16. März 2017

"Plemplem" oder Ausländer

Der Allianz aus Verwaltung, Politik und Wissenschaft sollte ein wie immer dotierter Innovationspreis in Sachen «Wie akquiriere ich gewinnbringende Aufträge» zugesprochen werden. Ein eindrückliches Dokument hierfür ist derzeit ein sogenannter AHB-Entwurf, der in den Lehrerzimmern herumgeistert.
"Plemplem" oder Ausländer, Bieler Tagblatt, 13.3. von Alain Pichard
Die Konsultationsversion der "Allgemeinen Hinweise und Bestimmungen", Erziehungsdirektion Kt. Bern, 10.1. 2017

«AHB» heisst «Allgemeine Hinweise und Bestimmungen» und soll den Schulen die Handhabung mit dem neuen Lehrplan erklären. Als Autoren zeichnen vier Damen und ein Mann, welche in der Erziehungsdirektion des Kantons Bern tätig sind. Dass 45-seitige Dokument (3 Seiten bestehen nur schon aus Erklärungen für die verwendeten Abkürzungen) hat es in sich. Und leider lesen es die Lehrer nicht.

Zugegeben, allein schon sprachlich ist dieses gestelzte und mit Plattitüden durchsetzte Dokument eine Zumutung. Aber diese praxisferne Wunschprosa ist natürlich auch eine Fundgrube für den Kolumnisten. Hier einige Müsterchen: Für uns Praktiker ist die Integrationsarbeit ein wesentlicher Teil unserer Profession. Die AHB ruft uns aber das Heer von Experten, Therapeuten, Evaluationsfachleuten oder Systemberatern in Erinnerung, die bei diesem grossen Vorhaben auch noch berücksichtigt werden müssen.

Das läuft dann so: Wenn das Kind nicht rechnen kann, lautet der Förderplan bei uns meistens: Es muss mehr Rechnen üben. Damit das nicht so banal klingt, braucht es eine Sozialpädagogin, die das Kind betreut, eine Schulpsychologin, die sich dem Grundproblem widmet, und eine Heilpädagogin, welche die Förderempfehlungen in Förderpläne umsetzt. Das Ganze nennt man dann Förderdiagnostik. Die Expertinnen werden dann von Fachstellen gebündelt, die Vorgehensweise in Netzgesprächen vor- und nachevaluiert! Auf Seite 25 steht: «Grundansprüche können am Zyklusende eingeschätzt werden und entsprechen dann mindestens einer genügenden Leistung.»


Mit anderen Worten, ungenügende Noten darf es nicht mehr geben. Der verdutzte Praktiker fragt sich natürlich, was denn passiert, wenn trotzdem ein Schüler die Grundansprüche nicht erreicht. Die Antwort folgt elf Seiten später und heisst «Nachteilsausgleich». Da ist die Rede von wichtigen Benachteiligungen, die durch Sonderförderung ausgeglichen werden sollen: Dazu gehören Körper- oder Sinnesbehinderungen, Autismus-Spektrum-Störungen, ein Neuzuzug aus einem Land oder einer Region mit einem anderen Schulsystem oder bei längerem Fernbleiben vom Unterricht wegen Krankheit. Die Schulleitungen ziehen für die Abklärungen und Gutachten Fachstellen bei. Das wiederum generiert Aufträge für Hirnforscher und Psychologen und sorgt für immer neue speziell zu betreuende Kategorien von Schülern. Mit anderen Worten: Wer eine 3 in Mathematik hat, muss entweder «plemplem» sein oder aus dem Ausland kommen!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen