14. Mai 2017

Steiner warnt vor "Riesenreform"

Die Zürcher Volksschule steht vor einer «unnötigen und jahrelangen» Reform. Das befürchtet Bildungsdirektorin Silvia Steiner (CVP). In einem Beitrag zur Fremdspracheninitiative im neusten «Schulblatt» schreibt sie, die Streichung einer Fremdsprache werde die ausgewogene Ausbildung von Kopf, Herz und Hand womöglich «aus der Balance» bringen. Auf Anfrage unterstreicht die Bildungsdirektorin: «Da wird kein Stein auf dem anderen bleiben.» Viele Initianten seien sich nicht bewusst, welch «riesige Reform» sie mit der Streichung einer Fremdsprache ins Rollen brächten.
Steiner warnt vor "Riesenreform", Tages Anzeiger, 12.5. von Daniel Schneebeli



Konkret nennt Steiner Änderungen im Stundenplan. Wenn eine Sprache – voraussichtlich Englisch – in der Primarschule gestrichen wird, muss der Englischunterricht in der Sekundarschule intensiviert werden. So sind in den mit 36 Wochenstunden schon maximal ausgelasteten Stundenplan noch zusätzliche Lektionen einzubauen.

Das Problem der Lehrmittel
Laut Steiner geht das nur auf Kosten von anderen Fächern, etwa von Mathematik, Mensch und Umwelt oder Berufswahl. Sie ist überzeugt, dass dies ein jahrelanges Seilziehen auslösen würde. Es seien Vernehmlassungen nötig, und womöglich würden darauf weitere Volksinitiativen lanciert – wie es sie schon bei der Handarbeit oder der Biblischen Geschichte gegeben habe. Umgekehrt, so Steiner, sei in der Primarschule ein Streit programmiert, mit welchen Inhalten die Lücken gefüllt werden sollen.

Ein weiteres Problem werden laut der Bildungsdirektorin die Lehrmittel sein. Eben ist das neue Französischlehrmittel «Dis donc!» fertiggestellt worden. Es ist ausgelegt für den Unterricht von der 5. bis zur 9. Klasse. Dies müsste womöglich geändert werden, wenn Französisch künftig schon ab der 3. Klasse unterrichtet würde. In der Sekundarschule müsste man die Englischlehr­mittel wieder auf den Anfängerstatus zurückdrehen. Zudem müssten auch die Lehrpersonen wieder auf Anfänger umgeschult werden.

Weiter müsste die Pädagogische Hochschule Zürich ihre Ausbildungen überarbeiten. Heute können angehende Primarlehrpersonen wählen, ob sie die Französisch- oder die Englischberechtigung anstreben wollen. Das würde keinen Sinn mehr ergeben, wenn in Zürich nur noch Französisch auf dem Primarschullehrplan stünde.

Lätzsch: «Lösbare Probleme»
Nicht zuletzt gäbe es Veränderungen in den Langgymnasien, sagt Steiner. Dort müssten die Mittelschullehrer im Englisch bei null beginnen, und für die Schüler gäbe es zwei Sprachen von Grund auf neu zu lernen: Englisch und Latein.

Lilo Lätzsch, Präsidentin des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (ZLV) und eine der Hauptinitiantinnen, bestreitet nicht, dass es zu Veränderungen kommen würde. Sie sagt aber: «Das ist eine lösbare Aufgabe.» Sie betont, dass die neue Stundentafel ohnehin nicht für die Ewigkeit festgelegt sei. So werde es wegen der neuen nationalen Bildungsstandards in den nächsten Jahren Anpassungen zwischen den Kantonen geben müssen. Lätzsch schlägt vor, in der Sekundarschule nicht vor allem die Lektionenzahl zu erhöhen, sondern die Ausbildung zu intensivieren – etwa durch die Einführung von Halbklassenunterricht. In der Primarlehrer-Ausbildung schlägt sie vor, Französisch zum Pflichtfach zu erklären.
Heinz Rhyn, Rektor der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH), sieht bei einem Ja zur Initiative «grössere Probleme». Denn die heutigen Ausbildungsgänge seien von der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) anerkannt und damit in der ganzen Schweiz gültig. Allerdings sei das Ausbildungsangebot von zwei Fremdsprachen für die Anerkennung notwendig. Wie diese Schwierigkeit gelöst werden könnte, kann Rhyn heute noch nicht sagen. Sein oberstes Ziel ist es, die EDK-Anerkennung für die Zürcher Lehrdiplome auch in Zukunft zu behalten: «Wir wollen gesamtschweizerisch attraktiv bleiben.»

Austritt aus Harmos möglich
Offen ist derzeit, was aus dem Harmos-Konkordat wird, wenn Zürich in der Primarschule eine Fremdsprache streicht. Derzeit gehören dem Konkordat neben Zürich 14 Kantone an, darunter die gesamte Romandie, das Tessin, Bern und Basel. Die Harmos-Kantone haben sich darauf geeinigt, die Bildungsziele und ihre Schulen zu harmonisieren. In der Vereinbarung steht, dass die erste Fremdsprache in der dritten und die zweite in der fünften Klasse eingeführt wird. Dieses Ziel könnte Zürich nicht mehr erfüllen. Derzeit beraten die Erziehungsdirektoren, wie man das Problem lösen könnte. Silvia Steiner, die gleichzeitig auch EDK-Präsidentin ist, kann noch nicht abschätzen, ob Zürich aus Harmos austreten müsste. Im Juni wollen die Erziehungsdirektoren über das weitere Vorgehen entscheiden.


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