Verhaltensauffällige Schüler gibt es seit je. Früher disziplinierten die
Lehrer solche Störenfriede noch mit Lineal und Schlagstock. Später wurden sie
vor die Türe gestellt oder mussten bei der Schulleitung vorsprechen, wenn sie
etwas ausgefressen hatten. Oder sie wurden dazu verdonnert, dem Abwart beim
Putzen des Pausenplatzes zu helfen.
Heute läuft das in vielen Berner Gemeinden anders. Wenn ein Schüler
regelmässig den Unterricht stört, muss er nicht mehr bei der Schulleitung
antraben, sondern beim Schulsozialarbeiter. So etwa auch in Biglen und
Grosshöchstetten. Die beiden Gemeinden teilen sich seit 2014 eine
Schulsozialarbeiterin mit einem Stellenpensum von 55 Prozent.
Ende Schuljahr läuft die dreijährige Testphase ab. Die Gemeinderäte
beider Gemeinden sind sich einig: Das Projekt hat sich bewährt und soll deshalb
unbefristet weitergeführt werden. In Biglen kann gegen diesen Entscheid bis
Anfang März das fakultative Referendum ergriffen werden.
Wenn Sozialarbeiter für Ruhe und Ordnung sorgen, Berner Zeitung, 13.2.von Quentin Schlapbach |
In Grosshöchstetten muss das Geschäft im März noch vor die
Gemeindeversammlung. Grünes Licht gegeben für die Weiterführung des Projekts
hat bereits die Gemeinde Konolfingen. Auch dort startete die Testphase 2014.
«Termine sind ausgebucht»
Die Beispiele der drei Gemeinden zeigen: Schulsozialarbeit trifft nicht
nur in Städten auf eine Nachfrage, sondern vermehrt auch auf dem Land.
Hans-Jörg Häberli, Schulleiter von Biglen, sagt, dass sich die
Schulsozialarbeit in der Tat als Entlastung für die Lehrer erwiesen habe:
«Mehrheitlich schätzen die Lehrpersonen dieses Angebot.
Gerade junge Lehrpersonen haben in sozialen Fragen so eine weitere Ansprechperson.»
In Biglen ist die Schulsozialarbeiterin jeweils einen Tag pro Woche im Einsatz.
Das Angebot wird rege genutzt: «Ihre Termine sind meist ausgebucht», sagt
Häberli.
Nicht nur für Krachmacher
Das will nicht heissen, dass in Biglen besonders viele Krachmacher zur
Schule gehen. Die Schulsozialarbeit nimmt in Biglen gleich mehrere Aufgaben wahr.
Integrationsschwierigkeiten, Mobbing, persönliche Krisen: Soziale Probleme
aller Art können mit der Schulsozialarbeiterin besprochen werden. Die Stelle
ist dabei weder der Schule noch den Eltern auskunftspflichtig.
Auch Lehrer können den Schulsozialdienst direkt in Anspruch nehmen, zum
Beispiel für Klasseninterventionen oder themenbezogene Veranstaltungen zu
Fragen wie Gewalt, Drogen oder Sexualität.
Glaubenskrieg in Langenthal
Die Mehrheit der Berner Schulkinder geht heute bereits an eine Schule,
die einen Schulsozialdienst hat. Es gibt jedoch grosse regionale Unterschiede
(siehe Grafik). Was besonders auffällt: Rund um Langenthal gibt es noch kein
einziges Projekt. Dabei war die Schulsozialarbeit in der Oberaargauer
Kleinstadt über Jahre hinweg ein Thema.
Zwischen Befürwortern und Gegnern der Vorlage tobte lange eine Art
Glaubenskrieg über Kosten und Nutzen der Übung. Nach langem Hin und Her
obsiegte schliesslich die bürgerliche Mehrheit im Stadtrat – die
Schulsozialarbeit war vom Tisch. Hauptargument für das Scheitern des Projekts
waren die Kosten.
Tatsächlich leistet sich eine Gemeinde einen Mehraufwand, wenn sie einen
Schulsozialdienst unterhält. In Grosshöchstetten sind dies beispielsweise 51
000 Franken im Jahr, in Biglen 26 500 Franken. Fakt ist auch, dass nicht alle
Lehrpersonen den Dienst in Anspruch nehmen wollen.
Eine Evaluation der Berner Fachhochschule zeigte, dass in den Gemeinden
Biglen, Grosshöchstetten und Konolfingen nur 42 Prozent der Lehrer im Verlauf
der drei Jahre Hilfe beim Schulsozialdienst suchten. Es ist jedoch absehbar,
dass diese Quote nach oben gehen wird.
Geht die Rechnung auf?
Ein Grund ist, dass junge Lehrer in ihrer Ausbildung vor allem lernen,
wie sie ihren Schülern Inhalte vermitteln können. Das wäre theoretisch auch die
Kernaufgabe im Berufsleben. In der Realität sehen sich die Lehrer aber oft damit
konfrontiert, dass sie ihre Schüler «nacherziehen» müssen.
Nicht alle sind dieser Aufgabe von allem Anfang an gewachsen. Einzelne
Problemfälle können ganze Klassen in ihrer schulischen Entwicklung aufhalten.
Der Schulsozialdienst ist quasi ein «Outsourcing» dieses Problems.
Befürworter argumentieren, dass sowohl die betroffenen Schüler
profitierten als auch die Lehrer. Die Schüler, weil ihre Probleme fachlich
kompetent behandelt würden. Die Lehrer, weil sie sich wieder voll und ganz
ihrer Kernaufgabe widmen könnten.
Die Frage ist, ob die Übung auch finanziell aufgeht. In der Theorie
sollten sich die Schüler während des Unterrichts wieder mehr mit Inhalten statt
mit sich selbst beschäftigen. Inwiefern die Theorie mit der Realität Schritt
halten kann, wird sich zeigen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen