Nun
klagen auch die Gymnasiallehrer über unbefriedigende Arbeitsbedingungen. Sogar
die «NZZ» hat diese Missstände thematisiert. Dabei geht es im Kern immer um das
Gleiche: Gegenstand der Unzufriedenheit ist nicht die eigentliche
Lehrtätigkeit, sondern das Krebsgeschwür von zeitraubenden Sitzungen,
Besprechungen und unnötigen Anlässen.
Unterricht statt Sitzungen, bitte! Schweiz am Wochenende, 26.8. Gastkommentar von Jürg Keller
Ein persönliches Beispiel mag
illustrieren, was damit gemeint ist: Ich musste wegen einer dringenden
Arthroskopie einmal drei Tage zu Hause bleiben: In dieser Zeit fielen 11 meiner
Lektionen aus und gezählte 13 Sitzungsstunden. Man darf hier summarisch
urteilen: Solange dieser Unsinn nicht unterbunden wird, wird der Lehrerberuf
nicht attraktiver: Lehrer sind entgegen der Volksmeinung nicht faul, sie
möchten aber unterrichten und nicht Hornhaut an ihrem Sitzteil wachsen lassen.
Vom Unterrichten keine Ahnung
Die Quellen der nebenunterrichtlichen Belastungen
(«Belästigungen» wäre oft richtiger) sind vielfältig, sie sind aber meist durch
einen zwanghaften Aktivismus bedingt. Die Schule wird viel zu oft und ziellos
reformiert. Ich habe erlebt, wie in einem vierstufigen Gymnasium gleichzeitig
drei Reformwellen durchgezogen werden mussten. Diese Reformen werden in der
Regel von Leuten angestossen, die vom Unterrichten kaum eine Ahnung haben, und
folglich auch die Konsequenzen ihrer Vorhaben nicht abschätzen können.
Auch
hier eine persönliche Erfahrung: Es gelang mir einmal, einen Verfechter der
Ansicht, Lehrer seien faul, zur Erteilung von vier Morgenlektionen zu
verführen: Er wurde am Nachmittag nicht mehr gesehen, weil er seine Erschöpfung
ausschlief.
Die Schule muss sich immer um Anschluss an die Moderne bemühen und
sündigt dabei zugegebenerweise auch: Den dummen Widerstand von Gymnasiallehrern
gegen den kommenden Computer werde ich nie verzeihen. Aber meistens sind die
«Reformen» nur Moden, die mit grosser Aufregung kommen und dann wieder
einschlafen. Irgendeinmal galt eine solche Welle den sogenannten «Erweiterten
Lernformen». Diese erwiesen sich bei genauem Hinsehen bloss als Ladenhüter aus
dem frühen 20. Jahrhundert. Es war trotzdem mühsam, die Erregung für diese
alten Neuigkeiten zu dämpfen.
Der Mensch ist mindestens seit 50 000 Jahren
unverändert auf der Erde und lernt folglich immer noch etwa so, wie er schon
immer lernte. Die Pädagogik scheint aber vom Glaubenssatz zu leben, dass dieser
alte Mensch alle zehn Jahre neu erfunden werden müsse, folglich mit neuen
LernMethoden auch neu gemacht und in Trab versetzt werden sollte.
Die ETH
Zürich könnte hier eigentlich Vorbild sein: Sie hat einen Ordner mit 17
Lehrmethoden zusammengestellt, wovon etwa 5 ein schlechtes
Aufwand-ErgebnisVerhältnis haben. Den zukünftigen Lehrern wurde empfohlen, aus
dem Rest 6 passende Lehrmethoden zu übernehmen und anzuwenden.
Basler und
Zürcher Praxis
Dieses Rezept gefällt natürlich den Lehrerseminarien nicht
(heute: «Fachhochschulen»). Ihre Bedeutung wächst mit der Studiendauer. Und
diese wächst mit der Verkomplizierung einfacher Verhältnisse. Ich bin nach
Zürcher Art auf den Beruf vorbereitet worden, und diese war kurz,
praxisorientiert und studienbegleitend. Basel machte es ungefähr umgekehrt. Ich
konnte vergleichen: Der Unterschied lag lediglich bei den Kosten.
Die Zürcher
waren nüchterner, die Basler seminaristischer, aber unterrichten konnte man mit
beiden Systemen gleich gut oder schlecht. Ein Beispiel, das nur ein Basler,
aber nie ein Zürcher hätte vorführen können, werde ich nie vergessen: Bei einer
Probelektion musste die phänomenale Brutusrede von Shakespeare behandelt
werden. Die Kandidatin wählte dazu eine für Basel typische Einstimmung: Sie
liess eine Figur aus der «Muppet-Show» quaken. Für Zürcher war dies eher
peinlich, Basler aber neigten zum Lob. Man muss aber zugeben: Um zu einer
solchen Künstlichkeit zu gelangen, braucht es eine lange Trainingszeit.
Kosten
und Nutzen abwägen
Man sollte den ganzen Nebenbetrieb des Unterrichtens
dringend auf Kosten und Nutzen prüfen und dabei auch den Schäden unbefangen ins
Gesicht sehen: Zum Beispiel halten lange Seminarzeiten viele begabte Kandidaten
vom Beruf ab, weil sie deren Ineffizienz durchschauen und ihre Zeit
nutzbringender verwenden möchten (der Effekt kann von der akademischen
Berufsberatung bestätigt werden).
In Zeiten des Sparens wäre eine
Effizienzprüfung eigentlich angezeigt: Man käme dann auch beim teuren
Weiterbildungskomplex auf unerwartete Einsichten: Lehrer können nämlich lesen
und sind es gewohnt, ganz allein zu lernen – brauchen also nicht unbedingt
einen eingeflogenen Redner. Die einfache Zusammenfassung: Man lasse Lehrer
wieder hauptamtlich unterrichten!
Jürg Keller
lebt in Rheinfelden
und war Lehrer
am Gymnasium
Muttenz.
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