Eine Breitseite unreflektierter
Polemik gegen das Herkömmliche, ein paar Schlagwörter aus der pädagogischen
Mottenkiste, etwas rührende Sozialromantik und eine Prise neoliberaler Bluff,
das Ganze garniert mit Zitaten von notorischen Schulbesserwissern (Schmitt,
Zemp, Precht, Largo, etc.), und fertig ist die profunde Sauce zum neuen
Schuljahr.
So der unsägliche Text vonSusanne Loacker. Alles Bisherige in der
Schule ist schlecht: sinnloses Auswendiglernen, keine Ausrichtung des Lernens
auf künftige Brauchbarkeit, die Realitäten der IT-Arbeitswelt werden verkannt,
Kinder zwängt man durch Disziplinierung in ein hierarchisches System und tötet ihre
Kreativität ab. Erlösung bringt das Neue: Die Schule soll sich endlich der
Digitalisierung öffnen, Wissen soll man bei Google abholen, Roboter befeuern
das Klassenzimmer, man stelle endlich um auf individuelles und spassbetontes
Lernen, und zwar „altersgemischt“ und „selbstorganisiert“.
Die Utopie ist sogar schon
Wirklichkeit: die Grundacherschule in Sarnen. Wenn es ein Vorbild gibt, braucht
man die Vorzüge der neuen Didaktik auch nicht über ein paar Schlagwörter hinaus
zu erläutern. Die Kamera schwenkt ganz schnell auf putzige Kinderchen mit ihren
„Abziehbildli“ in einem Klassenzimmer, das Gemütlichkeit und Geborgenheit
ausstrahlt . Dass Loacker hier im „unabhängigen“ Beobachter absichtlich oder unbedarft die Werbetrommel für die
IT-Branche und für eine Privatschule rührt, die wie alle privaten Anbieter geschicktes
Marketing betreiben müssen, um Kunden anzulocken, sei nebenbei bemerkt.
Wie alle Rundumschläge gegen die
bisherige Schule und das unkritische Schwärmen von utopischen Gegenbildern
enthält auch dieser Artikel Pauschalisierungen mit Ungereimtheiten und
Widersprüchen. Schon die Grafik mit dem Zeitstrahl und dem verqueren Titel Früher – Zukunft lässt differenziert
Denkenden die Haare zu Berge stehen:
1. Wissen sei zwar schlecht (weil
Selbstzweck), gut sei aber, wenn man Wissen anwenden könne. Wie aber kann ich
etwas anwenden, worüber ich gar nicht verfüge? Tatsächlich wird Wissen, wie immer in solchen Pamphleten,
mit Information verwechselt.
Einzeldaten auswendig lernen ist tatsächlich sinnlos, hingegen ist das strukturierte
Verarbeiten von Informationen nötig, um sinnvolles Wissen zu generieren, das man praktisch anwenden kann. Solches
Wissen darf durchaus Selbstzweck sein, denn man kann es nicht nur im gerade
aktuellen Fall, sondern in immer neuen Situationen wieder frisch anwenden. Das
wäre eigentlich der Sinn von schulischer Allgemeinbildung, und nicht, wie der
Text suggeriert, die Vorbereitung auf einzelne Berufe.
2. Man müsse jederzeit wissen, wo
man „Wissen“ abrufen könne. Nein: Abrufen kann man Informationen. Wissen
entsteht erst im Gehirn. Nur im Gehirn vorhanden sind auch die Kategorien, die
es erlauben, die Daten, welche das Internet liefert, zu verstehen, zu bewerten
und ins bisherige Wissen einzuordnen. Wissen kann man im Gegensatz zu Daten
oder Informationen weder abrufen noch an den Computer „auslagern“. Wie man
häufig in solchen Artikeln beobachten kann, liegt den Ausführungen ein
verkürztes, unrealistisches Bild von Lernprozessen und Lernmotivation zu
Grunde.
3. „Innovativ“ müsse man sein. Diese Innovation
besteht aber darin, dass ich mich „den Bedürfnissen der Zeit anpasse“.
Deutlicher kann man die Umwertung des Begriffes innovativ nicht formulieren: Die Kreativität besteht jetzt nur noch
darin, sich dem wirtschaftlich Genehmen gänzlich zu unterwerfen, indem man innerhalb
vorgegebener Algorithmen erwünschte Varianten erfindet, oder um ein Bild
Bertolt Brechts zu bemühen: indem man freiwillig in den Rachen des Haifisches schwimmt.
Dass diese von ihr propagierte Schule nichts anderes als eine neue, raffinierte
Form von „Disziplinierung“ der Kinder ist, bleibt der Autorin verborgen.
Spricht mir aus dem Herzen! Ein äusserts unkritische Artikel in einem Beobachter! Das sollte eigentlich nicht vorkommen. Und dazu noch Werbung für Herrn Schmitt, der durchaus monitäre Interessen an der Digitalisierung hat, hat er doch eine eigene Firma namens Bildungsdesign...
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