Ein Wunderkind wird erwachsen, Schweiz am Wochenende, 15.4. von Yannick Nock
Was
geht in einem Kind vor, wenn der Kopf zehn Jahre älter ist als der Körper?
Maximilian Janisch war immer besonders, das brach schon aus ihm heraus, bevor
er richtig sprechen konnte. Einmal – der Bub war gerade zweieinhalb – versuchte
er auf den Zehenspitzen und mit Nuggi im Mund an die Tasten eines Bancomaten zu
kommen. Sein Grossvater hatte den PIN vergessen. Er wusste ihn.
Maximilian,
kariertes Hemd, zerzaustes Haar, sitzt auf dem Sofa zu Hause in Meierskappel LU
und lacht über die väterliche Anekdote. Der 13-Jährige wirkt wie so viele
Teenager: etwas unbeholfen, etwas schlaksig, ein bisschen verlegen. Vorbei sind
die Zeiten, als er als Neunjähriger anderen Maturanden Nachhilfe in Mathematik
gab. Altklug kam das rüber. Ungewollt, aber wie soll es wirken, wenn ein Kind
Dinge erklärt, die andere ein Leben lang nicht verstehen?
In
einem Jahr wird Maximilian offiziell die Universität Zürich besuchen und damit
zum jüngsten Studenten der Schweiz. «Das ist der Plan», sagt er. Zuerst will er
reden. Darüber, warum die Förderung von hochbegabten Kindern in der Schweiz
kaum stattfindet, und über seinen eigenen Kampf für mehr Unterstützung. «Auch
wenn meine Aussagen nicht den grössten Impact haben werden, so hoffe ich doch,
dass andere Kinder von meinen Erfahrungen profitieren.»
Bis
heute ist Maximilian der berühmteste Hochbegabte der Schweiz. Mit einem IQ von
149+ sprengt er die gängige Skala. In der 1. Klasse sollte er als Hausaufgabe
bis 20 zählen, dabei wusste er, was eine Billion ist. Innert weniger Wochen
übersprang er mehrere Klassen. Mit acht landete er am Gymnasium Immensee. Nur
ein Jahr später legte er die Mathematik-Matura mit Bestnoten ab. Eine Leistung,
wie es in der Schweiz keine vergleichbare gibt.
Der
Abschluss war zugleich ein Beginn. Aus dem Hochbegabten wurde ein
Medienphänomen. Zeitungen, Radio- und TV-Stationen rissen sich um den damals
Neunjährigen. Nicht nur in der Schweiz. Deutsche Sender berichteten über ihn,
auch die britische BBC und ein japanisches Magazin: Maximilian, das «Genie»,
das «Wunderkind», der «Mozart der Mathematik». «Das ist arg übertrieben», sagt
Maximilian heute und schmunzelt.
Doch
der Hype ging nicht spurlos vorbei. Eine Welle der Empörung schwappte über die
Familie. «Rabeneltern», hiess es in Dutzenden Briefen und Tausenden
Kommentaren. Man solle Maximilian Kind sein lassen, schrieben sie. Sein Platz
sei auf dem Spielplatz, nicht hinter einem verstaubten Mathebuch.
Ein Talent wie Roger Federer
Maximilians
Vater Thomas Drisch, ein pensionierter Mathematikprofessor mit grauem Bart,
schüttelt den Kopf. «Die grosse Mehrheit der Bevölkerung glaubt, die Kleinen
könnten nichts», sagt er, «was für ein Unsinn.» Sein Sohn solle tun, was ihm
Spass mache, und das sei nun mal die Mathematik. Ihn stört, dass Maximilian
seine Interessen rechtfertigen muss, dass ihn die Menschen lieber bremsen statt
fördern. «Hat je einer Roger Federers Vater und Mutter als Rabeneltern
bezeichnet?»
Drisch
kritisiert, dass es in der Schweiz zwei Dutzend Sportgymnasien und viele
Mittelschulen mit Schwerpunkt Musik gibt, doch kein einziges Gymnasium für
Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik (MINT). «Dabei hängt
die Zukunft der Schweiz nicht von der Zahl der Goldmedaillen ab, sondern von
der Entwicklung ihrer MINT-Talente.»
Die
Förderprogramme, die es heute gibt, würden längst nicht reichen, sagt Drisch.
Er will gerade über die Kurse der Integrativen Förderung sprechen (IF), als ihn
Maximilian unterbricht. «Sei vorsichtig, was du sagst.» Stille, die beiden
schauen sich an – und lachen los. «Ich sage besser nichts», meint der Vater. In
früheren Gesprächen sagte er noch: «Das war Müll, eigentlich hätte Maximilian
die IF-Lehrerinnen unterrichten müssen.» Aber diesen Kampf will er nicht über
die Presse austragen.
Ohnehin
ist das Verhältnis der Familie zu den Medien gespalten. «Alle wollen zu
Maximilian, am besten bis ins Kinderzimmer, und ein Foto schiessen», sagt
Drisch, «aber über die Förderung will niemand sprechen.» Dass beide selbst die
Hysterie befördern, wenn Maximilian als 11-Jähriger mit dem Vater als
Ghostwriter eine Autobiografie veröffentlicht, sieht Drisch nicht. «Es geht
nicht um den Hype, es geht immer um die Sache.»
Letztlich
hat der Hype auch geholfen. Eigentlich wollte Maximilian nach der Mathe-Matura
an die ETH Zürich, die Schweizer Elite-Uni schlechthin. Doch kein Neunjähriger
darf hierzulande Student sein. Die besten amerikanischen Hochschulen meldeten
sich, Harvard kämpfte um das Mathematik-Talent, doch umziehen kam für die
Familie nicht infrage. Maximilian sollte nicht aus seinem Umfeld gerissen
werden. Die Sache schien gegessen, bis eines Abends das Telefon klingelte.
Michael
Hengartner, Rektor der Universität Zürich, war am anderen Ende der Leitung. Er
hatte den Rummel um Maximilian verfolgt und bot ihm ein spezielles Programm an.
Nicht als Student im Hörsaal, aber als Schüler im Privatunterricht. «Ich bin
der Meinung, dass jeder junge Mensch das Anrecht hat, so gefördert zu werden,
wie es für ihn am besten ist», sagt Hengartner. Und er hatte den passenden
Mentor, einen 40-jährigen Mathematik-Professor, der selbst ein hochbegabtes
Kind war. «Ich konnte damals an keinem Förderprogramm teilnehmen», sagt Camillo
De Lellis. «Maximilian soll es besser haben, deshalb helfe ich.»
Uni Zürich sucht nach Lösung
Alle
zwei Wochen unterrichtet er den 13- Jährigen am Mathematischen Institut der
Universität Zürich. «Ich habe nie eine solche Begabung gesehen wie bei ihm»,
sagt Mentor De Lellis. Maximilian hat bereits einige Prüfungen des Bachelor-Studiums
abgelegt, bald erreicht er das Niveau eines Masterstudenten. Angerechnet wurden
ihm seine Leistungen nicht. Wieder betritt Maximilian Neuland. Das Schulsystem
ist auf einen wie ihn nicht vorbereitet. Gemäss Statuten muss er zuerst in
allen Fächern die Matura absolvieren, dafür büffelt er derzeit am Gymnasium
Immensee. Englisch und Französisch sind kein Problem, beides spricht er
fliessend. Mühe hat er nur in einem Fach. «Also in der Geografie bin ich doch
eher schlecht.» Schlecht heisst bei ihm: Note 4.
Mit dem
Abschluss kommen die nächsten Fragen. Was passiert mit all den Prü- fungen, die
er bereits an der Universität abgelegt und mit Bestnoten bestanden hat? Sind
sie wirklich wertlos? «Wir werden eine Lösung finden», verspricht Rektor
Hengartner. Sie müsse fair gegenüber Maximilian, aber auch gegenüber allen
anderen Studenten sein. Womöglich kann Maximilian die Resultate mündlich zügig
bestätigen. Damit würde er auf einen Schlag seinen Bachelor machen – mit 15.
Silicon Valley und ein Nobelpreis?
Nächstes
Jahr könnte Maximilian im Hörsaal mit Masterstudenten sitzen. Noch immer wird
der Kopf älter sein als der Körper. Wo wird das enden? Darf man Grosses von ihm
erhoffen? «Jede Erwartung ist unsinnig», sagt sein Vater. Es habe Hochbegabte
gegeben, denen nie eine Entdeckung gelang, und weniger begabte, die den
Nobelpreis erhielten. Maximilian kümmern solche Gedankenspiele nicht, einzig,
wo er neben der Universität Zürich studieren möchte, weiss er schon: in
Stanford, Herz des Silicon Valley.
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