Die Zürcher Volksschule
steht vor einer «unnötigen und jahrelangen» Reform. Das befürchtet
Bildungsdirektorin Silvia
Steiner (CVP).
In einem Beitrag zur Fremdspracheninitiative im neusten «Schulblatt» schreibt
sie, die Streichung einer Fremdsprache werde die ausgewogene Ausbildung von
Kopf, Herz und Hand womöglich «aus der Balance» bringen. Auf Anfrage
unterstreicht die Bildungsdirektorin: «Da wird kein Stein auf dem anderen
bleiben.» Viele Initianten seien sich nicht bewusst, welch «riesige Reform» sie
mit der Streichung einer Fremdsprache ins Rollen brächten.
Steiner warnt vor "Riesenreform", Tages Anzeiger, 12.5. von Daniel Schneebeli
Konkret nennt Steiner
Änderungen im Stundenplan. Wenn eine Sprache – voraussichtlich Englisch – in
der Primarschule gestrichen wird, muss der Englischunterricht in der
Sekundarschule intensiviert werden. So sind in den mit 36 Wochenstunden schon
maximal ausgelasteten Stundenplan noch zusätzliche Lektionen einzubauen.
Das Problem der
Lehrmittel
Laut Steiner
geht das nur auf Kosten von anderen Fächern, etwa von Mathematik, Mensch und
Umwelt oder Berufswahl. Sie ist überzeugt, dass dies ein jahrelanges Seilziehen
auslösen würde. Es seien Vernehmlassungen nötig, und womöglich würden darauf
weitere Volksinitiativen lanciert – wie es sie schon bei der Handarbeit oder
der Biblischen Geschichte gegeben habe. Umgekehrt, so Steiner, sei in der
Primarschule ein Streit programmiert, mit welchen Inhalten die Lücken gefüllt
werden sollen.
Ein weiteres
Problem werden laut der Bildungsdirektorin die Lehrmittel sein. Eben ist das
neue Französischlehrmittel «Dis donc!» fertiggestellt worden. Es ist ausgelegt
für den Unterricht von der 5. bis zur 9. Klasse. Dies müsste womöglich geändert
werden, wenn Französisch künftig schon ab der 3. Klasse unterrichtet würde. In
der Sekundarschule müsste man die Englischlehrmittel wieder auf den
Anfängerstatus zurückdrehen. Zudem müssten auch die Lehrpersonen wieder auf
Anfänger umgeschult werden.
Weiter müsste
die Pädagogische Hochschule Zürich ihre Ausbildungen überarbeiten. Heute können
angehende Primarlehrpersonen wählen, ob sie die Französisch- oder die
Englischberechtigung anstreben wollen. Das würde keinen Sinn mehr ergeben, wenn
in Zürich nur noch Französisch auf dem Primarschullehrplan stünde.
Lätzsch: «Lösbare
Probleme»
Nicht zuletzt
gäbe es Veränderungen in den Langgymnasien, sagt Steiner. Dort müssten die
Mittelschullehrer im Englisch bei null beginnen, und für die Schüler gäbe es
zwei Sprachen von Grund auf neu zu lernen: Englisch und Latein.
Lilo Lätzsch,
Präsidentin des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (ZLV) und eine der
Hauptinitiantinnen, bestreitet nicht, dass es zu Veränderungen kommen würde.
Sie sagt aber: «Das ist eine lösbare Aufgabe.» Sie betont, dass die neue
Stundentafel ohnehin nicht für die Ewigkeit festgelegt sei. So werde es wegen
der neuen nationalen Bildungsstandards in den nächsten Jahren Anpassungen
zwischen den Kantonen geben müssen. Lätzsch schlägt vor, in der Sekundarschule
nicht vor allem die Lektionenzahl zu erhöhen, sondern die Ausbildung zu
intensivieren – etwa durch die Einführung von Halbklassenunterricht. In der
Primarlehrer-Ausbildung schlägt sie vor, Französisch zum Pflichtfach zu
erklären.
Heinz Rhyn,
Rektor der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH), sieht bei einem Ja zur
Initiative «grössere Probleme». Denn die heutigen Ausbildungsgänge seien von
der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) anerkannt und damit in der ganzen
Schweiz gültig. Allerdings sei das Ausbildungsangebot von zwei Fremdsprachen
für die Anerkennung notwendig. Wie diese Schwierigkeit gelöst werden könnte,
kann Rhyn heute noch nicht sagen. Sein oberstes Ziel ist es, die
EDK-Anerkennung für die Zürcher Lehrdiplome auch in Zukunft zu behalten: «Wir
wollen gesamtschweizerisch attraktiv bleiben.»
Austritt aus Harmos
möglich
Offen ist
derzeit, was aus dem Harmos-Konkordat wird, wenn Zürich in der Primarschule
eine Fremdsprache streicht. Derzeit gehören dem Konkordat neben Zürich 14
Kantone an, darunter die gesamte Romandie, das Tessin, Bern und Basel. Die
Harmos-Kantone haben sich darauf geeinigt, die Bildungsziele und ihre Schulen zu harmonisieren. In der
Vereinbarung steht, dass die erste Fremdsprache in der dritten und die zweite
in der fünften Klasse eingeführt wird. Dieses Ziel könnte Zürich nicht mehr
erfüllen. Derzeit beraten die Erziehungsdirektoren, wie man das Problem lösen
könnte. Silvia Steiner, die gleichzeitig auch EDK-Präsidentin ist, kann noch
nicht abschätzen, ob Zürich aus Harmos austreten müsste. Im Juni wollen die
Erziehungsdirektoren über das weitere Vorgehen entscheiden.
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