17. April 2017

Kindergärtnerin - ein Teilzeitjob?

Der ab dem kommenden Sommer geltende Berufsauftrag mit seinem neuen Arbeitszeitmodell bringt die Zürcher Kindergärtnerinnen in Rage. Neu wird ihr Unterrichtspensum nicht mehr in Stunden, sondern in Lektionen von 45 Minuten berechnet. Und neu werden sie nicht mehr mit einem Beschäftigungsgrad von 100 Prozent in der Lohnkategorie I eingereiht, sondern in der höheren Lohnklasse II, aber nur mit einem Beschäftigungsgrad von 88 Prozent.
Kindergärtnerinnen fühlen sich benachteiligt, NZZ, 15.4. von Walter Bernet


Der Kindergärtnerinnenberuf – ein Teilzeitjob? Und das ausgerechnet nachdem die Kindergärten zum offiziellen Teil der Volksschule gemacht worden sind, weil man ihre Schlüsselstellung für den künftigen Schulerfolg der Kinder erkannt hat? Der Verband Kindergarten Zürich (VKZ) hat genau diese Frage am Mittwoch zum Thema einer Veranstaltung im Zürcher Volkshaus gemacht. 350 Kindergärtner und Kindergärtnerinnen sind der Einladung gefolgt, ihre Anliegen in Workshops zu formulieren und anschliessend darüber mit Bildungsdirektorin Silvia Steiner zu diskutieren, die sich auf einem von René Donzé («NZZ am Sonntag») geleiteten Podium zusammen mit der Erziehungswissenschafterin Margrit Stamm, dem langjährigen Wädenswiler Schulpräsidenten und Stadtrat Johannes Zollinger und der Küsnachter Kindergärtnerin Ursina Zindel den drängenden Problemen stellte.

Dabei geriet Steiner von Anfang an in die Defensive. Ihr Versuch, die 88-Prozent-Anstellung als zurzeit einzig mögliche technische Lösung angesichts des Wegfalls einer eigenen Lohnkategorie darzustellen, stiess nicht auf eben viel Verständnis. «Ich muss damit arbeiten, auch wenn Sie es als mangelnde Wertschätzung sehen», sagte Steiner zu den Anwesenden. «Es handelt sich um eine Besoldungseinteilung und heisst nicht, dass Sie nur zu 88 Prozent arbeiten.» Der Hintergrund der Aufregung ist eine beim Bundesgericht hängige Lohnklage gegen die alte Regelung, welche die Kindergärtnerinnen als diskriminierend anfochten, allerdings bisher ohne Erfolg. Ziel ist es, den Primarlehrkräften gleichgestellt zu werden. Schon heute besteht der Kindergärtnerinnenlohn aus 87 Prozent der Lohnkategorie II, eine finanzielle Verschlechterung bringt die Neuregelung nicht. Ungelöst sind allerdings die Fragen, die sich aus dem tieferen Beschäftigungsumfang bei den Sozialversicherungen ergeben. Steiner zeigte sich bereit, darüber im regelmässigen Gespräch mit dem VKZ zu bleiben.

Bezüglich der Gleichwertigkeit der Arbeit von Kindergarten- und Primarlehrkräften nahm Margrit Stamm dezidiert Stellung. In der Forschung sei diese absolut unbestritten. Kindergärtnerinnen seien die Spezialistinnen für die Entwicklung der grundlegenden Kompetenzen intellektueller, sozialer und vor allem auch emotionaler Art ihrer immer jünger und heterogener gewordenen Schützlinge. Gerade dafür seien die im Berufsauftrag unverständlicherweise nicht mehr als Unterrichtszeit geltenden «begleiteten Pausen» zentral. Auch Johannes Zollinger hielt fest, dass die neue Berechnung der Kindergarten-Unterrichtszeit in Lektionen ein Grundfehler sei. Kindergärtnerinnen unterrichteten de facto mehr als die 28 Lektionen der Primarlehrkräfte.

Frühförderung verstärken

Angesichts immer häufiger werdender Probleme mit Entwicklungsrückständen und Verhaltensauffälligkeiten gehören kleinere Klassen, genügend Halbklassenunterricht, zwei Lehrpersonen pro Klasse oder Klassenassistenzen zu den wichtigen Forderungen der Lehrkräfte. Steiner anerkannte, dass viele Eltern in manchen Bereichen die notwendigen Erziehungsleistungen nicht mehr erbrächten. Sie forderte die Schulen auf, die Kindergärten besser einzubinden und ihnen die Instrumente der Unterstützung, welche den Klassenlehrkräften zur Verfügung stünden, ebenfalls anzubieten. Da gebe es aber ein Problem mit dem Geld, mahnte Zollinger aus der Sicht der Gemeinden. Er schlug vor, dass wenigstens am Vormittag eine zweite Person, zum Beispiel eine Klassenassistentin, präsent sein soll.

Nicht entschärft ist damit die generelle Belastung der Kindergärtnerinnen am Anfang der Schulkarrieren. Sie sind es, die die Eltern mit dem Schulsystem erst einmal vertraut machen und jedes Jahr für neue Kinder all die Abklärungen einleiten, die Voraussetzung für spätere unterstützende Massnahmen sind. Steiner verwies auf die laufende Prüfung einer Verstärkung der Frühförderung. Dabei liess sie sich relativ weit auf die Äste hinaus und zeigte grosse Sympathien für das in Basel praktizierte Modell, das unter anderem Sprachstandserhebungen ab drei Jahren und frühe obligatorische Deutsch-Förderung vorsieht. Stamm unterstützte Steiner sehr: Studien hätten gezeigt, dass die Verhaltensprobleme von Kindern beim Eintritt in den Kindergarten schon mit drei Jahren festzustellen seien.

Die Kindergärtnerinnen wollen weiterhin «wie Löwinnen» für ihre Anliegen kämpfen. Am Ende der Veranstaltung wurde eine Resolution mit den zentralen Forderungen verabschiedet.


1 Kommentar:

  1. LESERBRIEF an die NZZ gesandt:
    Die Abstufung der Kindergärtnerinnen hat sehr wohl finanzielle Auswirkungen, z.B. wird die Altersentlastung gestrichen. Ich kenne eine Kindergärtnerin, die deswegen im Jahr Fr. 10’000.– weniger Lohn erhält. Die Kindergärtnerinnen werden an der PH gleich ausgebildet, wie die Lehrerinnen (obschon das Zürcher Stimmvolk die Grundstufe abgelehnt hat!), sollen aber weniger verdienen. Ausserdem wollen die PH Rektoren, dass auch die Kindergärtnerinnen den Master machen müssten. Wer wird mit der gleichen Ausbildung wie die Primarlehrer in Zukunft noch den harten Beruf der Kindergärtnerin ausüben, wenn man dabei weniger verdient? Schon heute gibt es keine Heilpädagoginnen auf der Kindergartenstufe, weil eine Heilpädagogin dort weniger verdient.

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