Es war in den meisten Blättern bloss ein kurze Meldung: Der Anteil der
Familienhaushalte ist in Zürich seit 1990 um 3,4 Prozent gestiegen. Das ist
schweizweit der grösste Zuwachs vor Bern und Lugano mit je 1,7 Prozent sowie
Basel mit 1,3 Prozent. In den Agglomerationsgürteln der Städte sank der Anteil
der Familienhaushalte in der gleichen Zeit um 4,7 Prozent. Das hat eine
Erhebung des Bundesamts für Statistik ergeben, die soeben publiziert wurde.
Kindersegen macht Städten zu schaffen, NZZaS, 27.8. von Stefan Bühler
Die trockenen Zahlen manifestieren sich in den Städten auf sehr
lebendige Art und Weise: «Seit 2014 haben wir 43 neue Kindergartenklassen
eröffnet», sagt Thomas Riedtmann, zuständig für die Schulraumplanung im
Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt. Auch die Schülerzahlen erreichen
Höchstwerte: 16100 Kinder besuchen im neuen Schuljahr in Basel den
obligatorischen Unterricht, so viele wie seit 2001 nicht mehr.
Noch stärker ist die Zunahme in den Städten Zürich und Bern. Das zeigen
die Zahlen zur Einschulung von Erstklässlern und Kindergärtlern. In Zürich sind
letzten Montag rund 3500 Vier- und Fünfjährige in den Kindergarten eingetreten;
seit Einführung des Kindergartenobligatoriums im Jahr 2009 waren es noch nie so
viele. Insgesamt besuchen in Zürich dieses Jahr rund 31000 Schülerinnen und
Schüler die obligatorische Schule; sucht man nach entsprechend hohen Zahlen in
der Vergangenheit, muss man bis ins Schuljahr 1978/79 zurück.
In der Stadt Bern ist es ebenfalls 40 Jahre her, seit man bei den
Eintritten ins erste Schuljahr so hohe Zahlen registriert hat wie heuer,
nämlich 1075 Kinder.
Milliarden-Investitionen
In allen drei Städten erwarten die zuständigen Stellen, dass der Trend
anhält. Zürich rechnet in den kommenden vier Jahren mit einer Zunahme der
Schülerzahl um 12Prozent und bis 2024 um 24 Prozent. In Bern geht die
langfristige Prognose bis zum Schuljahr 2031/32 von einem Zuwachs um 28Prozent
aus; das sind 2700 Schulkinder mehr als heute. Und Basel erwartet eine Zunahme
um 15Prozent bis 2021.
Mehrere Gründe liegen der Entwicklung zugrunde. Der wichtigste ist die
Wohnbautätigkeit, die in den Kernstädten seit einigen Jahren verstärkt
vorangetrieben wird: Steigt die Bevölkerungszahl insgesamt, so steigt auch die
Zahl der Kinder. Hinzu kommen die hohe Geburtenrate und die gemäss mehreren
Umfragen steigende Attraktivität der Städte als Wohnort für Familien, etwa dank
den ausgebauten Kita- und Tagesschulangeboten.
«Es ist nicht nur so, dass Familien zuziehen», sagt Michael Haldemann,
in Bern zuständig für die Schulraumplanung: «Es ziehen vor allem auch weniger
Familien weg aus der Stadt.» So seien bis vor einigen Jahren von allen Kindern,
die in der Stadt Bern zur Welt gekommen sind, lediglich 65Prozent später auch
in der Stadt eingeschult worden, weil die Familie vorher aus Bern wegzog.
«Heute liegt dieser Anteil bei 80 Prozent», so Haldemann. In Basel und Zürich
lief die Entwicklung in die gleiche Richtung.
Der Kindersegen hat für die Städte freilich eine Kehrseite. Um den
steigenden Bedarf an Schulräumen und Infrastruktur für die Tagesschulen decken
zu können, müssen sie in den kommenden Jahren hunderte Millionen Franken
investieren. In Zürich will die Exekutive in den nächsten vier Jahren 290
Millionen Franken in neuen Schulraum investieren. Für spätere Vorhaben
publiziert die Stadt noch keine Zahlen, angesichts der Prognose der
Schülerzahlen dürfte der Investitionsbedarf bis 2024 aber weit über einer
halben Milliarde liegen.
Unterricht in Provisorien
Auf rund eine halbe Milliarde Franken schätzt man auch in der Stadt Bern
den Investitionsbedarf in die Schulinfrastrukturen; zurzeit listet das
Hochbauamt im Internet sieben Projekte für den Aus- und Neubau von Schulen auf,
weitere dürften folgen.
In Basel lancierte man schon 2011 eine «Schulraum-Offensive» im Umfang
von 790 Millionen Franken. «Heute steht fest, dass das Geld nicht reicht»,
erklärt Thomas Riedtmann. 2011 sei man von stabilen Schülerzahlen ausgegangen,
die starke Zunahme habe erst später eingesetzt. So plant Basel bis 2022 zwei
neue Primarschulen für je etwa 35 Millionen Franken sowie ein Sekundarschulhaus
für 65 Millionen.
Weil exakte Prognosen zu den Schülerzahlen schwierig sind und oftmals
auch wegen Schulhausumbauten flexibel reagiert werden muss, behelfen sich die
Städte vermehrt mit Modulbauten. Das sind provisorische, jedoch voll
funktionstüchtige Schulgebäude, die sich dort einsetzen lassen, wo der Bedarf
am grössten ist. Gerade hat Basel eine provisorische Primarschule in Betrieb
genommen: Drei dreistöckige Modulbauten mit je zwölf Räumen plus einen Annexbau
für die Tagessschule. Die Anlage wird von Basel nur gemietet. Vorerst einmal
für die nächsten drei Jahre.
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