Die Bildungsausgaben steigen, doch die Schüler
protestieren. Es braucht neue Sparideen. Eine kommt vom Pisa-Erfinder.
Selten war eine Botschaft aus dem Herzen des
föderalistischen Schulsystems so eindeutig: «Nein zum Bildungsabbau», riefen
gestern Tausende Schüler wie aus einer Kehle. Sie protestierten gleichzeitig in fünf Kantonen. Doch
wird in der Bildung tatsächlich gespart? Nein, wie Zahlen des Bundes belegen.
Vielmehr steigen die Ausgaben seit Jahren kontinuierlich an auf aktuell 36
Milliarden Franken. Sie sind in 15 Jahren um 60 Prozent gewachsen.
Trotzdem ist der Einwand der Schüler berechtigt.
Denn das Geld fliesst längst nicht nur an die Grundschulen und Gymnasien. Es
gibt jedes Jahr mehr Universitäts-Absolventen sowie neue Bildungsinstitutionen,
von Fachhochschulen bis zu pädagogischen Hochschulen. Das kostet. Der
Lehrerverband doppelt nach: Der Abbau an den Grundschulen sei schlimmer als
befürchtet und belaufe sich inzwischen auf weit über eine Milliarde Franken,
heisst es. «Gemessen am heutigen Auftrag haben Lehrpersonen, Kinder und Eltern
damit eindeutig die schlechteren Bedingungen als früher», sagt Lehrerpräsident
Beat Zemp.
UMFRAGE
Tatsächlich wurden in fast allen Kantonen
Freifächer gestrichen, Lektionen reduziert oder der Instrumentalunterricht
kostenpflichtig gemacht. Projektwochen und Lager wurden ebenfalls abgeschafft.
Der Spardruck ist vorhanden – und wird kaum verschwinden. Doch es gibt
Möglichkeiten zu sparen, ohne dass die Schüler darunter leiden.
Das sagt Pisa-Leiter und OECD-Bildungsdirektor
Andreas Schleicher. Er sieht in der Schweiz die effizienteste Lösung in den
Klassengrössen. «Wenn gespart werden muss, dann hier», sagt der Deutsche, der
den Überblick über die Schulsysteme in 72 Ländern hat. Mit einer
durchschnittlichen Klassengrösse von 19 Schülern liegt die Schweiz deutlich
unter dem Pisa-Schnitt von 23. «Wenn man wählen muss, sollte die
Unterrichtsqualität Vorrang haben», sagt Schleicher. Wer sich kleine Klassen
leistet, müsse anderswo sparen, zum Beispiel beim Unterstützungspersonal.
Auch der Direktor der Schweizerischen
Koordinationsstelle für Bildungsforschung, Stefan Wolter, sieht in den
Schülerzahlen die beste Option. Wenn man schon 26 in einer Klasse habe, würde
er keine hinzutun. Aber bei einem Durchschnitt von 19 Schülern bringe ein Kind
mehr pro Klasse ein Sparpotenzial von insgesamt 500 Millionen Franken, ohne
dass darunter die Leistung leiden müsse.
40 Schüler in einer Klasse
Die Diskussion ist nicht neu, schon länger wehren
sich Lehrer gegen die Idee. Sie fürchten einen grossen Mehraufwand und einen
Nachteil für schwache Schüler. Pisa-Chef Schleicher widerspricht: «In China
oder Singapur sitzen in den Klassen manchmal 40 Schüler», sagt er, «trotzdem
sind die Leistungen gleich gut oder besser als in der Schweiz.» Dort würden die
Lehrer nur 11 bis 16 Stunden in der Woche unterrichten, den Rest der Zeit
investieren sie in die Vorbereitung. «Sie können mehr Zeit in die
Unterrichtgestaltung setzen und sich intensiver um jeden einzelnen Schüler
kümmern.» Mehr Lehrer brauche die Schweiz deswegen nicht. Das
Betreuungsverhältnis sei in Asien fast das gleiche. Durch die grösseren Klassen
müsste der einzelne Lehrer dort aber weniger oft Unterrichten.
Für Lehrerpräsident Beat Zemp kommt es auf die
jeweilige Situation an. Bei vielen verhaltensauffälligen Schülern würden
grössere Klassen negative Folgen haben. «Sie brauchen Betreuung und können
weniger gut selbstständig lernen», sagt er. Bei Kleinklassen von 8 bis 9
Schülern, die es teilweise in ländlichen Gebieten gibt, unterstützt Zemp die
Idee. «Hier würde es sich lohnen, die Schulbezirke neu einzuteilen und zwei
Klassen zusammenzulegen.»
Deutlich weniger hält Pisa-Chef Schleicher von
Vorkehrungen wie im Kanton Luzern. Dort wurden 20'000 Gymnasiasten und Lehrlingen während einer Woche
Zwangsferien verordnet. «Von einer solchen Massnahme habe ich
in all den Jahren nur einmal gehört», sagt Schleicher. Das sei in Kalifornien
gewesen – zum Höhepunkt der letzten Finanzkrise. «Wenn die Schweiz als reiches
Land so eine Massnahme umsetzt, ist das schon bizarr.»
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