchten Protagonisten der helvetischen Regierung nach 1798 ein zentralstaatlich gelenktes Schulsystem zu etablieren, das eine Primarschule für alle, eine Sekundarschule für die Begabteren und eine tertiäre Ausbildung für die künftige gesellschaftlich-politische Elite umfassen sollte. Der Erfolg blieb jedoch eher bescheiden.

Nach 1803 waren die Kantone wieder für die Bildung zuständig, doch erst nach den revolutionsartigen Umbrüchen der 1830er Jahre übernahmen sie die weitgehende Verantwortung und emanzipierten die Schulen allmählich von der Kirche, wenn auch in einem sehr langen Prozess und in sehr unterschiedlichem Tempo. Die Kantone garantieren seither die Volksschule als Schule, die von Anfang an alle Kinder, auch die Mädchen, einschloss. Allerdings stiessen sie auf Widerstand beim Versuch, die Unterrichtspflicht durchzusetzen. Denn Kinder hatten im Selbstverständnis weiter Kreise ihren Beitrag zum Lebensunterhalt der Familien zu leisten. Schule fand deshalb in verschiedenen Kantonen zunächst nur im Winter statt; lange Sommerferien sind noch heute ein Restbestand dieser Regelung. Die Schulpflicht wurde im 19. Jahrhundert bewusst als Instrument gegen die Kinderarbeit durchgesetzt. Eltern drohte man Busse oder sogar Haft an, wenn sie ihre Kinder nicht zur Schule schickten. Das Diktum des Schriftstellers und Pädagogen Heinrich Zschokke, Volksbildung ist Volksbefreiung (1837), wurde zwar zum Slogan der liberalen Erneuerer, doch das befreite Volk musste zur sinnvollen Nutzung seiner Freiheit erzogen werden. Dass der Schulbesuch eine Investition in die Zukunft der Kinder sei, setzte sich als Grundüberzeugung erst im 20. Jahrhundert vollends durch.

Bei diesem Text handelt es sich um einen Auszug des Artikels «Schule für alle», der am 6. Juli 2017 im Magazin «NZZ Geschichte» erschien.


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