Mitte Juli berichtete die BaZ ganzseitig über einen guten
Jahrgang in den sechs Basler Gymnasien, die mit einer Erfolgsquote von
98 Prozent 418 jungen Menschen einen Matur-Meilenstein gesetzt hätten.
Vorerst beglückwünsche ich alle und wünsche ihnen viel Erfolg für die
Fortsetzung des Ausbildungswegs. Aber als Vertreter der «Dismal
Science»-Ökonomie komme ich nicht umhin, die Frage nach der Bedeutung
dieses Meilensteins aufzuwerfen. So macht schon einmal die Erfolgsquote
von 98 Prozent stutzig wie früher die Wahlergebnisse in kommunistischen
Ländern mit ähnlichen Prozentsätzen. Ist das eine echte Prüfung, wenn
98 Prozent durchkommen? Gut, man kann argumentieren, dass die Unbegabten
oder Unwilligen besser schon früher ausscheiden sollten, was sicher in
vielen Fällen zutrifft. Aber warum dann noch eine Prüfung, wenn sowieso
alle durchkommen? Das schürt nur falsche Erwartungen für kommende Prüfungen.
Matur = Meilenstein?, Basler Zeitung, 21.7. von Silvio Borner
Hinzu kommt
kritisch eine andere Quote. Die Gymnasialquote in Basel-Stadt erreicht
mit 30 Prozent einen schweizerischen Rekord und ist sehr hoch: zu hoch? In
meiner Generation und Region lag sie unter 5 Prozent und war wohl effektiv
zu tief. Trotzdem haben viele aus meiner Klasse an der Handelsschule Olten
mit Diplomabschluss die Matura irgendwie nachgeholt, und fünf haben
einen Doktortitel erworben.
In Frankreich
machen 50 Prozent eines Jahrgangs ein BAC mit ähnlich hohen Erfolgsquoten,
aber im ersten Studienjahr brechen auch 50 Prozent das angefangene Studium
ab und werden in grosser Zahl arbeitslos, weil sie weder akademisch geeignet
noch beruflich vorbereitet sind. Und wie ist das bei uns? Ich habe während
Jahrzehnten die obligatorische Einführungsvorlesung gehalten, die
man in einer Prüfung bestehen musste, um weiterzukommen. Die Durchfallquoten
lagen so knapp bei 20 Prozent, das Examen konnte aber wiederholt werden.
Statistisch signifikant war dabei, dass die Durchfallquoten eine klare
Reihenfolge aufwies: Basel-Stadt klar an der Spitze, gefolgt von Basel-Land
und einem Minimum bei den Aargauer Maturandinnen und Maturanden.
Nun hat der Aargau eine besonders tiefe Maturaquote, aber nachweislich
eine höhere Qualität. Ich habe mir sagen lassen, dass auch Gewerbler
ihre Lehrlinge nach dieser Rangfolge auswählen. Eine Matura kann somit
auch zu «billig» und somit weniger wert sein. Auch bei uns in der Schweiz
sind die Ausstiegsquoten beim Studium hoch und steigend. Der Grund ist
die Verschiebung der Selektion nach immer weiter oben. Früher war er
beim Eintritt ins Gymnasium (oder bei uns damals nach vier Jahren selbst
für die Sekundarschule). Dann war es die Matura, aber jetzt müssen die
Universitäten immer mehr prüfen und selektionieren, was viele Mittel
bindet und Zeit kostet. Zum Glück oder vielmehr Unglück gibt es aber Studiengänge
mit geringeren Anforderungen, aber entsprechend ebenso geringeren
Karrierechancen. Was die harten Fächer somit eliminieren oder abschrecken,
kommt dort unter und bestimmt mehr und mehr die universitäre Politik,
eher weg von wissenschaftlicher Lehre und Forschung und hin zu gesellschaftlich-politischen
Missionen. Mein Werdegang bestand aus vier Jahren Primar- und fünf Jahren
Sekundarschule, einem High-School-Abschluss in den USA und einem Handelsdiplom,
dem dann im Alter von 21 Jahren die Matura an der Kantonsschule Luzern
folgte – ein ziemlich gebrochener Bildungsweg. Aber was zählt, ist die
leistungsabhängige Durchlässigkeit nach oben und nicht wie etwa in
Frankreich der «richtige» Einstieg.
Silvio Borner
ist emeritierter Professor der Ökonomie am WWZ der Universität Basel.
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