17. April 2017

Beeinflussung bewirkt oft Gegenteil

Die Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen ist nicht nur ziemlich wirkungslos. Sie erreicht oft sogar eher das Gegenteil.
Begeisterte Formel-1-Fans trotz autofreier Erziehung, NZZaS, 16.4. von Monika Bütler


Osterstau – das wenigstens nicht. Mein Vater ersparte uns glücklicherweise die Fahrten mit Tempo null in den Süden. Lieber hörte er am Radio «Chömed guet hei», die Live­Stau­ und ­Trost­Sendung für jene, die wieder einmal Ostern auf der Alpennordseite im Schneeregen verbracht hatten. 

Von Autofahrten blieben wir allerdings nicht verschont. Dank meiner ausgeprägten Reiseübelkeit – und unterstützt durch die aufkeimende Umweltschutzbewegung der siebziger Jahre – kam das Auto in meiner Gymi­Zeit zuoberst auf die Negativliste: Nie ein Auto, nie heiraten, nie Kinder, nie Schreiben, nie HSG. 

Auf der Negativliste geblieben ist das Auto bis heute. Die Prüfung machte ich contre cœur erst mit 35 Jahren in den USA, wo selbst die Verkaufsstelle für ein Busbillett nur per Auto erreichbar war. Wäre mein Mann auf einer 700 Kilometer langen Reise von Virginia nach Ohio nicht nach 20 Kilometern krank geworden, ich wäre nie halbwegs fahrtüchtig geworden. Unsere Buben wuchsen später ohne Auto auf. Der ältere bestieg erstmals ein Auto, als ihn mein Mann nachts um zwei mit dem Taxi ins Kinderspital bringen musste. Stolz (und gesund) kam er heim: «Mama: Pete brrumm!» 

«Wir wollen auch mal Auto fahren!», skandierten die Kleinen, sobald sie zu zweit und genügend meinungsstark waren. Begeistert bestiegen sie einige Zeit später in den Ferien das Mietauto. Nach fünf Minuten fragte der Jüngere: «Geht’s noch weit?» Weitere fünf Minuten später lagen sie sich schreiend in den Haaren; dann musste sich der Ältere übergeben. Nach weiteren Fahrten nach demselben Muster war das Thema Auto erledigt. Unsere Erziehung hatte, so schien es, Früchte getragen. Seit Jahren fahren wir sogar in die Skiferien ohne Brrumm – und ohne Klage der Junioren. 

Als die beiden, mittlerweile Teenager, plötzlich von Gokart sprachen, dachten wir nichts Böses. Unlängst aber deklarierten sie, was jetzt ihr wirklicher Lieblingssport sei: Formel 1. Autorennen. Ausgerechnet! Ein junger Mann, der unter der Woche nur mit dem Presslufthammer aufzuwecken, am Wochenende kaum vor Mittag zu sehen, geschweige denn ansprechbar ist, kann plötzlich am Sonntag um 7 Uhr früh ohne Wecker putzmunter dastehen, um irgendeinen asiatischen Grand Prix zu sehen. 

Mein Mann seufzte: «15 Jahre autofrei, und doch nützt das Vorbild nichts.» Das war vor einigen Wochen. Seither haben sich meine drei Männer einen Film auf DVD über Ayrton Senna angesehen. Letzten Sonntag früh wiederum Grand Prix. Der Ältere, NeuFrühaufsteher, in Pole Position auf dem Sofa. Daneben – mein Mann: «Was sind SuperSoft?... Hat der touchiert?... Wow, so cool!!» 

Da sitzen sie nun zu dritt und sehen friedlich, wie die Brummer ihre Runden ziehen. Sollte ich mir Sorgen machen? Mindestens hätte ich es wissen müssen. Vor einiger Zeit plagte mich die Frage, ob sich junge Menschen von Erziehern oder Dozentinnen ideologisch beeinflussen lassen. Das Fazit der vorhandenen Studien: Entgegen weitverbreiteten Ängsten sind die Jungen ziemlich immun. Wenn überhaupt, geht der Effekt eher in die andere Richtung: Wer seine Studenten zu einer Meinung konvertieren will, erntet mehr Widerstand als Zustimmung. 

Weshalb sollte dies beim eigenen Nachwuchs anders sein? Anti­Brrrumm­Eltern treiben einen fast in die Formel 1. Erziehung läuft manchmal sogar im Rückwärtsgang, wie der bei Pit­Stops mitfiebernde Elternteil zeigt. Aber vielleicht sind Formel 1 und Osterstau einfach bedrohtes Weltkulturerbe, das man vor dessen Untergang noch sehen kann. Mit meinen Enkeln werde ich dereinst den Osterstau­Simulator im Verkehrshaus bewundern. 

Monika Bütler ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität St.Gallen.

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