Wer es sich leisten
kann, schickt seine Kinder immer öfter an eine Privatschule. Das gefährdet den
sozialen Zusammenhalt, findet Bildungsexperte Carl Bossard.
Nur das Beste für mein Kind, SRF, 26.6.
Das Gespräch mit Carl Bossard in voller Länge, SRF 4 News aktuell, 26.6.
Privatschulen in der
Schweiz boomen. Allein der Kanton Zürich zählt mehr als 150 Institutionen – das
sind 20 Prozent mehr als noch vor sieben Jahren. In manchen Gemeinden im
«Speckgürtel» von Zürich, aber auch im Kanton Zug, besucht mittlerweile fast
jedes vierte Kind eine private Einrichtung. Die regionalen Unterschiede sind
aber gross: Schweizweit geht «nur» rund jedes zwanzigste Kind in eine
Privatschule.
Der Gymnasiallehrer Carl
Bossard hat sich intensiv mit dem Phänomen beschäftigt. Er bestätigt: «Der
Trend hat sich in den letzten Jahren verstärkt.» Oft seien es Einzelkinder, die
von Eltern an Privatschulen geschickt würden. Und ihre Motive sind – aus Elternsicht
– durchaus nachvollziehbar: «Sie wollen das Beste für ihr Kind».
Der Eindruck, dass
dieses «Beste» nur von Privatschulen geleistet werden kann, ist aber auch
Ängsten geschuldet. «Öffentliche Schulen mussten in den letzten Jahren viele
Aufgaben zusätzlich übernehmen, etwa die Integration und Frühsprachen. Das
alles fordert, und vielleicht überfordert es die Schulen», sagt Bossard.
Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklung
In einer zunehmend
multikulturellen Gesellschaft hat sich der Auftrag der Schule verändert. «Sie
ist heute fast die einzige Institution, die integrieren kann», sagt Bossard.
Gleichzeitig sollten die Schulen aber «individualisieren» und die Schüler
gemeinschaftsfähig machen: «Das ist anspruchsvoll», räumt der Gymnasiallehrer
ein.
Bossard, Gründungsrektor
der Pädagogischen Hochschule Zug, macht einen gesellschaftlichen Trend
mitverantwortlich dafür, dass Privatschulen Zulauf verzeichnen: «Es gibt eine
Angst vor dem sozialen Abstieg (…) Die Eltern fürchten, dass das Kind an einer
öffentlichen Schule individuell nicht optimal gefördert wird.»
Der langjährige Lehrer
beobachtet auch im Alltag, dass viele Eltern genauer hinschauen, was die Schule
macht: «Heute muss jeder Lehrer ein bis zwei Elternabende durchführen und die
Eltern regelmässig informieren. Die Erwartungen sind grösser geworden.»
Drohen der Schweiz britische Verhältnisse?
Die Angst, das eigene
Kind erhalte an einer Volksschule nicht die beste Ausbildung, mag manche Eltern
umtreiben. Doch Privatschulen kosten. Und sie bleiben damit den oberen
Einkommensschichten vorbehalten. Wird die Chancengleichheit geritzt?
Bossard zeigt sich
besorgt, auch wenn man nicht pauschalisieren könne: Die Gefahr einer
Zweiklassengesellschaft sei da. «Wenn sich Kinder an Privatschulen zunehmend
separieren, fehlt uns etwas, was für den Schweizer Staat zentral ist: die
soziale Durchmischung.»
Im Gegensatz etwa zum
elitären englischen Bildungssystem blickten auch Bundesräte auf eine Zeit in
der Volksschule zurück: «Englische Politiker haben praktisch alle private
Schulen besucht, und dadurch vielleicht auch die Verbindung zum Normalbürger
verloren.»
Wie Privatschulen die Volksschule bereichern
können
Nichtsdestotrotz: Der
Pädagoge will Privatschulen ihre Existenzberechtigung nicht absprechen. Es habe
sie immer gegeben, und es müsse sie auch geben. «Aus diesen Schulen ist ganz
viel Neues und Innovatives in die staatlichen Schulen eingeflossen.»
Bossard selbst hat in
seiner langen Karriere auch an einer Privatschule unterrichtet: «Ich war
begeistert davon, welche Freiheiten wir in der Weiterentwicklung unserer jungen
Menschen hatten.» Die Schulen müssten aber, schliesst Bossard, allen
offenstehen, «und nicht nur denen mit dem grossen Portemonnaie.»
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