Am Montag beginnt für viele Kinder ein neuer
Abschnitt. Wie die Schuleintritte und Stufenübergänge gelingen, sagt die
Erziehungswissenschaftlerin Cornelia Biffi von der Pädagogischen Hochschule
Zürich.
"Rituale erleichtern die Stufenwechsel": Erziehungswissenschaftlerin Cornelia Biffi im Interview, Schweiz am Wochenende, 19.8. von Heinz Zürcher
Frau Biffi, wie fühlt sich ein Kind, das neu in den
Kindergarten oder in die erste Klasse kommt?
Cornelia Biffi: Einerseits ist
es sehr stolz: In den Kindergarten zu gehen, den orangen Bändel anzuziehen, das
ist für das Kind ein Statusgewinn. Genauso ist es, wenn es in die Primarschule
kommt und selbstbewusst seinen Thek präsentiert. Andererseits ist ihm
vielleicht mulmig, weil es nicht recht weiss, was ihm bevorsteht.
Heisst das, dass Eltern möglichst viel Orientierung
geben sollten?
Nicht unbedingt. Es ist sicher gut, wenn die Eltern
mit dem Kind den Schulweg ablaufen und über das bevorstehende Ereignis
sprechen. Dabei sollten sie positive Aspekte hervorheben. Schlecht wäre, Angst
zu erzeugen, indem sie von eigenen negativen Schulerfahrungen erzählen oder
beispielsweise sagen: ‹Du bekommst eine strenge Lehrerin›. Oder: ‹Du musst dann
still sitzen und darfst nicht mehr rumlaufen›. Wichtig ist auch, dass sie das
Kind seine eigenen Erfahrungen im Umgang mit den neuen Lehrpersonen machen
lassen.
Unterscheiden sich Stufenübergänge – vom
Kindergarten in die 1. Klasse, von der 3. Klasse in die Mittelstufe oder von
der 6. Klasse in die Oberstufe – von anderen Klassenwechseln?
Stufenübergänge sind eine besondere
Herausforderung. Das Kind macht eine verdichtete Lernerfahrung, in dem es neue
Anforderungen bewältigen und in eine neue Rolle hineinwachsen muss. Dass diese
Umstellung gelingt und positiv in Erinnerung bleibt, ist ganz wichtig für die
weiteren Übergänge.
Wie gelingen sie?
Die Zeit ist ein wichtiger Faktor. Das Kind wird ja
erst in der Schule zum Schulkind, es muss sich eingewöhnen. Das gelingt nicht
allen gleich schnell. Alter, Entwicklung, Reife, Sprache, sozialer Hintergrund
– das ist nicht bei allen gleich, genauso das Temperament. Kinder, die ihre
Emotionen noch nicht gut kontrollieren können, schnell weinen oder wütend
werden, brauchen mehr Zeit. Entscheidend ist auch die Beziehung zu den
Lehrpersonen und Gspänli. Die Kinder müssen sich sozial organisieren, das ist
nicht ganz einfach, selbst beim Wechsel in die Oberstufe.
Wie begünstigen Lehrpersonen gute Übergänge?
Indem sie früh in engem Kontakt mit den Eltern
stehen und ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Auch wichtig: Klar zu
formulieren, wie die Regeln und Erwartungen sind. Ob man beispielsweise eher
viele Prüfungen anstrebt, wie viel Wert man auf Hausaufgaben oder Heftführung
legt. Kinder mögen es, wenn sie Klarheit haben und nicht durch «trial and
error» herausfinden müssen, was von ihnen verlangt wird.
Wie verhindert die Schule, dass diese Umbrüche
nicht zu hart werden?
Es hilft, wenn sich die Lehrpersonen informieren,
wo die Schüler oder Kindergärtler, die sie übernehmen, stehen. Im Idealfall
besuchen sie vor Ende des Schuljahres die untere Stufe und machen sich selber
ein Bild. Was kann die Klasse bereits, wie arbeitet sie, welche Regeln kennt
sie. Darauf sollte die nächste Lehrperson aufbauen.
Jede Lehrerin, jeder Lehrer, hat doch einen eigenen
Stil.
Das ist nicht der Punkt. Es geht darum, den
Bildungsprozess zu würdigen. Den Kindern gegenüber zu betonen, dass sie bereits
einiges gelernt haben. In der ersten Stunde beispielsweise zu erwähnen, dass
sie ja schon viele Lieder kennen – und dann eines zu singen. Schlecht und
frustrierend wäre, wenn etwa der vierte Klasslehrer seinen neuen Schülerinnen
und Schülern sagen würde: «Was, ihr könnt noch nicht mit dem Fülli schreiben?!»
Schenken die Schulen heute den Übergängen mehr
Beachtung als früher?
Früher war das kein Thema, heute umso mehr. Das ist
gut.
Wo sehen Sie noch Potenzial?
Sicher in der Zusammenarbeit der Stufen. Damit die
Lehrpersonen schon wissen, woher die Kinder kommen, wohin sie gehen, wie sie
lernen, was sie lernen, und wer welche Unterstützung braucht. Einige Schulen
haben Übergangskonzepte entwickelt. Dazu zählt vielleicht auch, auf dem
Pausenplatz für die neuen Schüler Spalier zu stehen und sie mit einem Lied zu
begrüssen. Solche kleinen Rituale geben den Neuen Sicherheit und Orientierung. Rituale
sind ein gutes Mittel, um Schuleintritt und Übergänge zu erleichtern. Leider
gehen sie teils nach dem Kindergarten vergessen. Sowieso wird noch zu wenig
anerkannt, was im Kindergarten geleistet wird.
Wie meinen Sie das?
Im Kindergarten bauen die Kinder soziale und
emotionale Kompetenzen auf. Das sind wichtige Grundlagen für den schulischen
Erfolg. Die Kinder lernen dort, sich an Regeln zu halten, Bedürfnisse
aufzuschieben, mit Frustrationen umzugehen, Beziehungen aufzubauen.
Wie ist das in anderen Ländern?
Ich weiss, dass beispielsweise in Deutschland und
Finnland der Kindergartenbesuch freiwillig ist. Bei uns gehört er seit 2008 zur
Schulpflicht. Andere Länder beneiden uns dafür. Der Schritt vom spielerischen
zum fachlichen Lernen ist gross. Und die Kindergärtnerinnen leisten einen
wichtigen Beitrag, dass er gelingt.
Wird den Übergängen im Lehrplan 21 genügend
Beachtung geschenkt?
Kindergarten bis 2. Klasse sowie 3. bis 6. Klasse
werden im neuen Lehrplan 21 jeweils in einem Zyklus zusammengefasst. Ich deute
dies als Bemühung, die Übergänge der Stufen noch fliessender zu gestalten.
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