21. August 2017

Stufenübergänge stärken

Am Montag beginnt für viele Kinder ein neuer Abschnitt. Wie die Schuleintritte und Stufenübergänge gelingen, sagt die Erziehungswissenschaftlerin Cornelia Biffi von der Pädagogischen Hochschule Zürich.
"Rituale erleichtern die Stufenwechsel": Erziehungswissenschaftlerin Cornelia Biffi im Interview, Schweiz am Wochenende, 19.8. von Heinz Zürcher


Frau Biffi, wie fühlt sich ein Kind, das neu in den Kindergarten oder in die erste Klasse kommt?
Cornelia Biffi: Einerseits ist es sehr stolz: In den Kindergarten zu gehen, den orangen Bändel anzuziehen, das ist für das Kind ein Statusgewinn. Genauso ist es, wenn es in die Primarschule kommt und selbstbewusst seinen Thek präsentiert. Andererseits ist ihm vielleicht mulmig, weil es nicht recht weiss, was ihm bevorsteht.

Heisst das, dass Eltern möglichst viel Orientierung geben sollten?
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Nicht unbedingt. Es ist sicher gut, wenn die Eltern mit dem Kind den Schulweg ablaufen und über das bevorstehende Ereignis sprechen. Dabei sollten sie positive Aspekte hervorheben. Schlecht wäre, Angst zu erzeugen, indem sie von eigenen negativen Schulerfahrungen erzählen oder beispielsweise sagen: ‹Du bekommst eine strenge Lehrerin›. Oder: ‹Du musst dann still sitzen und darfst nicht mehr rumlaufen›. Wichtig ist auch, dass sie das Kind seine eigenen Erfahrungen im Umgang mit den neuen Lehrpersonen machen lassen.

Unterscheiden sich Stufenübergänge – vom Kindergarten in die 1. Klasse, von der 3. Klasse in die Mittelstufe oder von der 6. Klasse in die Oberstufe – von anderen Klassenwechseln?
Stufenübergänge sind eine besondere Herausforderung. Das Kind macht eine verdichtete Lernerfahrung, in dem es neue Anforderungen bewältigen und in eine neue Rolle hineinwachsen muss. Dass diese Umstellung gelingt und positiv in Erinnerung bleibt, ist ganz wichtig für die weiteren Übergänge.

Wie gelingen sie?
Die Zeit ist ein wichtiger Faktor. Das Kind wird ja erst in der Schule zum Schulkind, es muss sich eingewöhnen. Das gelingt nicht allen gleich schnell. Alter, Entwicklung, Reife, Sprache, sozialer Hintergrund – das ist nicht bei allen gleich, genauso das Temperament. Kinder, die ihre Emotionen noch nicht gut kontrollieren können, schnell weinen oder wütend werden, brauchen mehr Zeit. Entscheidend ist auch die Beziehung zu den Lehrpersonen und Gspänli. Die Kinder müssen sich sozial organisieren, das ist nicht ganz einfach, selbst beim Wechsel in die Oberstufe.

Wie begünstigen Lehrpersonen gute Übergänge?
Indem sie früh in engem Kontakt mit den Eltern stehen und ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Auch wichtig: Klar zu formulieren, wie die Regeln und Erwartungen sind. Ob man beispielsweise eher viele Prüfungen anstrebt, wie viel Wert man auf Hausaufgaben oder Heftführung legt. Kinder mögen es, wenn sie Klarheit haben und nicht durch «trial and error» herausfinden müssen, was von ihnen verlangt wird.

Wie verhindert die Schule, dass diese Umbrüche nicht zu hart werden?
Es hilft, wenn sich die Lehrpersonen informieren, wo die Schüler oder Kindergärtler, die sie übernehmen, stehen. Im Idealfall besuchen sie vor Ende des Schuljahres die untere Stufe und machen sich selber ein Bild. Was kann die Klasse bereits, wie arbeitet sie, welche Regeln kennt sie. Darauf sollte die nächste Lehrperson aufbauen.

Jede Lehrerin, jeder Lehrer, hat doch einen eigenen Stil.
Das ist nicht der Punkt. Es geht darum, den Bildungsprozess zu würdigen. Den Kindern gegenüber zu betonen, dass sie bereits einiges gelernt haben. In der ersten Stunde beispielsweise zu erwähnen, dass sie ja schon viele Lieder kennen – und dann eines zu singen. Schlecht und frustrierend wäre, wenn etwa der vierte Klasslehrer seinen neuen Schülerinnen und Schülern sagen würde: «Was, ihr könnt noch nicht mit dem Fülli schreiben?!»

Schenken die Schulen heute den Übergängen mehr Beachtung als früher?
Früher war das kein Thema, heute umso mehr. Das ist gut.

Wo sehen Sie noch Potenzial?
Sicher in der Zusammenarbeit der Stufen. Damit die Lehrpersonen schon wissen, woher die Kinder kommen, wohin sie gehen, wie sie lernen, was sie lernen, und wer welche Unterstützung braucht. Einige Schulen haben Übergangskonzepte entwickelt. Dazu zählt vielleicht auch, auf dem Pausenplatz für die neuen Schüler Spalier zu stehen und sie mit einem Lied zu begrüssen. Solche kleinen Rituale geben den Neuen Sicherheit und Orientierung. Rituale sind ein gutes Mittel, um Schuleintritt und Übergänge zu erleichtern. Leider gehen sie teils nach dem Kindergarten vergessen. Sowieso wird noch zu wenig anerkannt, was im Kindergarten geleistet wird.

Wie meinen Sie das?
Im Kindergarten bauen die Kinder soziale und emotionale Kompetenzen auf. Das sind wichtige Grundlagen für den schulischen Erfolg. Die Kinder lernen dort, sich an Regeln zu halten, Bedürfnisse aufzuschieben, mit Frustrationen umzugehen, Beziehungen aufzubauen.

Wie ist das in anderen Ländern?
Ich weiss, dass beispielsweise in Deutschland und Finnland der Kindergartenbesuch freiwillig ist. Bei uns gehört er seit 2008 zur Schulpflicht. Andere Länder beneiden uns dafür. Der Schritt vom spielerischen zum fachlichen Lernen ist gross. Und die Kindergärtnerinnen leisten einen wichtigen Beitrag, dass er gelingt.

Wird den Übergängen im Lehrplan 21 genügend Beachtung geschenkt?
Kindergarten bis 2. Klasse sowie 3. bis 6. Klasse werden im neuen Lehrplan 21 jeweils in einem Zyklus zusammengefasst. Ich deute dies als Bemühung, die Übergänge der Stufen noch fliessender zu gestalten.


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