Demnächst
präsentieren Firmen an einer Reihe von Berufsbildungsanlässen Schülerinnen und
Schülern ihr Angebot an Berufslehren. Mit aufgebaut hat einige dieser
Veranstaltungen Lehrstellenförderer Urs Schmid. Jetzt geht er in Pension. Zuvor
erläutert er im Interview, wo die Berufsbildung im Kanton Solothurn heute steht
und benennt die Knackpunkte.
Konkrete Erlebnisse sollen zur Berufsfindung führen, Oltner Tagblatt, 19.3. von Elisabeth Seifert
Er war wesentlich beteiligt an der Gründung
mehrerer Berufsinformationsveranstaltungen, die sich einen festen Platz im
Solothurner Jahreskalender erobert haben (siehe Text unten). Mit
Berufsbildungsprojekten wie «Rent a Boss» erhalten Schülerinnen und Schüler
einen praktischen Einblick in die Arbeitswelt. Aktiv beteiligt war er am Aufbau
des Berufslernverbunds Thal-Mittelland, der es selbst kleinen Firmen
ermöglicht, Lehrstellen anzubieten. Jetzt geht er in Pension. Er hält Rückschau,
vor allem aber benennt er die Herausforderungen für die Berufsbildung im
Kanton.
Sie können entspannt in Pension gehen. In
Solothurn gibt es zurzeit mehr als genug Lehrstellen?
Urs
Schmid: Wir haben numerisch gesehen sogar zu viele Lehrstellen. Wir haben aber
nicht für jeden Schulabgänger eine Lehrstelle. Das kann aber auch nicht das
Ziel sein. Wir gehen ja davon aus, dass jeder junge Mensch sich seine
Lehrstelle selber sucht und nicht, dass wir ihm diese auf dem Silbertablett
servieren. Zu wenige Lehrstellen haben wir bei den zweijährigen
Attestausbildungen. Hier müssen wir noch Überzeugungsarbeit bei den Unternehmen
leisten. Wenn ein Betrieb zum Beispiel niemanden für die drei- oder vierjährige
Lehre findet, kann es durchaus Sinn machen, einen Attestlernenden anzustellen,
der dann vielleicht später noch die drei- oder vierjährige Berufsbildung
absolvieren kann.
Ist das nicht vor allem ein Wunsch der
Berufsbildung – und weniger der Wirtschaft?
Das
war eine Zeit lang so. Jetzt aber findet ein Umdenken statt. Die Wirtschaft hat
mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen und ist sich bewusst, dass sie ihren
Nachwuchs selbst ausbilden muss. Es wächst deshalb die Bereitschaft innerhalb
der Betriebe, schulisch vielleicht etwas weniger starke Schüler anzustellen und
diese dann sukzessive aufzubauen. Dass dies gelingen kann, zeigen etliche
Beispiele aus verschiedenen Branchen. Junge Leute können sich schulisch
entwickeln und öfters handelt es sich dabei um junge Leute mit grossen
manuellen Fähigkeiten.
Es ist für etliche Betriebe also alles andere
als einfach, gut qualifizierte Lernende für anspruchsvolle Lehrstellen zu
finden?
Bei
vielen Leuten hat die Kantonsschule nach wie vor einen hohen Stellenwert. Oder
auch eine weiterführende Schule wie die FMS. Gerade auch aufgrund der Tatsache,
dass wir zurzeit eher weniger Schulabgänger haben, ist es sehr wichtig, dass
wir Schüler und Eltern über die Möglichkeiten der Berufsbildung informieren.
Zusammen mit der Berufs- und Studienberatung haben wir deshalb jetzt begonnen,
an Elternabenden in der 5. und 6. Klasse den Eltern aufzuzeigen, dass eine
Berufslehre keine Sackgasse darstellt. Eine Lehre ist ein Einstieg in eine
mögliche Karriere. Den Schülern in den oberen Klassen wollen wir konkrete
Erlebnisse in der Berufswelt ermöglichen. Damit werden auch Gefühle
angesprochen. Darum geht es nämlich immer, um Gefühle und Emotionen.
Wie schaffen sie solche Erlebnisse?
Seit
einigen Jahren bereits führen wir den Transportlogistiktag im Gäu durch. Die
Schülerinnen und Schüler können aus zehn Berufen rund um die Logistikbranche
jeweils zwei auswählen und diese dann innerhalb eines halben Tages genauer
kennenlernen. Wenn auch nur für wenige Stunden: Die Schüler erleben hier sehr
konkret, wie die Berufswelt tickt. Im Sinne einer Weiterentwicklung haben wir
letztes Jahr im Juni erstmals die «Erlebnistage Beruf» durchgeführt. Orientiert
haben wir uns dabei an der gläsernen Werkstatt in Baden-Württemberg. Dabei
erhalten die Jugendlichen während jeweils eines Tages einen konkreten, physisch
erlebbaren Eindruck von einem oder mehreren Berufen. Für den Juni 2017 haben
sich bis jetzt 50 Betriebe angemeldet, das Ziel sind 100. Alle Schulen und
Lehrpersonen sind informiert.
Eine Herausforderung für die Betriebe ist
sicher auch, dass sich junge Leute heute nicht mehr einfach alles sagen lassen
…
Wir
stellen fest, dass gerade die Lernenden der drei- und vierjährigen Lehre vieles
hinterfragen. Sie sind kritisch in einem positiven Sinn. Die Unternehmen müssen
die jungen Leute ernstnehmen und ihnen das Gefühl geben, dass sie ein Teil des
Betriebs sind. Viele Betriebe haben begriffen, worum es geht. Eine schöne Geste
ist es zum Beispiel, die Jugendlichen zu einem Betriebsanlass einzuladen, auch
wenn sie ihre Lehre noch nicht begonnen haben.
Die strikte Ausrichtung der Sek P auf das
Gymnasium hat Ihre Arbeit wohl nicht gerade erleichtert?
Wir
hatten tatsächlich keine Freude daran, dass bei der Sek P das Thema
Berufsorientierung nicht eingebaut worden ist. Dabei wissen die jungen Leute in
diesem Alter oft noch gar nicht, welche Richtung sie später einschlagen wollen.
Wenn sie sich nach der zweiten Sek P für eine Lehre entscheiden, fallen sie
irgendwie zwischen Stuhl und Bank. In der dritten Sek E ist die Berufsfindung
bereits gelaufen. Wenig Sinn macht auch der Wechsel ans Gymnasium, wenn jemand
nach einem Jahr wieder geht. Jetzt ist man daran, Korrekturen vorzunehmen. Für
die Sek-P-Schüler wollen die beiden Kantonsschulen in Solothurn und Olten einen
Freikurs Berufsfindung aufbauen. Wirtschaftsleute und die Berufs- und
Studienberatung erhalten hier eine Möglichkeit, Sek-P-Schüler an die
Berufsorientierung heranzuführen. Diese Schüler können ihre obligatorische
Schulzeit dann problemlos mit der dritten Sek E beenden.
Gibt es solche Berufsfindungs-Freikurse auch
an den Sek-P-Standorten ausserhalb der Kantonsschulen?
Zurzeit
ist das nicht geplant. Solche formell eingerichteten Freikurse sind hier auch
weniger wichtig, weil hier ein gewisser informeller Austausch mit dem
Berufsfindungsunterricht der Sek E und Sek B stattfinden kann.
Was die Sek E und Sek B betrifft: Ausbilder
klagen immer wieder darüber, dass etliche Absolventen schulisch nicht genügen.
Was ist Ihre Einschätzung?
Sek
E und Sek B sind nicht mehr vergleichbar mit den früheren Abteilungen der
Sekundarstufe I. Das führt zu Unsicherheit bei vielen KMU. Generell stellen wir
fest, dass die Absolventen der Sek B vor allem in der Mathematik merkliche
Schwächen haben, aber auch im Deutsch und bei den Fremdsprachen. Innerhalb des
Berufslernverbunds Thal-Mittelland bin ich für die Auswahl der
Strassentransportfachleute zuständig. Das sind vor allem Sek B-Schüler. Beim
Eignungstest, den wir durchführen, erzielten die Oberschüler früher bessere
Resultate.
Ein
Drittel der Sek-B-Schüler findet nach der obligatorischen Schulzeit keine
Lehrstelle. Ist das nicht bedenklich?
Ja,
das ist bedenklich. Es gibt wohl verschiedene Ursachen dafür. Zum einen ist die
Arbeit des Sek-B-Lehrers sehr anspruchsvoll, er hat ein sehr breites
Leistungsspektrum in seiner Klasse. Zum anderen haben viele Sek-B-Schüler zu
hohe Ansprüche und überzeichnete Vorstellungen von ihren Fähigkeiten. Sie
bewerben sich auf die falschen Stellen und werden dann auf dem Lehrstellenmarkt
nicht fündig. Der Berufsfindungsunterricht genügt hier oft nicht, um den jungen
Leuten ein realistisches Bild von sich selbst und ihren Wunschberufen zu
vermitteln.
Welche Verbesserungen schlagen Sie vor?
Der
Berufsfindungsunterricht braucht eine hohe Orientierung an der Praxis. Vor
einigen Jahren zum Beispiel haben wir das Berufsbildungsmodul «Rent a Boss»
eingeführt, das von vielen Schulen sehr geschätzt wird. Die Lehrpersonen können
wählen zwischen der Bewerbungswerkstatt und der Fragerunde mit dem Boss. In der
Zwischenzeit sind wir ein Pool von 50 Bossen, die immer wieder angefragt
werden. Manchmal gehen wir zu zweit oder zu dritt in eine Klasse. Bei diesen
Gelegenheiten können wir den Schüler sehr praxisnah aufzeigen, worauf es
ankommt.
Etliche Sek-B-Schüler sind auf Brückenangebote
nach der obligatorischen Schulzeit angewiesen ...
Wir
haben heute zwei Brückenangebote, die sich in der Praxis sehr bewähren: der
Startpunkt Wallierhof und das Berufswahlvorbereitungsjahr in Olten. Letzteres ersetzt
die frühere Vorlehre, die ich im Kanton mitprägen durfte. Beide Angebote haben
sowohl einen schulischen Teil auch einen praktischen Teil in einem Betrieb. Die
beiden Brückenangebote haben einen guten Einfluss auf die Lernenden und auch
auf die Betriebe. Durch unsere Unterstützung konnten wir viele Betriebe dazu
bewegen, einen Ausbildungsplatz zu schaffen. Sie geben den jungen Leute so die
Möglichkeit, sich auf eine künftige Lehre einzustimmen und eine realistische
Sicht der Berufswelt zu erlangen. Als besonders sinnvoll erweisen sich die
Brückenangebote für junge Migranten. Sie können hier gewisse schulische
Defizite aufarbeiten.
Wie beurteilen Sie die steigenden
Anforderungen in der Berufswelt?
Stark
beschäftigt uns vor allem die Digitalisierung, die vor der Berufsbildung
natürlich nicht Halt macht. Die Digitalisierung macht mir manchmal etwas Angst,
weil dadurch gerade eher niederschwellige Jobs wegfallen werden. In der
Logistikbranche etwa, oder auch im Detailhandel. Aber auch in der Autobranche: Die
Mechatroniker, die eine anspruchsvolle vierjährige Lehre absolvieren, werden
auch künftig keine Probleme haben. Anders aber sieht es mit dem
Automobilfachmann oder dem Automobilassistenten aus. Wir müssen die Leute
irgendwo einsetzen können. Trotz oder gerade wegen der Digitalisierung: Wir
müssen weiterhin Sorge tragen zu einer hochstehenden Berufsbildung.
Nachfolger
von Urs Schmid als Projektleiter Berufsbildung/Lehrstellenmarketing ist Thomas
Jenni. Der 54-Jährige ist Automechaniker und Betriebsökonom. Er wohnt mit
seiner Familie in Günsberg.
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