11. April 2017

Berufs- und lebensorientiert statt ideologisch

Der Churer Stadtrat Patrik Degiacomi (SP) hat es letzte Woche im Gemeinderat auf den Punkt gebracht – Anlass war die Debatte zu zweisprachigen Klassen Deutsch/Englisch an der Stadtschule. Seine Kurzfassung: Unternehmer betonen zwar die Wichtigkeit der globalen Fremdsprache, erachten aber die teils unbefriedigende Kompetenz in der Erstsprache als grösseres Problem. Seine Gespräche mit der Wirtschaft führten den neuen Vorsteher der städtischen Bildung zum Schluss, den Fokus künftig vermehrt auf Deutsch und auf die ebenfalls geforderte Stärkung der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) zu legen. Diese Sichtweise vertritt auch Peter Kamber (SVP). Der neue Präsident der städtischen Bildungskommission legte seine Position kürzlich im «Churer Magazin» dar. Zwei politische Polvertreter, die zum selben Fazit kommen und dieses öffentlich vertreten. Eine seltene Wohltat. Degiacomi und Kamber haben nämlich recht. Wer dann und wann die Gelegenheit hat, Vertretern von KMU und Eltern zuzuhören, kommt unweigerlich auf den Gedanken, dass die Volksschule sich je länger desto mehr schwer tut, ihre Hauptaufgabe wahrzunehmen: Kinder auf Beruf und Leben vorzubereiten. Längere, komplexere Texte werden nicht mehr verstanden, geschweige denn einleuchtend verfasst. Dabei ist die Beherrschung der Muttersprache ein zentrales Element zur eigenverantwortlichen Bewältigung des (beruflichen) Alltags. Die mangelnde Fähigkeit, logisch Denken zu können, offenbart Defizite in mathematischen und geometrischen Grundkenntnissen. So erzählen Unternehmer, dass Lehrlinge oder Studenten oft nicht einmal einen einfachen Dreisatz anwenden können. Stellen sich ihnen kleine praktische Hürden in den Weg, sind sie überfordert, diese schlüssig zu umgehen oder zu beseitigen.
Über die Volksschule und den Lehrplan 21, Bündner Tagblatt, 11.4. von Enrico Söllmann


Die Gründe hierfür sind wohl in einem überfrachteten, praxisfernen Unterricht zu suchen. Mehrere Churer Gemeinderäte hoben bei der erwähnten Diskussion die Wichtigkeit «wieder einkehrender Ruhe» im Bildungswesen hervor. Weniger ist manchmal durchaus mehr. So darf die integrative Förderung mit ihren Heilpädagogen nicht zulasten leistungsstarker Kinder mit deutscher Muttersprache gehen. Zu überlegen ist ferner, ob es nicht sinnvoller wäre, den Fremdsprachenunterricht integral auf die Oberstufe zu verlegen. Die Lehrpersonen sollen von unnötiger Bürokratie entlastet und sich auf ihre Kernkompetenz konzentrieren können: Unter Disziplin und Ordnung in der Klasse der Schülerschaft Wissen und Können vermitteln. Eltern und Wirtschaft sollen am Ende aussagekräftige und vergleichbare Zeugnisse in den Händen halten können.

Der Lehrplan 21 geht in die entgegengesetzte Richtung, wird er strikte umgesetzt. Eine nationale Abstimmung darüber gab es nicht; in einzelnen Kantonen scheiterten die Gegner aber gegen das Reformprojekt. Trotzdem drängt sich die Frage auf, inwieweit der auf europäischen Standards und UNO-Vorgaben basierende Lehrplan 21 den akademischen Weg gegenüber dem Berufsbildungsweg bevorzugt. Die Schweizer Berufslehre gilt auch im Ausland, das teils hohe zweistellige Zahlen in der Jugendarbeitslosigkeit ausweist, zurecht als Erfolgsmodell. Graubünden kann in naher Zukunft eine konstruktive Diskussion über die Volksschule führen. Gelegenheit dazu bietet die Mitte März mit über 8000 Unterschriften eingereichte Doppelinitiative «Mitspracherecht bei wichtigen Bildungsfragen» und «Mitsprache bei Lehrplänen». Letztere werden, so will es der Lehrplan 21, ideologische Eingriffe in die Privatsphäre (Gender, Sexualkunde, Kulturelle Identitäten, Ernährung) beinhalten. Nur die Spitze des Eisberges ist etwa ein Lehrmittel der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, das den Wert für sogenannte humanitäre Projekte erklären will. Dass Millionen von Geldern in hochkorrupten Staaten versanden, wird verschwiegen. Wollen wir nicht stattdessen eine Schule, die die Privatsphäre achtet, selbstständiges Denken sowie Eigenverantwortung fördert und optimal auf Beruf und Leben vorbereitet? Die Alternative hatte die frühere BT-Kolumnistin Regula Stämpfli in der «Basler Zeitung» formuliert: «Der Lehrplan 21 zielt dahin, die Urteilskraft durch die Schwächung jedes Ichs aufzulösen. Denn gefestigte Ichs sind frei. Und damit eine Gefahr für die Herrschenden.»
«Weniger ist manchmal durchaus mehr»


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