Der
Allianz aus Verwaltung, Politik und Wissenschaft sollte ein wie immer dotierter
Innovationspreis in Sachen «Wie akquiriere ich gewinnbringende Aufträge»
zugesprochen werden. Ein eindrückliches Dokument hierfür ist derzeit ein
sogenannter AHB-Entwurf, der in den Lehrerzimmern herumgeistert.
"Plemplem" oder Ausländer, Bieler Tagblatt, 13.3. von Alain Pichard
Die Konsultationsversion der "Allgemeinen Hinweise und Bestimmungen", Erziehungsdirektion Kt. Bern, 10.1. 2017
Die Konsultationsversion der "Allgemeinen Hinweise und Bestimmungen", Erziehungsdirektion Kt. Bern, 10.1. 2017
«AHB»
heisst «Allgemeine Hinweise und Bestimmungen» und soll den Schulen die
Handhabung mit dem neuen Lehrplan erklären. Als Autoren zeichnen vier Damen und
ein Mann, welche in der Erziehungsdirektion des Kantons Bern tätig sind. Dass
45-seitige Dokument (3 Seiten bestehen nur schon aus Erklärungen für die
verwendeten Abkürzungen) hat es in sich. Und leider lesen es die Lehrer nicht.
Zugegeben,
allein schon sprachlich ist dieses gestelzte und mit Plattitüden durchsetzte
Dokument eine Zumutung. Aber diese praxisferne Wunschprosa ist natürlich auch
eine Fundgrube für den Kolumnisten. Hier einige Müsterchen: Für uns Praktiker
ist die Integrationsarbeit ein wesentlicher Teil unserer Profession. Die AHB
ruft uns aber das Heer von Experten, Therapeuten, Evaluationsfachleuten oder
Systemberatern in Erinnerung, die bei diesem grossen Vorhaben auch noch
berücksichtigt werden müssen.
Das
läuft dann so: Wenn das Kind nicht rechnen kann, lautet der Förderplan bei uns
meistens: Es muss mehr Rechnen üben. Damit das nicht so banal klingt, braucht
es eine Sozialpädagogin, die das Kind betreut, eine Schulpsychologin, die sich
dem Grundproblem widmet, und eine Heilpädagogin, welche die Förderempfehlungen
in Förderpläne umsetzt. Das Ganze nennt man dann Förderdiagnostik. Die
Expertinnen werden dann von Fachstellen gebündelt, die Vorgehensweise in
Netzgesprächen vor- und nachevaluiert! Auf Seite 25 steht: «Grundansprüche
können am Zyklusende eingeschätzt werden und entsprechen dann mindestens einer
genügenden Leistung.»
Mit
anderen Worten, ungenügende Noten darf es nicht mehr geben. Der verdutzte
Praktiker fragt sich natürlich, was denn passiert, wenn trotzdem ein Schüler
die Grundansprüche nicht erreicht. Die Antwort folgt elf Seiten später und
heisst «Nachteilsausgleich». Da ist die Rede von wichtigen Benachteiligungen,
die durch Sonderförderung ausgeglichen werden sollen: Dazu gehören Körper- oder
Sinnesbehinderungen, Autismus-Spektrum-Störungen, ein Neuzuzug aus einem Land
oder einer Region mit einem anderen Schulsystem oder bei längerem Fernbleiben
vom Unterricht wegen Krankheit. Die Schulleitungen ziehen für die Abklärungen
und Gutachten Fachstellen bei. Das wiederum generiert Aufträge für Hirnforscher
und Psychologen und sorgt für immer neue speziell zu betreuende Kategorien von
Schülern. Mit anderen Worten: Wer eine 3 in Mathematik hat, muss entweder
«plemplem» sein oder aus dem Ausland kommen!
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