Le
Putois, le martinet et le percnoptère – mit einem ganzen Tiergarten sehen sich
Primarschüler in sechs Kantonen im Rahmen des Frühfranzösisch-Unterrichts
konfrontiert. Bloss handelt es sich bei diesen Tieren allesamt um zoologische
Aussenseiter, die für den Alltagsgebrauch der Fremdsprache praktisch
bedeutungslos sind: Zum Vocabulaire der Primarschüler gehören das Stinktier,
die Wasserschwalbe und der in Europa beinahe ausgestorbene Schmutzgeier.
Weshalb, fragen sich viele Eltern, lernen Kinder im Frühfranzösisch solche
Begriffe, sind aber auch nach Jahren nicht in der Lage, nach dem richtigen Weg
zu fragen oder einfachste Französisch-Wörter richtig zu buchstabieren?
Barlez wu Fransai? NZZ, 12.4. von Daniel Gerny
Rechtschreibung zweitrangig
Die
sechs Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Solothurn, Bern, Freiburg und
Wallis, in denen Französisch ab der dritten Primar die erste Fremdsprache ist,
setzen seit 2011 gemeinsame Fremdsprachen-Lehrmittel ein. «Mille Feuilles», das
darauf aufbauende «Clin d'Œil» und das für den Englischunterricht konzipierte
«New World» basieren auf neuen didaktischen Konzepten, die sich stark von jenen
unterscheiden, mit denen die heutige Lehrer- und Elterngeneration vertraut ist.
Die Lehrmittel sind Teil des Fremdsprachenkonzeptes «Passepartout», auf das
sich die sechs Kantone entlang der Sprachgrenze geeinigt haben. Die Schüler
sollen nicht in erster Linie Vokabeln und Grammatik büffeln, sondern die neue
Sprache möglichst oft hören und so ein «Sprachbad nehmen», wie es in einer
Broschüre zu «Mille Feuilles» heisst. Selbst grobe Fehler, etwa bei der
Rechtschreibung, sollen die Lehrer nur zurückhaltend korrigieren.
Französischlehrbücher
sind selten sonderlich beliebt, doch bei «Mille Feuilles» setzte die Kritik von
Beginn weg ein und ist seither nicht abgerissen. In mehreren Kantonsparlamenten
wurde und wird der Ausstieg aus dem «Passepartout»-Konzept gefordert. Die
grünliberale Basler Grossrätin Katja Christ forderte ihre Regierung erst im
März dazu auf, «die Verwendung des umstrittenen Lehrmittels zu überdenken».
Dies wäre theoretisch möglich, weil die geltende Vertragsperiode des
«Passepartout»-Konkordates 2018 ausläuft.
Fast alle sind ungenügend
Zwei –
allerdings nicht repräsentative – Umfragen unter der Lehrerschaft in den
Kantonen Solothurn und BaselLandschaft lieferten teilweise in der Tat
alarmierende Ergebnisse: So gaben 92 Prozent der Solothurner Lehrer an, dass
die mit «Clin d'Œil» unterrichteten Schüler beim Schreiben tiefe oder eher
tiefe Kompetenzen aufwiesen. Auch im mündlichen Ausdruck, auf den die neuen
Lehrmittel besonderen Wert legen, werden grossmehrheitlich schlechte
Kompetenzen festgestellt. Im Baselbiet lauteten die Resultate ähnlich: Über 97
Prozent der Sekundarlehrer schätzten dort das Vocabulaire ihrer Schüler als
mässig bis schlecht ein. Demnächst soll im Kanton BaselStadt eine Umfrage
durchgeführt werden.
Im
Kanton Bern lässt dagegen ein Entscheid der Erziehungsdirektion Rückschlüsse
auf fehlende FranzösischKompetenzen zu: Im Januar kündigte diese an,
grammatikalische Kenntnisse bei den Aufnahmeprüfungen fürs Gymnasium würden «nicht
mehr gezielt geprüft» werden. «Wir können nichts prüfen, das vorher nicht so
unterrichtet wurde», erklärte der Vorsteher des kantonalen Mittelschul- und
Berufsbildungsamts, Mario Battaglia, damals gegenüber der «Berner Zeitung».
Für den
Bieler Bildungspolitiker Alain Pichard (GLP) sind solche Entwicklungen
besorgniserregend, weil daraus ein Zweiklassen-Ausbildungskonzept resultiere:
Nur wer es ans Gymnasium schaffe, erhalte die nötigen Sprachkompetenzen,
kritisiert er. Wissenschaftliche Erkenntnisse über den Erfolg von
«Passepartout» fehlen allerdings bis jetzt. Erste Ergebnisse zweier
Evaluationsstudien, die die «Passepartout»-Kantone in Auftrage gegeben haben,
sollen erst im Sommer 2018 vorliegen.
Millionen investiert
Allein
dies zeigt, dass ein vorzeitiger Ausstieg aus «Passepartout» vorerst äusserst
unwahrscheinlich ist. Die involvierten Kantone haben alle Millionenbeträge
investiert. Genaue Zahlen fehlen, doch allein der Kanton BaselLandschaft
bewilligte bereits 2010 12,5 Millionen. Die Kritik hat deshalb bisher vor allem
zu Beschwichtigungen geführt – und zu punktuellen Nachbesserungen bei den
Lehrmitteln, unter anderem im Bereich der Grammatik. Bewegung könnte ins Spiel
kommen, wenn im Baselbiet eine Initiative zum Ausstieg aus dem
«Passepartout»-Konkordat vors Volk kommt. Bisher zeigte sich das dafür
verantwortliche Komitee allerdings wenig durchsetzungsstark.
Mit
Spannung blicken die «Passepartout»-Kritiker in den Kanton Zürich, der im Mai
über eine Initiative für die Verlegung einer Fremdsprache von der Primar- in
die Sekundarschule abstimmt. Denn die Kritik an den Lehrmitteln ist auch in den
«Passepartout»-Kantonen letztlich auf den frühen Fremdsprachenunterricht
zurückzuführen. Der wachsende Widerstand an den Lehrmitteln zeigt: In der
Praxis erweist sich dieses Konzept als herausfordernder als ursprünglich
angenommen.
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