Sie
verwalten Milliardenvermögen, womit sie viel Gutes tun. Doch wohltätige
Stiftungen betreiben im Namen von Wissenschaft und sozialer Gerechtigkeit auch
Politik – mit Folgen für die Steuerzahler.
Sie will die Öffentlichkeit wachrütteln, die Chancengleichheit
fördern und allen Kindern ein «gelingendes Leben» ermöglichen. Bescheiden sind
sie nicht gerade, die Ziele der 1988 gegründeten Jacobs Foundation. «Wir können
für die Gesellschaft kein Feuerlöscher sein», sagt Stiftungssprecherin
Alexandra Güntzer, «aber ein Brandmelder.»
Die Macht der Wohltäter, NZZ, 24.8. von Claudia Wirz und Lucien Scherrer
Güntzer arbeitet mit ihrem Team in einer vornehmen Villa im
Zürcher Seefeld; unter der bestuckten Decke der Empfangshalle erinnern
Kaffeekannen aus allen Epochen daran, womit Stiftungsgründer Klaus J. Jacobs
einst sein Vermögen verdient hat: mit dem Verkauf von «Jacobs Krönung» und
anderen Kaffeesorten, später auch mit Süsswaren wie Milka und Toblerone. Die
beliebten Marken sind längst ins Ausland verkauft worden; um Süssigkeiten und
Kaffee geht es in der Villa am See nur noch am Rande, etwa dann, wenn über den
Zusammenhang zwischen schlechten Essgewohnheiten und sozialer Schicht sinniert
wird. In der Residenz gehen nämlich Professoren, Wirtschaftsvertreter und
Politiker ein und aus, um über «Frühe Kindheit» oder die «Wissenschaft des
Lernens» zu debattieren – Liberale, Konservative, Linke und Grüne, wie Güntzer
stolz vermerkt, «und stellen Sie sich vor, das letzte Mal waren sie sich alle
einig. Ist das nicht toll?»
Die Jacobs Foundation gehört mit einem Vermögen von 4,9
Milliarden Franken zu den grössten gemeinnützigen Stiftungen, von denen es
allein in der Schweiz über 13 000 gibt. Spätestens seit den 1990er Jahren sind
wohltätige Stiftungen mit ihren finanziellen Mitteln und ihrem Renommee zu
politischen Akteuren geworden, die man nicht unterschätzen sollte, auch wenn
sich ihre Exponenten gerne «unpolitisch», «neutral» und bescheiden geben.
«Nein, wir haben keine Macht», erklärte Christian Jacobs, Ehrenpräsident der
Jacobs Foundation, vor einigen Jahren in einem Interview mit der «Zeit», man
wolle Staat und Gesellschaft jedoch ermöglichen, «etwas auszuprobieren».
Und so ist die Jacobs Foundation mehr als eine Vergabestiftung.
Vielmehr will sie mit eigenen Programmen Impulse für gesellschaftliche
Veränderungen setzen. Damit stehen die geistigen Erben des Kaffeeproduzenten
Jacobs nicht allein. So engagieren sich mit der Mercator- und der
Ernst-Göhner-Stiftung zwei weitere grosse Akteure namentlich im Bildungs- und
Sozialbereich. Dabei geht es meist um nichts Geringeres als um die Erziehung
und das Wohlergehen der Jugend. Diese soll, um einige Beispiele zu nennen, zu
einem nachhaltigen Konsumverhalten animiert (Mercator), mit einer
«kinderfreundlichen» Justiz beglückt (Göhner) oder gleich nach der Geburt mit
einer «Politik der frühen Kindheit» umfassend gefördert werden (Jacobs).
«Blackbox» Kinderkrippe
Da sich Stiftungen wie die Jacobs Foundation als «Innovationsmotor für den Staat» (Güntzer) verstehen, geht es in derartigen Projekten nicht um eine Entlastung, sondern um einen Ausbau der öffentlichen Hand. Sprich, Stiftungen stupsen Politiker und Verwaltungen mittels finanzieller Anschub-Zückerchen, wissenschaftlicher Studien und im Namen moralischer Ziele in die gewünschte Richtung. Die langfristigen Folgekosten und Risiken soll dann die Allgemeinheit übernehmen.
Wie das funktioniert, zeigt die im letzten Dezember gestartete «Ready!»-Kampagne der Jacobs Foundation für mehr frühkindliche Förderung, die von illustrer Politprominenz orchestriert wird. Die Liste der «Botschafter» reicht von Ständerätin Anita Fetz (sp.) über Nationalrätin Rosmarie Quadranti (bdp.) bis hin zu freisinnig-liberalen Granden wie Ignazio Cassis, alt Bundesrat Pascal Couchepin oder Nationalrat Christoph Eymann.
Mit von der Partie ist bezeichnenderweise auch die einschlägige
Wohlfahrtsbranche, die von einem institutionellen Ausbau der Frühförderung
profitieren würde: Der Verein Agogis (die «Aus- und Weiterbildungsanbieterin
für Sozialberufe»), der Krippenverband Kibesuisse, der Verein Elternbildung,
der «Schweizerische Spielgruppen-LeiterInnen-Verband», die Hochschule für
Heilpädagogik oder das Zürcher Sozialdepartement. Sie und viele weitere machen
sich an der Seite der Jacobs Foundation stark für eine «umfassende Politik der
frühen Kindheit».
Das Ziel ist klar: Das Leben
von Babys und Kleinkindern im Alter zwischen 0 und 4 Jahren braucht im Namen
der Chancengleichheit und im Sinne einer idealen Vorbereitung auf den
Arbeitsmarkt mehr Regulierung, mehr professionelle Betreuung und natürlich mehr
finanzielle Mittel von der öffentlichen Hand. Der Staat soll die frühkindliche
Bildung nicht nur akribisch erforschen – eine erste Studie der Universitäten
Genf und Freiburg hat wenig überraschend weiteren Forschungsbedarf erkannt –,
er soll auch das Krippenwesen in der ganzen Schweiz reformieren.
Denn die heutigen Einrichtungen betrachtet die Jacobs Stiftung
als eine Art «Blackbox», in denen die Kinder oft mangelhaft ausgebildeten
Betreuern ausgeliefert sind. «Wissen Sie, was Ihre Kinder den ganzen Tag in der
Krippe machen?», fragt Alexandra Güntzer rhetorisch. Auch die Betreuerinnen
wüssten mangels wissenschaftlichem Background nicht, warum sie den Kleinen
Bälle zuwerfen oder Kartoffelbrei zubereiten. Damit der Nachwuchs im Sandkasten
künftig unter qualifizierter Anleitung «komplexe Fähigkeiten und wichtiges
Basiswissen» erwerben kann, braucht es nach Ansicht der Stiftung neue
Ausbildungsgänge samt Master und Bachelor, aber auch Qualitätslabels und
Qualitätssicherung in Krippen – sprich, Evaluationen und Kontrollen, die
Experten aller Art ein weites Betätigungsfeld eröffnen würden.
Doch ist soziale Kompetenz in einer Kinderkrippe nicht wichtiger
als ein Hochschuldiplom? Und liegt das Hauptproblem nicht gerade darin, dass
die Krippen in der Schweiz wegen bürokratischer Vorgaben bereits heute kaum
bezahlbar sind für Normalverdiener, weshalb der Ruf nach noch mehr Subventionen
immer lauter wird? Was hat es mit Chancengleichheit zu tun, wenn die Krippen
noch teurer werden? Auf solche Einwände antwortet Güntzer, dass es auch darum
gehe, Erzieherinnen mehr gesellschaftliche Wertschätzung entgegenzubringen.
Die Mär vom Entwicklungsland
Finanzielle Bedenken versuchen die Anhänger der Frühförderungsoffensive mit angeblich «unbestrittenen» wissenschaftlichen Erkenntnissen oder Hinweisen zu zerstreuen, wonach die Schweiz im Vergleich zu anderen Staaten ein «Entwicklungsland» sei – mit der schlichten Begründung, dass hierzulande weniger Geld für frühkindliche Bildung ausgegeben werde als in Ländern wie Frankreich. Dieser werden dabei wahre Wunderkräfte zugeschrieben. Sie sei «durchwegs ein Erfolgsversprechen», lautet der feierliche Leitspruch der Kampagne. Und: «Jeder Bildungsfranken ist in diesen Jahren am wirkungsvollsten investiert.»
Den Beweis für diese Behauptung liefern Studien vorab aus den
USA, deren Ergebnisse die «Ready!»-Koalition einfach auf die Schweiz überträgt.
Das sei fragwürdig, meint Marco Salvi vom liberalen Think-Tank Avenir Suisse,
der ebenfalls auf dem Gebiet der familienexternen Kinderbetreuung forscht. Das
gilt besonders für Aussagen über die schier magisch anmutenden positiven
Effekte der familienexternen Betreuung bei sozial benachteiligten Kindern, auf
die sich die Jacobs Foundation gerne beruft. «Die Armen in Amerika sind viel
ärmer als die Armen in der Schweiz», meint Salvi.
Erstaunlich sind auch bewundernde Blicke in andere Länder, etwa
nach Frankreich mit seiner «hervorragenden Krippensituation», wie es Güntzer
ausdrückt. Wenn es wahr wäre, dass Investitionen in die frühe Kindheit ein Heilmittel
gegen Arbeitslosigkeit, Armut und Jugendkriminalität sind, müssten eher in der
Schweiz Problemquartiere brennen als in Frankreich. Die im
Frühförderungsbereich angeblich unterentwickelte Schweiz verzeichnet eine
Jugendarbeitslosigkeit von unter 3 Prozent, in Frankreich liegt sie dagegen bei
21,7 Prozent. Von all dem lässt sich die Stiftung nicht beirren, und
offensichtlich lassen sich auch liberale «Ready!»-Botschafter wie Christoph
Eymann gerne für derartige Heilsversprechen einspannen – selbst wenn der
Politiker im
Interview einräumt, dass die Umsetzung aller «Ready!»-Forderungen massive
Kosten generieren würde. Vorerst wird das Parlament darüber
entscheiden müssen, ob der Bund künftig auch für Kinder von bis 4 Jahren einen
Förderauftrag erhalten soll, wie das «Ready!»-Botschafter Matthias Aebischer
(sp.) in einer parlamentarischen Initiative verlangt.
Moralischen Druck für mehr Bürokratie üben Stiftungen auch im
Bereich der Justiz aus, in dem sie gewisse Pressure Groups mitfinanzieren. So
unterstützen zahlreiche wohltätige Institutionen – darunter die
Ernst-Göhner-Stiftung – den Verein Kinderanwaltschaft Schweiz, der wiederum im
Verein mit verschiedenen Parlamentariern von SP, CVP, FDP und SVP für eine
«kinderfreundliche» Justiz gemäss Uno-Empfehlungen weibelt. Hinter diesem
unverfänglichen Titel verstecken sich zahlreiche Forderungen, etwa nach zwingenden
anwaltlichen Vertretungen von Kindern, «kindgerechten» Schulungen von
Polizisten und Gerichtsmitarbeitern und natürlich nach einer Ombudsstelle für
Kinder, die pro Jahr rund eine Million Franken kosten soll. Ob die Justiz damit
wirklich kinderfreundlicher wird oder einfach viel mehr Geld kostet, ist
umstritten. Bereits heute stehe Kindern in Scheidungsfällen eine «Armada von
Beiständen und Vertretern» zur Seite, moniert der Zürcher Rechtsanwalt Ueli
Vogel-Etienne, «um die Kindsvertretung in Familienkonflikten kümmern sich
inzwischen ganze Industriezweige». Dass die Gerichtsentscheide damit
«kindgerechter» werden, bezweifelt der erfahrene Jurist.
Der Bundesrat hat eine Motion
von Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach (cvp.) für eine
Kinder-Ombudsstelle abgelehnt, doch davon lassen sich die Initianten nicht
beirren; vielmehr fordern sie nun, dass diese Stelle einer noch zu schaffenden
nationalen «Menschenrechtsinstitution» angegliedert werden soll. Dass der
Bundesrat diese staatliche Institution nun überhaupt schaffen will, geht
ebenfalls zurück auf politischen Druck von Nichtregierungsorganisationen,
Stiftungen und Politikern aus dem linken bis linksbürgerlichen Spektrum. So
gehören die Göhner- und die Hirschmann-Stiftung neben dem Bund und Hilfswerken
wie Caritas zu den Förderern des Vereins «humanrights», dessen Exponenten
zusammen mit anderen NGO für eine «Menschenrechtsinstanz» lobbyieren. Diese
Instanz soll nicht nur über die Einhaltung der Menschenrechte wachen (was
Justiz und zivilgesellschaftliche Akteure bereits heute tun), sie soll die
Bevölkerung auch für die Menschenrechte «sensibilisieren» – wobei deren
Auslegung bekanntlich eine höchst politische Frage sein kann, etwa wenn es um
Ansprüche an den Sozialstaat geht. Letztlich geht es also darum, dass
NGO-Aktivisten den Leuten mit einer steuerfinanzierten Organisation das
«richtige Bewusstsein» einzuimpfen gedenken, wie es alt Botschafter Paul Widmer
in der «NZZ am Sonntag» ausdrückte.
«Ernährungsräte» für alle
Der erzieherische Gedanke schimmert bei vielen von Stiftungen
initiierten oder unterstützten Projekten durch – so auch im Fall der
Mercator-Stiftung (Vermögen: rund 120 Millionen Franken). «Wir geben nicht nur
Geld, wir wollen auch etwas bewirken», sagt deren Geschäftsführer Andrew
Holland, «im Idealfall hat ein Projekt gesellschaftsrelevante Folgen.» Unter
anderem versucht die Stiftung, der Bevölkerung einen «nachhaltigen» Lebensstil
schmackhaft zu machen, indem sie Umweltunterricht in den Schulen fördert,
virtuelle Öko-Beichtstühle für Kinder und Erwachsene entwickeln lässt oder
Grossanlässe wie den «Erlebnismonat» oder «Zürich isst» initiiert und
mitfinanziert, um für «ressourcenschonende Lebensmittel» zu werben.
Auch die öffentliche Hand engagierte sich finanziell und
logistisch für den kulinarischen Event, der Erkenntnisse zutage förderte wie:
Akademiker ernähren sich bewusster als andere, oder: «Klischee bestätigt: Vor
allem junge Frauen halten Diät». In einem über 80-seitigen Evaluationsbericht
musste die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften allerdings
einräumen, dass mit dem Anlass vor allem zu den bereits Bekehrten gepredigt
worden sei. Dennoch hielt sie es für angebracht, der öffentlichen Hand weitere
Massnahmen ans Herz zu legen, darunter ein «Gremium» für Ernährungsfragen. Die
Mercator-Stiftung bemüht sich denn auch darum, dass sich die involvierten
Organisationen von «Zürich isst» weiter treffen, vernetzen und Strukturen
geben. So sei «ein Netzwerk aus NGO, Kooperativen, Produzenten und
interessierten Konsumenten» entstanden, das «an Themen zur nachhaltigen
Ernährung in der Stadt arbeitet». Wie aus Erklärungen beteiligter
Organisationen hervorgeht, strebt diese Allianz die Schaffung sogenannter
«Ernährungsräte» an, die in den USA, Grossbritannien oder Deutschland bereits
heute auf eine «Ernährungswende» hinarbeiten – auch mithilfe der öffentlichen
Hand.
Der 2016 gegründete Ernährungsrat der Stadt Köln etwa zählt 30
Mitglieder und vier Ausschüsse, und er wird von einer bunten Schar von «Persönlichkeiten»
aus Zivilgesellschaft und Wirtschaft sowie «Funktionären aus Politik und
Verwaltung» getragen. Die Chancen sind intakt, dass Zürich und andere Schweizer
Städte eines Tages nachziehen. Denn nicht nur 0- bis 4-Jährige, auch Erwachsene
brauchen intensive professionelle Betreuung und Beratung, zumindest nach
Ansicht mancher wohlmeinender Institutionen und Politiker.
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