30. März 2017

Mundart-Initiative nicht konsequent umgesetzt

«Was haben wir heute für einen Wochentag?» fragt die Kindergärtnerin. Die Knirpse kennen die Antwort nicht. «Heute ist Dienstag», sagt Tanja Janezic. «Und wie ist das Wetter? Schaut mal zum Fenster hinaus. Wo hat sich die Sonne versteckt?»Neun Uhr morgens im Klotener Kindergarten Feld.
"Drülle, drülle, s'isch nöd schwär...". Bild: Leo Wyden
"Dienstag" statt "Ziischtig" in der Kindergartenrunde, Zürcher Unterländer, 29.3. von Andrea Söldi

Während des Morgenrituals, bei der die Kinder im Kreis versammelt sind, spricht die Lehrerin vorwiegend Hochdeutsch. Hochdeutsch? Gilt im Kanton Zürich nicht die Vorgabe, dass im Kindergarten Mundart gesprochen wird?

Am 15. Mai 2011 hat die Stimmbevölkerung eine entsprechende Initiative mit einem Mehr von 54 Prozent gutgeheissen. Dies nach heftigen Diskussionen. Mundart sei kindgerecht und Teil unserer Kultur, argumentierten die Initianten – darunter zahlreiche Kindergärtnerinnen sowie Politiker verschiedener Parteien.

Derweil erinnerten die Gegner an die zahlreichen fremdsprachigen Kinder, für die das Erlernen beider Varianten eine noch grössere Hürde darstelle. Studien hätten zudem gezeigt, dass Hochdeutsch das spätere Lesen und Schreiben begünstigt.
Das Abstimmungsresultat sei eine «schallende Ohrfeige für weltfremde Bildungsverantwortliche», triumphierte das Initiativkomitee nach seinem Sieg. 2008 hatte der Bildungsrat im Rahmen des neuen Lehrplans beschlossen, dass Kindergärtnerinnen mindestens zu einem Drittel Hochdeutsch unterrichten müssen.

Ein weiteres Drittel sollte in Mundart erfolgen und der Rest stand ihnen frei. Auch der Kantonsrat hatte sich gegen die Mundart als Hauptsprache ausgesprochen. Somit trat die Drittelsregelung im August 2008 inkraft, wurde aber vier Jahre später wegen des Volksentscheids rückgängig gemacht.

Singen und trösten im Dialekt
Nun steht die Klasse des Klotener Kindergartens Feld vom Stuhl auf, marschiert im Kreis und singt: «Drülle, drülle, s’isch nöd schwär...» Danach erklärt Kindergärtnerin Tanja Janezic die Aufgabe: «Malt den Schmetterling aus. Nachher dürft ihr mit der Nadel in die Punkte stüpferle.» Bei Liedern sowie hierzulande verbreiteten Begriffen wähle sie bewusst Dialekt, sagt Janezic. Auch während des freien Spiels oder wenn sie etwa ein Kind tröstet, kommt Mundart zum Zug: «Nämmet d’Fötzeli zämme und versorget d’Chörbli.»

Auch die Kinder untereinander reden miteinander meist so etwas wie Dialekt, wobei in dieser Klasse nur ein einziges zuhause Schweizerdeutsch spricht. Alle anderen sind verschiedenster Nationalitäten: tamilisch, syrisch, albanisch und vieles mehr. Es handelt sich um eine sogenannte Quims-Schule: Das Programm namens «Qualität in multikulturellen Schulen» gewährt Schulen mit vielen Fremdsprachigen und unteren Sozialschichten spezielle Unterstützung.

Kloten habe die Mundart im Kindergarten nach der Abstimmung nicht explizit wieder eingeführt, sagt Elsbeth Fässler, Leiterin Bereich Bildung und Kind. Nach einer Besprechung mit den Schulleitenden sei man damals zum Schluss gekommen, dass dies vor allem wegen der hohen Zahl an fremdsprachigen Kindern nicht sinnvoll wäre, erklärt Fässler: «Uns sind in erster Linie gute Chancen für unsere Kinder wichtig.» Deshalb passe man sich deweils der speziellen Situation an. Ausserdem beschäftigt die Flughafenstadt einige deutsche Kindergärtnerinnen, die gar keinen Schweizer Dialekt beherrschen.

Aufträge widersprechen sich
Ähnlich geht die Schule Rümlang mit dem Thema um: Im Kreis überwiegt die Standardsprache, im Freispiel die Mundart. Schulpräsidentin Barbara Altorfer ist der Meinung, mit dieser Handhabung bewege man sich immer noch innerhalb der gesetzlichen Vorgaben. In Opfikon dagegen – ebenfalls eine Quims-Schule mit einem hohen Anteil an fremdsprachigen Kindern – sprechen die Kindergärtnerinnen konsequent Mundart.
Die Art, wie Schulgemeinden die kantonalen Vorgaben umsetzen, ist also unterschiedlich. Wie gross aber sind ihre Freiheiten? Ganz eindeutig seien die Richtlinien nicht, sagt Volksschulamt-Leiterin Marion Völger. Zwar hält ein Grundlagenpapier fest, dass Unterrichtssequenzen in Hochdeutsch möglich sind; sie sollen aber beschränkt sein auf Situationen mit klarem Bezug zur Hochsprache; dazu gehören etwa Verse, Lieder und Vorlesen.

Gleichzeitig sollen die Kinder aber auch auf den Übertritt in die Primarschule vorbereitet werden, wo Hochdeutsch gesprochen wird, und in der Lage sein, die beiden Varietäten zu unterscheiden. «Das sind zwei Anforderungen, die schwierig zu vereinbaren sind», sagt Völger. «Es gibt deshalb verschiedene Möglichkeiten, diesen Spagat zu meistern.»
Etwas weniger kulant gibt sich Samuel Ramseyer, der damals im Initiativ-Komitee war: «Wenn Lektionen im Kreis ausschliesslich auf Hochdeutsch abgehalten werden, entspricht das nicht dem Sinn der Initiative.» Der SVP-Kantonsrat aus Niederglatt bedauert, dass der Volkswille nicht konsequent umgesetzt werde.

Im Klotener Kindergarten Feld hat sich unterdessen Pippi Langstrumpf in den Kreis gesetzt. Auch sie spricht Hochdeutsch: «Da fehlen ja ein paar Kinder», stellt die Stoffpuppe fest. «Kann jemand zählen, wie viele hier sind?» Nach dieser schwierigen Aufgabe brauchen die Knirpse noch etwas Bewegung. Sie stehen auf, klatschen sich gegenseitig in die Hände und singen begeistert: «Mir sind alli mitenand da im Müsliland.»


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