25. Juli 2017

Hohe Maturaquote ist kein Zeichen für Qualität

Mit­te Ju­li be­rich­te­te die BaZ ganz­sei­tig über einen gu­ten Jahr­gang in den sechs Bas­ler Gym­na­si­en, die mit ei­ner Er­folgs­quo­te von 98 Pro­zent 418 jun­gen Men­schen einen Ma­tur-Mei­len­stein ge­setzt hät­ten. Vor­erst be­glück­wün­sche ich al­le und wün­sche ih­nen viel Er­folg für die Fort­set­zung des Aus­bil­dungs­wegs. Aber als Ver­tre­ter der «Dis­mal Science»-Öko­no­mie kom­me ich nicht um­hin, die Fra­ge nach der Be­deu­tung die­ses Mei­len­steins auf­zu­wer­fen. So macht schon ein­mal die Er­folgs­quo­te von 98 Pro­zent stut­zig wie frü­her die Wahl­er­geb­nis­se in kom­mu­nis­ti­schen Län­dern mit ähn­li­chen Pro­zent­sät­zen. Ist das ei­ne ech­te Prü­fung, wenn 98 Pro­zent durch­kom­men? Gut, man kann ar­gu­men­tie­ren, dass die Un­be­gab­ten oder Un­wil­li­gen bes­ser schon frü­her aus­schei­den soll­ten, was si­cher in vie­len Fäl­len zu­trifft. Aber warum dann noch ei­ne Prü­fung, wenn so­wie­so al­le durch­kom­men? Das schürt nur falsche Er­war­tun­gen für kom­men­de Prü­fun­gen.
Matur = Meilenstein?, Basler Zeitung, 21.7. von Silvio Borner


Hin­zu kommt kri­tisch ei­ne an­de­re Quo­te. Die Gym­na­sial­quo­te in Ba­sel-Stadt er­reicht mit 30 Pro­zent einen schwei­ze­ri­schen Re­kord und ist sehr hoch: zu hoch? In mei­ner Ge­ne­ra­ti­on und Re­gi­on lag sie un­ter 5 Pro­zent und war wohl ef­fek­tiv zu tief. Trotz­dem ha­ben vie­le aus mei­ner Klas­se an der Han­dels­schu­le Ol­ten mit Di­plomab­schluss die Ma­tu­ra ir­gend­wie nach­ge­holt, und fünf ha­ben einen Dok­tor­ti­tel er­wor­ben.

In Frank­reich ma­chen 50 Pro­zent ei­nes Jahr­gangs ein BAC mit ähn­lich ho­hen Er­folgs­quo­ten, aber im ers­ten Stu­dien­jahr bre­chen auch 50 Pro­zent das an­ge­fan­ge­ne Stu­di­um ab und wer­den in gros­ser Zahl ar­beits­los, weil sie we­der aka­de­misch ge­eig­net noch be­ruf­lich vor­be­rei­tet sind. Und wie ist das bei uns? Ich ha­be wäh­rend Jahr­zehn­ten die ob­li­ga­to­ri­sche Ein­füh­rungs­vor­le­sung ge­hal­ten, die man in ei­ner Prü­fung be­ste­hen muss­te, um wei­ter­zu­kom­men. Die Durch­fall­quo­ten la­gen so knapp bei 20 Pro­zent, das Ex­amen konn­te aber wie­der­holt wer­den. Sta­tis­tisch si­gni­fi­kant war da­bei, dass die Durch­fall­quo­ten ei­ne kla­re Rei­hen­fol­ge auf­wies: Ba­sel-Stadt klar an der Spit­ze, ge­folgt von Ba­sel-Land und ei­nem Mi­ni­mum bei den Aar­gau­er Ma­tu­ran­din­nen und Ma­tu­ran­den. Nun hat der Aar­gau ei­ne be­son­ders tie­fe Ma­tu­raquo­te, aber nach­weis­lich ei­ne hö­he­re Qua­li­tät. Ich ha­be mir sa­gen las­sen, dass auch Ge­werb­ler ih­re Lehr­lin­ge nach die­ser Rang­fol­ge aus­wäh­len. Ei­ne Ma­tu­ra kann so­mit auch zu «bil­lig» und so­mit we­ni­ger wert sein. Auch bei uns in der Schweiz sind die Aus­stiegs­quo­ten beim Stu­di­um hoch und stei­gend. Der Grund ist die Ver­schie­bung der Se­lek­ti­on nach im­mer wei­ter oben. Frü­her war er beim Ein­tritt ins Gym­na­si­um (oder bei uns da­mals nach vier Jah­ren selbst für die Se­kun­dar­schu­le). Dann war es die Ma­tu­ra, aber jetzt müs­sen die Uni­ver­si­tä­ten im­mer mehr prü­fen und se­lek­tio­nie­ren, was vie­le Mit­tel bin­det und Zeit kos­tet. Zum Glück oder viel­mehr Un­glück gibt es aber Stu­dien­gän­ge mit ge­rin­ge­ren An­for­de­run­gen, aber ent­spre­chend eben­so ge­rin­ge­ren Kar­rierech­an­cen. Was die har­ten Fä­cher so­mit eli­mi­nie­ren oder ab­schre­cken, kommt dort un­ter und be­stimmt mehr und mehr die uni­ver­si­täre Po­li­tik, eher weg von wis­sen­schaft­li­cher Leh­re und For­schung und hin zu ge­sell­schaft­lich-po­li­ti­schen Missio­nen. Mein Wer­de­gang be­stand aus vier Jah­ren Pri­mar- und fünf Jah­ren Se­kun­dar­schu­le, ei­nem High-School-Ab­schluss in den USA und ei­nem Han­dels­di­plom, dem dann im Al­ter von 21 Jah­ren die Ma­tu­ra an der Kan­tons­schu­le Lu­zern folg­te – ein ziem­lich ge­bro­che­ner Bil­dungs­weg. Aber was zählt, ist die leis­tungs­ab­hän­gi­ge Durch­läs­sig­keit nach oben und nicht wie et­wa in Frank­reich der «rich­ti­ge» Ein­stieg.

Sil­vio Bor­ner ist eme­ri­tier­ter Pro­fes­sor der Öko­no­mie am WWZ der Uni­ver­si­tät Ba­sel.


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