Die Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen ist nicht nur ziemlich wirkungslos. Sie erreicht oft sogar eher das Gegenteil.
Begeisterte Formel-1-Fans trotz autofreier Erziehung, NZZaS, 16.4. von Monika Bütler
Osterstau
– das wenigstens nicht. Mein Vater ersparte uns glücklicherweise die Fahrten
mit Tempo null in den Süden. Lieber hörte er am Radio «Chömed guet hei», die
LiveStau und TrostSendung für jene, die wieder einmal Ostern auf der
Alpennordseite im Schneeregen verbracht hatten.
Von Autofahrten blieben wir
allerdings nicht verschont. Dank meiner ausgeprägten Reiseübelkeit – und
unterstützt durch die aufkeimende Umweltschutzbewegung der siebziger Jahre –
kam das Auto in meiner GymiZeit zuoberst auf die Negativliste: Nie ein Auto,
nie heiraten, nie Kinder, nie Schreiben, nie HSG.
Auf der Negativliste
geblieben ist das Auto bis heute. Die Prüfung machte ich contre cœur erst mit
35 Jahren in den USA, wo selbst die Verkaufsstelle für ein Busbillett nur per
Auto erreichbar war. Wäre mein Mann auf einer 700 Kilometer langen Reise von
Virginia nach Ohio nicht nach 20 Kilometern krank geworden, ich wäre nie
halbwegs fahrtüchtig geworden. Unsere Buben wuchsen später ohne Auto auf. Der
ältere bestieg erstmals ein Auto, als ihn mein Mann nachts um zwei mit dem Taxi
ins Kinderspital bringen musste. Stolz (und gesund) kam er heim: «Mama: Pete
brrumm!»
«Wir wollen auch mal Auto fahren!», skandierten die Kleinen, sobald
sie zu zweit und genügend meinungsstark waren. Begeistert bestiegen sie einige
Zeit später in den Ferien das Mietauto. Nach fünf Minuten fragte der Jüngere:
«Geht’s noch weit?» Weitere fünf Minuten später lagen sie sich schreiend in den
Haaren; dann musste sich der Ältere übergeben. Nach weiteren Fahrten nach
demselben Muster war das Thema Auto erledigt. Unsere Erziehung hatte, so schien
es, Früchte getragen. Seit Jahren fahren wir sogar in die Skiferien ohne Brrumm
– und ohne Klage der Junioren.
Als die beiden, mittlerweile Teenager, plötzlich
von Gokart sprachen, dachten wir nichts Böses. Unlängst aber deklarierten sie,
was jetzt ihr wirklicher Lieblingssport sei: Formel 1. Autorennen.
Ausgerechnet! Ein junger Mann, der unter der Woche nur mit dem Presslufthammer
aufzuwecken, am Wochenende kaum vor Mittag zu sehen, geschweige denn
ansprechbar ist, kann plötzlich am Sonntag um 7 Uhr früh ohne Wecker putzmunter
dastehen, um irgendeinen asiatischen Grand Prix zu sehen.
Mein Mann seufzte:
«15 Jahre autofrei, und doch nützt das Vorbild nichts.» Das war vor einigen Wochen.
Seither haben sich meine drei Männer einen Film auf DVD über Ayrton Senna
angesehen. Letzten Sonntag früh wiederum Grand Prix. Der Ältere,
NeuFrühaufsteher, in Pole Position auf dem Sofa. Daneben – mein Mann: «Was sind
SuperSoft?... Hat der touchiert?... Wow, so cool!!»
Da sitzen sie nun zu dritt
und sehen friedlich, wie die Brummer ihre Runden ziehen. Sollte ich mir Sorgen
machen? Mindestens hätte ich es wissen müssen. Vor einiger Zeit plagte mich die
Frage, ob sich junge Menschen von Erziehern oder Dozentinnen ideologisch
beeinflussen lassen. Das Fazit der vorhandenen Studien: Entgegen
weitverbreiteten Ängsten sind die Jungen ziemlich immun. Wenn überhaupt, geht
der Effekt eher in die andere Richtung: Wer seine Studenten zu einer Meinung
konvertieren will, erntet mehr Widerstand als Zustimmung.
Weshalb sollte dies
beim eigenen Nachwuchs anders sein? AntiBrrrummEltern treiben einen fast in
die Formel 1. Erziehung läuft manchmal sogar im Rückwärtsgang, wie der bei PitStops
mitfiebernde Elternteil zeigt. Aber vielleicht sind Formel 1 und Osterstau
einfach bedrohtes Weltkulturerbe, das man vor dessen Untergang noch sehen kann.
Mit meinen Enkeln werde ich dereinst den OsterstauSimulator im Verkehrshaus
bewundern.
Monika Bütler ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der
Universität St.Gallen.
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