Frühfranzösisch
· In der ganzen Schweiz wird kritisiert, dass ein kleiner Kanton im
Sprachenstreit nicht nachgeben will. Wie gehen die Thurgauer Parlamentarier im
Bundeshaus mit dieser Situation um?
Der Thurgau unter Beobachtung, Thurgauer Zeitung, 31.5. von Christian
Kamm
Hinterwäldlerisch,
engstirnig, provinziell: Der Sprachenstreit scheint alle Vorurteile zu
bestätigen, die man jenseits von Winterthur schon immer über den Thurgau gehegt
hat. Einzig, dass er langweilig sei, kann dem Kanton für einmal niemand
vorwerfen. Noch nie wurde so viel über den Thurgau geschrieben und diskutiert,
wie nachdem bekannt geworden ist, dass der Grosse Rat das Frühfranzösisch
abschaffen will. Am 14. Juni steht der definitive Entscheid an.
Auch im
Bundeshaus in Bern, wo die Sommersession begonnen hat, ist das Thema präsent.
«Ich werde immer wieder angesprochen», bestätigt SP-Nationalrätin Edith
Graf-Litscher. Dabei stosse sie auf grosses Unverständnis. Die Leute fühlten
sich vor den Kopf gestossen und werteten das Vorgehen des Thurgaus als Entscheid
gegen Minderheiten. «Man fragt sich, was denn bei uns los ist.» Als erklärte
Befürworterin des Frühfranzösisch hofft die SP-Nationalrätin deshalb auf eine
Wende im Kantonsparlament.
«Noch keinen Drohfinger gesehen»
In der
Wandelhalle hat SVP-Nationalrätin und Frühfranzösisch-Gegnerin Verena Herzog
das Thema noch nicht eingeholt. «Ich habe noch keinen Drohfinger gesehen.» Wohl
aber wurde schon in der Bildungskommission darüber diskutiert, der Herzog
angehört. Dort argumentiere die Gegenseite rein emotional, kritisiert sie, und
meint damit SP-Vertreter. Diese sprächen immer von Abschaffung und nähmen nicht
zur Kenntnis, dass es um eine Verschiebung des Französischunterrichts zu
Gunsten eines besseren Deutsch und eines besseren Französisch am Ende der Volksschulzeit
gehe. Auch werde vergessen, dass die Schweiz ein viersprachiges Land sei. «Was
sollen denn die Tessiner sagen? Die hätten doch den gleichen Anspruch»,
argumentiert Herzog.
Wenn der
Thurgau alle Klischees, die über ihn im Umlauf sind, zu bestätigen scheint,
muss das nicht zuletzt die beiden Standesvertreter beschäftigen. Ständerätin
Brigitte Häberli-Koller (CVP), die auch Präsidentin der Bildungskommission ist,
hat sich Erklären und Aufklären auf die Fahne geschrieben. Es müsse verhindert
werden, dass sich eine Front aufbaue. «Als Thurgauerin weise ich immer wieder
darauf hin, dass der französischsprachige Teil der Schweiz auch für uns wichtig
ist.» Und im zwischenmenschlichen Bereich sei es wichtig, sich offen gegenüber
den anderen Landessprachen zu zeigen. Ganz Föderalistin, zählt Häberli auf eine
gemeinsame Lösung unter den Kantonen. «Ich hoffe nicht, dass wir uns in Bern
damit befassen müssen.» Zumal Häberli überzeugt ist, dass eine Bundeslösung im
Ständerat nicht weit kommen würde.
«Klar
wird ab und zu ‹gezüselt›», sagt SVP-Ständerat Roland Eberle, «aber nicht über
Gebühr.» Polemische Bemerkungen einiger weniger Exponenten aus der Westschweiz
kämen vor, «die sich mit dem Thema profilieren wollen». Weil er als Bilingue
perfekt Französisch könne, sei er in der Regel nicht das Ziel, so Eberle. Wie
Häberli setzt er auf den Föderalismus: Die Kantone sollen sich beim
Französischunterricht pragmatisch einigen. Und es gelte, die Experten an der
Front ernst zu nehmen: «Wenn die Lehrerschaft für Französisch erst auf der
Sekundarstufe plädiert, sehe ich keinen Grund, dagegen zu halten.» Gegen eine
Einmischung des Bundes wehre er sich.
FDP-Nationalrat
Hermann Hess räumt zwar ein, dass sich der Thurgau in Bundesbern ein gewisses
Imageproblem eingebrockt hat. Die Verpolitisierung des Frühfranzösisch lehnt er
jedoch ab. Nicht, welche Sprache in der Schule ab wann gelernt werde, sei
entscheidend, «sondern dass man die Sprachen später viel anwendet». Hess, der
sehr gut Französisch, Englisch und Italienisch spricht, geht selber mit gutem
Beispiel voran. Etwa als er kürzlich im Anschluss an eine Sitzung der
Geschäftsprüfungskommission noch mit Bundesrat Alain Berset parlierte
akzentfrei, notabene. Der habe sich sichtlich beeindruckt gezeigt, berichtet
Hess. Kann ein Thurgauer eigentlich mehr wollen?
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