Der Thurgau
versetzt die Westschweiz in Rage: Wenn der Grosse Rat in zweiter Lesung nicht
zur Vernunft komme, müsse der Bundesrat aktiv werden, tönt es aus der Romandie.
Ansonsten werde eine Volksinitiative gestartet.
Die Medien heizen die Debatte an, Bild: Benjamin Manser / Collage Selina Buess
Die Romands fühlen sich provoziert, St. Galler Tagblatt, 5.5. von Silvan Meile
|
In der Schweiz kommen wir gut miteinander aus, weil wir uns gegenseitig
nicht verstehen, soll einst der verstorbene alt Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz
gesagt haben. Heute gelte das nicht mehr, sagte Pierre Ruetschi, Chefredaktor
der «Tribune de Genève» in der «Tagesschau» von SRF mit Blick auf den Entscheid
des Grossen Rates des Kantons Thurgau, das Fach Frühfranzösisch aus dem
Unterricht der Primarschule zu streichen. «Überrascht und enttäuscht» seien die
Romands darüber. Es könne gar als eine Provokation betrachtet werden, findet
Ruetschi im Namen aller Westschweizer. Auch der Blick in die gestrige Presse
zeigt, dass jenseits des Röstigrabens kaum Verständnis für den Thurgauer
Grossen Rat aufgebracht werden kann.
«Diese Entscheidung ist nicht akzeptabel und zeigt die Arroganz einiger
Kreise gegenüber der Westschweiz und den sprachlichen Minderheiten in unserem
Land», sagt SP-Nationalrat Mathias Reynard aus dem Wallis in der «Le Temps».
Die auflagestärkste Tageszeitung der französischen Schweiz, «24 heures»,
titelte gestern in grossen Buchstaben auf ihrer Frontseite, dass der Thurgau
den Sprachenkrieg wieder anzettle. Der Entscheid zur Abschaffung des
Frühfranzösisch führe zu einer Konfrontation zwischen den Sprachregionen. «Der
Thurgauer Grosse Rat spielt mit dem Feuer», sagt Christoph Eymann, Basler
Nationalrat der liberal-demokratischen Partei, gegenüber der Zeitung. Der
ehemalige Direktor der Erziehungsdirektorenkonferenz erwartet nun eine
Intervention durch Bundesrat Alain Berset. «Die Entscheidung des Thurgaus
könnte sich auf die ganze Schweiz auswirken.»
«La Liberté», die französischsprachige Tageszeitung aus Fribourg,
schreibt von einer Niederlage: «Die Befürworter des Französischen in der
Grundschule haben gestern im Thurgau eine weitere Runde verloren.»
«C’est une catastrophe!», findet der Berner SP-Nationalrat Matthias
Aebischer in der Boulevardzeitung «Blick» und schimpft den Thurgau
«unschweizerisch».
Der Entscheid aus dem Thurgau gebe den Befürwortern der
Fremdsprachen-Initiative im Kanton Zürich Aufwind, stellt der «Tages-Anzeiger»
fest. Bereits in zwei Wochen entscheidet dort das kantonale Stimmvolk, ob eine
der beiden Fremdsprachen aus dem Unterricht der Primarschule gestrichen werden
soll. «Das ist ein sehr schlechtes Zeichen für den nationalen Zusammenhalt»,
beurteilt der Neuenburger SP-Ständerat Didier Berberat den Thurgauer Entscheid
gegenüber der Zeitung. Noch deutlichere Worte findet auch hier der Walliser
Mathias Reynard: «Wenn das Thurgauer Parlament in zweiter Lesung nicht zur
Vernunft kommt, muss der Bundesrat aktiv werden.» Und werde die Landesregierung
nicht intervenieren, gebe es in der Romandie bereits Pläne für eine
Volksinitiative.
«Die Terminierung des Sprachenunterrichts ist keine Frage des nationalen
Zusammenhalts. Doch sie setzt Signale», schreibt die «Neue Zürcher Zeitung»
unter dem Titel «Französisch darf kein Spaltpilz sein.»
Schlicht und einfach «C’est fini im Kanton Thurgau», titelt das «Bieler
Tagblatt», die Tageszeitung aus der zweitgrössten und zugleich zweisprachigen
Stadt des Kantons Bern.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen