Französisch soll erst in der Oberstufe unterrichtet werden. Das hat der
Thurgauer Grosse Rat entschieden und damit Öl ins Feuer des schwelenden
Sprachenstreits gegossen. Frühfranzösisch habe zu wenig gebracht.
Primarfranz ist zu wenig effizient. Bild: Walter Bieri
Keine Geduld mehr mit Frühfranzösisch, NZZ, 4.5. von Jürg Krummenacher
|
Der Thurgauer Grosse Rat hält an der Verschiebung der zweiten Fremdsprache auf die Sekundarstufe fest
2014 hatte die Mehrheit des Thurgauer Kantonsparlaments eine Motion mit
dem Auftrag überwiesen, das bestehende Fremdsprachenkonzept zu überarbeiten und
den Französischunterricht aus dem Lehrplan der Primarschule zu streichen. Drei
Jahre später sind die Kantonsparlamentarier standhaft geblieben und haben sich
nach ausgiebiger und kontroverser Debatte erneut für die Verschiebung des
Französischen auf die Sekundarstufe ausgesprochen. Erst trat der Grosse Rat mit
68 gegen 53 Stimmen auf die Gesetzesvorlage ein, dann verwarf er mit 64 zu 53
Stimmen einen Streichungsantrag. Die Fronten verliefen teilweise quer durch die
Parteien: SVP, CVP, Grüne, EVP und EDU sprachen sich mehrheitlich für, FDP, SP,
GLP und BDP gegen die Abschaffung von Frühfranzösisch aus.
Unterricht genügt nicht
Die Debatte war geprägt von der Einsicht, dass die bisherige
Ausgestaltung des Französischunterrichts in der Primarschule (zu) wenig
gebracht habe. Das Frühfranzösisch lahme, kranke an mangelnder Intensität und
Effizienz, sei gescheitert. Uneinigkeit herrschte über den Weg, wie dies zu
korrigieren sei. SVP-Regierungsrätin Monika Knill setzte sich vehement fürs
Frühfranzösisch ein und präsentierte mehrere Massnahmen, um den Unterricht
verbessern und überforderten Schülern eine unbürokratische Abwahlmöglichkeit
verschaffen zu können. Ihr Bemühen blieb ohne Erfolg. Die Mehrheit war der
Meinung, dass nur eine echte Reform Abhilfe schaffe und der Französischunterricht
nach Vorbild des erfolgreichen Modells in Appenzell Innerrhoden auf die
Sekundarstufe zu verschieben sei. Die Geduld nach 25 Jahren Französisch in den
Thurgauer Primarschulen sei zu Ende.
Chancenlos blieb auch ein Kompromissvorschlag von links-grüner
Ratsseite, das Geschäft zwecks Ausarbeitung neuer Vorschläge wieder an die
Regierung zurückzuweisen.
Voraussichtlich vors Volk
Der Entscheid erfolgte in erster Lesung und ist noch nicht in Stein
gemeisselt. Die zweite Lesung ist auf den 17. Mai angesetzt, die
Schlussabstimmung auf den 14. Juni. Voraussichtlich wird der Rat die Vorlage
aus eigenem Antrieb vors Volk bringen; dazu sind 30 Stimmen im 130-köpfigen
Parlament notwendig.
Dennoch stellt der Entscheid eine Belastung des Sprachenkompromisses
dar, den die Erziehungsdirektoren 2004 beschlossen hatten. Dieser sieht eine
erste Fremdsprache ab der 3. Primarklasse und eine zweite ab der 5. Klasse vor.
Eine der beiden Fremdsprachen muss dabei eine Landessprache sein. Derzeit wird
in 22 von 26 Kantonen nach diesem Modell unterrichtet. Einzelne Kantone wie Uri
und Appenzell Innerrhoden hatten Frühfranzösisch aber gar nicht erst
eingeführt.
Damit ritzen sie allerdings die Bildungsverfassung von 2006, welche die
Kantone verpflichtet, ihr Schulwesen zu harmonisieren. Um Druck aufzubauen und
den Sprachenkompromiss durchzusetzen, hat Bildungsminister Alain Berset eine
Revision des Sprachengesetzes lanciert. In der Vernehmlassung traten dabei die
gegensätzlichen Standpunkte der Westschweizer und der Deutschschweizer Kantone
zutage. Viele Deutschschweizer Kantone pochen auf die kantonale Schulhoheit.
Auch die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren zeigte sich skeptisch
gegenüber einer Bundesregelung.
Manches Thurgauer Parlamentsmitglied sah sich deshalb bemüssigt, die
nationale Bedeutung des Entscheids gegen das Frühfranzösisch herunterzuspielen.
Dies sei nicht relevant für den Zusammenhalt der Schweiz.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen