18. Mai 2017

Schule als Spielball von Medien und Politik

Bildung hat sich gewaltig verändert: Wussten Sie, dass man heute mit einer Woche Zeitung lesen mehr erfährt und lernt als im 18. Jahrhundert in einem ganzen Leben? Oder dass der Englischwortschatz sich seit Shakespeare verfünffacht hat? Dass bei Google monatlich 31 Milliarden Suchanfragen eingehen? Alle wollen etwas wissen oder lernen.
Keine Woche vergeht, in der nicht irgendwo in unserem Land das Bildungswesen im Fokus von Politik und Medien steht. Letzte Woche im Thurgau das Frühfranzösisch, nächstes Wochenende bei uns im Baselbiet an der Urne die Lehrerausbildung. So geht das schon seit Jahren.
Lasst die Schule wieder in Frieden, Basellandschaftliche Zeitung, 18.5. von Matthias Plattner


Heute muss ich meinem Ärger darüber ein wenig Luft verschaffen. Bildung und Schulwesen sind zum Themenlieferanten und Selbstbedienungsladen für Politikerinnen und Politiker geworden. Klar, da geht es um unsere Kinder und Enkel, unser Liebstes. Da geht es um die Zukunft unseres Landes. Bildung ist bekanntlich der einzige Rohstoff in der sonst ärmlichen Schweiz. Mit Bildungsthemen lässt sich punkten. Damit kann man Emotionen abholen und ungeliebten Politikern, Lehrpersonen, Fachgremien endlich eins auswischen. Jeder war mal in irgendeiner Schule und fühlt sich deshalb als kompetent.

In der Schweiz sind in den letzten 17 Jahren allein zum Thema Frühförderung und Fremdsprachen 700 (teure) Studien entstanden, die über Sinn oder Unsinn derselben Auskunft geben sollen. Im Zusammenhang der Bildungsharmonisierung im Land sind in kantonalen Parlamenten Hunderte von Vorstössen eingereicht worden. Reformschritte hier und Marschhalte dort gehen Hand in Hand. Der eine zieht aus und der andere bremst. Das politische Gezerre und Gewürge kostet die Kantone Millionen und bringt den Schulen wenig bis nichts. Im Gegenteil. Mit diesen Batzen hätte man zum Beispiel im Baselbiet unsere maroden Sekundarschulbauten endlich richtig sanieren können.

Nicht Reformen oder deren Tempo richten den ganz grossen Schaden an, sondern das an die Öffentlichkeit-Zerren wohl bald jedes Schulfachs, von Lehrmitteln und Schulordnungen. Das verunsichert und demotiviert brutal: Begabte, junge Menschen, die vielleicht willens wären, das pädagogische Handwerk zu erlernen und segensreich für unsere Kinder zu wirken; bereits tätige Lehrpersonen und Schulleitungen aller Stufen; und vor allem all die Eltern und Grosseltern von Schülerinnen und Schülern, und von Kleinkindern, die bald dazu werden.


Bei ihnen wurde und wird der ganz grosse Schaden angerichtet und unsere seit 150 Jahren einvernehmlich und erfolgreich betriebene Volksschule politisch und medial zu Tode geschnorrt und verhandelt. Denn jede Schule, Bildungs- und Ausbildungsstätte lebt vom Vertrauen nicht nur der Kinder und Jugendlichen, sondern vor allem ihrer Eltern und Grosseltern. Die Schule ist ein Nest für unseren Nachwuchs. Ein Nest benötigt einen stillen, sicheren, trockenen Ort, benötigt Verlässlichkeit. OMG – um Himmels Willen! Bitte lasst die Schule wieder in Frieden.

Der Autor ist reformierter Pfarrer in Sissach

1 Kommentar:

  1. Der grosse Schaden wird angerichtet, wenn still, heimlich und von oben, radikale Schulreformen durchgezogen werden sollen, mit der die bewährte und seit 150 Jahren weiterentwickelte Volksschule an die Wand gefahren wird. Wenn das Nest unseres Nachwuchses heimlich demontiert und umgebaut werden soll, dann müssen wir vor die Türe treten, um zu sehen, was ist. Wenn die demokratische Mitbestimmung durch die Exekutive ausgehebelt wird, müssen wir Öffentlichkeit schaffen und dürfen die direktdemokratische Auseinandersetzung nicht fürchten. In den Anfängen der Volksschule hat sich der Pfarrer und Schulinspektor Jeremias Gotthelf nicht gescheut, die Dinge beim Namen zu nennen, auch wenn er dadurch bei der Obrigkeit einen Sturm entfacht hat!

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