«Jeder in diesem Land sollte programmieren lernen, denn
es lehrt einen, zu denken.» Das sagte der Mann, der vor zehn Jahren das iPhone
der Öffentlichkeit vorstellte und damit die Welt veränderte. Einen Tag nachdem
Steve Jobs in San Francisco die Revolution eingeläutete hatte, rief eine
Gastautorin in der «NZZ am Sonntag» zur Abschaffung der Handschrift in der
Schule auf. Ein pensionierter Lehrer gab ihr in einem Leserbrief recht –
allerdings mit einer Einschränkung: «Lernt stenografieren!», forderte er, in
der Ansicht, es sei doch «ungemein nützlich», wenn er bei einem Vortrag eine
Aussage schnell festhalten könne, ohne dafür «ein Gerät» aufbauen zu müssen.
Schwieriger Wechsel in den digitalen Modus, NZZ, 7.4. von Angelika Hardegger
So
wie der Leserbriefschreiber im vordigitalen Zeitalter steckengeblieben ist, so
ist es bis anhin auch die Volksschule: Erst mit dem Lehrplan 21 kommt das
«Gerät», das der pensionierte Lehrer im Kopf hatte, flächendeckend im
Schulzimmer an. «Medien und Informatik» heisst das Modul (zum eigentlichen Fach
hat es der Informatik nicht gereicht), das schon Primarschüler für den
digitalen Alltag fit machen soll – und für die Arbeitswelt, denn laut einer Studie der
Branchenorganisation ICT-Berufsbildung Schweiz werden der Schweiz bis 2024
25 000 Informatiker fehlen.
Lehrer sind nicht
qualifiziert
Der
neue Lehrplan sieht vor, dass schon Erst- und Zweitklässler lernen, sich in ein
Netzwerk einzuloggen oder Daten abzulegen. Ab der dritten Klasse werden sie
Betriebssystem und Anwendersoftware unterscheiden lernen und wissen, was ein
Flash-Speicher ist. Und ab der fünften Klasse sollen die Schüler erste einfache
Programme schreiben.
So
lautet zumindest das Ziel. Der Weg dorthin ist aber noch lang, denn die
wenigsten Primarschullehrer sind heute fähig, ihren Schülern den Nutzen eines
Flash-Speichers zu erklären oder Algorithmen zu entwickeln. Das zeigt sich
beispielhaft im Kanton Thurgau: Hier wird der Lehrplan im August eingeführt,
mit einer Umsetzungsfrist von vier Jahren. Wer aber an der Pädagogischen
Hochschule (PH) diesen Sommer das Studium abschliesst, wurde noch nicht in
Informatik ausgebildet, es sei denn, er oder sie entschied sich im frei
wählbaren Bereich dafür.
Die mangelnde Qualifikation der Thurgauer Lehrerinnen und Lehrer ist ein
Grund dafür, dass das Amt für Volksschule den Schulen im Kanton empfiehlt,
Informatik erst ab dem Sommer 2019 zu unterrichten. Das Problem besteht aber
schweizweit, insbesondere bei jenen Lehrpersonen, die nicht der «digital
native»-Generation angehören. Und das sind viele: Laut einer Erhebung des
Bundesamts für Statistik sind fast zwei Drittel der hiesigen
Primarschullehrkräfte älter als 40. 82 Prozent von ihnen sind Frauen. Diese
Lehrkräfte für den Informatikunterricht fit zu machen, sei eine «enorme
Herausforderung», sagt Beat Zemp, Präsident des Dachverbands der Schweizer
Lehrerinnen und Lehrer.
Der Kampf um Lektionen
Ein weiterer Knackpunkt in der Umsetzung des Lehrplans ist die Frage der
Lektionen. Im Thurgau hat es die Informatik auf den Stundenplan geschafft: Bis
zur vierten Klasse sollen die Schüler Tastaturschreiben im Deutsch oder
Excel-Tabellenkalkulation in der Mathe lernen, in der fünften und sechsten
Klasse ist dann je eine eigene Lektion für den Medien -und Informatikunterricht
reserviert. Das ist aber nicht in allen Kantonen so, denn bei bestehenden
Fächern Lektionen zu streichen, ist eine heikle Aufgabe. Im Thurgau hätten
eigentlich die durch die Abschaffung des Frühfranzösisch frei werdenden
Lektionen der Informatik zugute kommen sollen. Wenn die Fremdsprache nun aber
doch auf der Primarstufe bestehen bleibt – das Kantonsparlament entscheidet
Anfang Mai darüber –, muss in der fünften Klasse eine Lektion Gestalten und in
der sechsten eine Lektion Deutsch dem neuen Modul weichen.
Der Kanton Luzern hat dieses Problem umgangen. Hier findet der
Unterricht über alle sechs Schuljahre hinweg, integriert in anderen Fächern,
statt. Kritiker befürchten, dass durch das fehlende Zeitgefäss wenig «reine»
Informatik, zum Beispiel Programmieren, gelehrt wird. Auch Beat Zemp findet die
Luzerner Lösung nicht zielführend: «In der fünften und sechsten Klasse muss man
nicht nur Anwenderkenntnisse vermitteln, sondern auch erklären, was ein
Programm und was ein Algorithmus ist. Dafür braucht es ausgewiesene Stunden in
der Wochentafel», sagt er.
Auch eine Frage der Infrastruktur
Wie schwierig es ist, die Lernziele in der Informatik zu erreichen,
zeigt ein Blick in den Kanton Baselland. Hier unterrichten die Primarschulen
seit Sommer 2015 nach dem neuen Lehrplan. In Bezug auf die Informatik sei aber
noch viel Arbeit zu leisten, sagt Lukas Dettwiler. Er leitet die Abteilung der
Bildungsdirektion, welche für die IT-Bildung zuständig ist. Weil Informatik
bisher in der Ausbildung der Lehrpersonen nicht vorkam und in Baselland (wie in
Luzern) überfachlich unterrichtet werden müsse, hänge viel von den einzelnen
Lehrpersonen ab: «Wenn sie die Informatik nicht als wichtig erachten oder noch
wenig Kompetenzen darin haben, findet der Unterricht noch nicht im vorgesehenen
Umfang statt», sagt Dettwiler.
Wird Informatik also auch künftig mehr zufällig als systematisch
gelehrt? Bei der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz, die den
Lehrplan 21 erarbeitet hat, winkt man ab. Harmonisieren heisse, dass man sich
annähere – und nicht, dass alle Schüler genau das gleiche lernen müssten, erklärt
Geschäftsleiter Christoph Mylaeus. Dass aber noch viel gehen muss, bis die
Volksschule in den digitalen Modus wechselt, hat er erfahren, als er vor Kurzem
vor der Lehrerschaft einer Schule einen Vortrag zum Lehrplan 21 gehalten hat.
Die Lehrer sollten – wie künftig ihre Schüler – das eigene Notebook mitbringen
und online auf den Lehrplan zugreifen. Nur: Die Schule hatte kein WLAN.
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